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    London Nights
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    London Nights
    Von Florian Koch

    Wie oft kann man sich verlieren und wieder finden? Diese Frage stellt sich der junge argentinische Regisseur Alexis Dos Santos in seinem zweiten Spielfilm „London Nights". Seine Milieuskizze steht stilistisch ganz in der Tradition von Regisseuren wie Jean-Luc Godard oder Wong Kar-Wai und erforscht das Seelenleben zielloser Jugendlicher in der Großstadt. Im Original heißt der zum Teil improvisierte Independent-Film „Unmade Beds" – ein Titel, der die emotionale Verfassung seiner Protagonisten wunderbar auf den Punkt bringt.

    Axl (Fernando Tielve, „Goyas Geister") wacht fast jeden Tag in einem anderen Bett auf. Nur kann sich der spanische Wuschelkopf eigentlich nie an die Gründe dafür erinnern. Denn meist hat er am Abend zuvor soviel getrunken, dass er einen Filmriss erleidet. Immerhin findet er bald einen dauerhaften Unterschlupf bei einer charmanten Künstlergemeinde im angesagten Londoner East End. Besonders Mike (Iddo Goldberg, „L´Auberge Espagnole") kümmert sich um den verträumten Madrilenen. Ihm vertraut Axl auch bald den wahren Grund für den London-Trip an: Er sucht nach seinem Vater, den er nie persönlich kennenlernen durfte. Ebenfalls Zuflucht gefunden hat hier auch die Belgierin Vera (Déborah François). Sie knabbert immer noch an ihrer vorherigen gescheiterten Beziehung und hält sich mit einem Nebenjob als Buchverkäuferin über Wasser. Eines Nachts begegnet sie einem mysteriösen Fremden (Michiel Huisman), der sich ihr gegenüber als „Röntgen-Mann" ausgibt. Die immer noch verletzte Vera stellt dem aufregenden Mann für ihr nächstes Treffen eine Bedingung: Niemand darf etwas über den anderen wissen, selbst ihre wirklichen Namen sollen geheim bleiben. Doch diese gewollte Anonymität hat auch ihre Tücken...

    Regisseur Alexis Dos Santos bezeichnet sich selbst gern als Kosmopolit, in London lernte er nicht nur durch Lehrmeister wie Stephen Frears („Die Queen") das Filmhandwerk, sondern auch die unabhängige Musikszene kennen. Diesen Erfahrungsschatz sieht man „London Nights" in jeder Minute an. Die Party-Szene am East End zeichnet Dos Santos ungeheuer authentisch nach. Dazu trägt auch der exzellente Indie-Soundtrack mit Bands wie (We Are) Performance und den melancholischen Tindersticks bei. Wie in vielen Filmen von Wong Kar-Wai ist die Filmmusik auch in „London Nights" weit mehr als ein bloßes Stimmungselement. Mit diesem Stilmittel werden nicht nur die Schauplätze in den richtigen Kontext gestellt, auch die jeweilige Gefühlslage der Charaktere gibt Dos Santos damit einfühlsam wider. Auffallend ist dabei, dass sich die wichtigsten Stücke im Film wiederholen – eine Spiegelung zum emotionalen Hin und Her der Figuren.

    Unter diesem Aspekt lässt sich auch schnell der Schwachpunkt von „London Nights" feststellen: Die Ziellosigkeit und Unentschlossenheit der Charaktere als filmische Endlosschleife. Denn Dos Santos verzichtet nahezu völlig auf eine äußere Handlung und eifert damit natürlich seinen Vorbildern Gus Van Sant und Wong Kar-Wai nach. Nur fehlt es dem Regisseur (noch) an deren stilistischer Klasse. Einen Kameramann wie Christopher Doyle hat Dos Santos nicht an seiner Seite. Seine Bildkompositionen wiederholen sich, wirken häufig gesucht und ein wenig manieriert. Mit Zwischentiteln, animierten Fotos und 8mm-Filmclips täuscht Dos Santos Kunstfertigkeit und Originalität vor, inhaltlich bringen diese technischen Mätzchen „London Nights" aber kaum voran. Dieses Manko können auch die guten Darsteller nicht ausmerzen. Denn die Figuren, die sie verkörpern, kreisen zumeist um sich selbst und scheinen von gängigen realitätsnahen Jugendproblemen wie Arbeitslosigkeit und Geldmangel abgekoppelt zu sein.

    Besonders Axl entwickelt sich immer mehr zu einem völlig lebensuntauglichen, parasitären Charakter, dessen halbherzige Kontaktaufnahme mit seinem potentiellen Vater irgendwann nur noch langweilt. Spannender ist da schon die zweite Hauptfigur, Vera, die von der an Ellen Page erinnernden Déborah François glaubwürdig verkörpert wird. Ihre Bindungsprobleme, ihre Unfähigkeit mit der Vergangenheit fertig zu werden, um wieder positiv und befreit in die Zukunft blicken zu können, vermittelt Dos Santos mit großem Feingefühl. Auch ist es dem Regisseur hoch anzurechnen, dass er die parallel ablaufenden Geschichten nicht mit einer erzwungenen Drehbuchkonstruktion zusammenführt.

    Fazit: Dem argentinischen Filmemacher Alexis Dos Santos schwebte mit „London Nights" ein schillerndes Porträt der Londoner Jugend-Szene vor. Die stimmige Song-Auswahl und die starken Nachwuchsdarsteller können aber nicht ganz darüber hinwegtäuschen, dass sein Film inhaltlich mitunter auf der Stelle tritt und die ziellosen Hauptfiguren zu eindimensional gezeichnet sind.

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