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    Wasser für die Elefanten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Wasser für die Elefanten
    Von Florian Schulz

    Im Wanderzirkus pulsierte auch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts jener Geist der Autonomie, den sich die amerikanischen Pioniere bei der Erschließung des Kontinents unter unvorstellbaren Entbehrungen erkämpfen mussten. Es wundert daher auch nicht, dass Literatur und Kino ihn immer wieder als Metapher für persönlichen Wandel heranziehen – das Zirkusleben steht für die künstlerische Selbstaufgabe, den radikalen Bruch mit der persönlichen Vergangenheit. So ist in Tim Burtons „Big Fish" ein fantastischer Zirkus Dreh- und Angelpunkt einer doppelbödigen Rekonstruktion der Biografie eines notorischen Lügners, und jüngst diente auch Terry Gilliam in „Das Kabinett des Dr. Parnassus" ein rollendes Varieté-Theater zum Mixen immer neuer Identitäts-Cocktails. Mit „Wasser für die Elefanten" erzählt „I am Legend"-Regisseur Francis Lawrence nach dem gleichnamigen Beststeller von Sara Gruen die Geschichte gleich zweier Selbstfindungsprozesse – einmal auf der Leinwand, und einmal abseits davon. Robert Pattinson, der sein Vampir-Beau-Image auch nach „Remember Me" ungebrochen mit sich herumschleppt, verkörpert Jacob Jankowski, einen jungen Veterinär, der sich durch tragische Umstände aus dem elterlichen Schoß katapultiert findet. Den Wunsch nach biografischer Neuausrichtung teilt der Schauspieler also mit seiner Figur, doch hier wie da führt der Weg über Christoph Waltz - und beide drohen sie an seiner Übermacht zu scheitern.

    Die wohl schwerste Wirtschaftskrise der Neuzeit beutelt das Amerika der 30er Jahre. Das könnte Jacob Jankowski (Robert Pattinson) nicht weiter tangieren, steht der smarte Sohn polnischer Einwanderer doch kurz davor, einen prestigeträchtigen „Cornell"-Abschluss in Veterinärmedizin einzusacken. Doch noch während Jacob über seinem finalen Examen brütet, geschieht Tragisches: Ein Autounfall rafft die Eltern des ambitionierten Studenten aus heiterem Himmel dahin, was bleibt sind Trauer und ein Berg an Schulden. Hals über Kopf bricht der Schockierte jegliche Bande zu seinem bisherigen Leben ab – und lernt ein Amerika kennen, das sich in desolatem Zustand befindet. Schließlich landet er in einem Wanderzirkus, in dem er durch seinen akademischen Hintergrund schnell einen guten Draht zu Zirkusdirektor August Rosenbluth (Christoph Waltz) entwickelt. In der bildhübschen Dressurreiterin Marlene (Reese Witherspoon) findet er bald einen weiteren Grund, das neue Leben zu begrüßten – doch die sich anbahnende Liaison bedeutet ein folgenschweres Dilemma: Marlene ist die Frau von August Rosenbluth und dessen teuerster Schatz...

    Seinen „Verschollenen" ließ Franz Kafka nach vielen Querelen das persönliche Glück in einem fahrenden Naturtheater in Oklahoma finden – zumindest augenscheinlich, denn Kafka hat das Schicksal seines Protagonisten nicht ganz auserzählt. „Wasser für die Elefanten" macht hingegen keinen Hehl aus dem Wohlergehen seines Helden. Jacob Jankowski tritt bereits zu Beginn des Films als vitaler Pensionär auf, den die Nostalgie zum zentralen Schauplatz seines Lebens zurücktreibt. Dieser narrative Rahmen hält dabei vor allem für emotionale Appelle her; einen substanziellen Mehrwert liefert er nicht, indem etwa die biografische Erzählung selbst thematisiert würde. Gerade auf der Zielgeraden drückt der ehemalige Video-Clip-Regisseur Francis Lawrence stattdessen gehörig auf die Tränendrüse, so dass die zuvor angenehm pragmatisch auserzählten Leitmotive des Films etwas zu weit beiseite gedrängt werden.

    Das Land steckt in tiefer Depression, die Fabriken erodieren, die Arbeiter verrohen auf der Straße. Zwar ist der Fortschrittlichkeitsglaube einer stolzen Nation erschüttert, er lebt aber umso mehr im artistischen Spektakel fort. Wie die ersten Lichtspielhäuser waren die Zeltzirkusse Anziehungspunkte einer bunt gemischten Öffentlichkeit und nicht nur jene Kinderattraktionen, zu denen sie im Laufe des 20. Jahrhunderts immer weiter degradiert wurden. „Wasser für die Elefanten" erlaubt einen differenzierten Blick hinter diese frühe popkulturelle Kulisse und entzaubert diese Fiktion einer heilen Welt. Ein eigenständiger wie gnadenloser Zirkuskosmos tut sich auf, rigide regiert durch den von Christoph Waltz verkörperten Direktor August Rosenbluth. Die Regeln des übrigen Amerika hätten hier keinerlei Geltung, versichert der Charismatiker dem Neuankömmling. Ein Hochschulabschluss sei nur ein Fetzen Papier. Die latenten Gesetze des Mikrokosmos muss Jacob hingegen eigenem Leib erfahren – „Wasser für die Elefanten" erzählt hierin eine treffsichere Parabel über Macht und Abhängigkeit und über Autorität und Verantwortung.

    August Rosenbluth hat viel mit Hans Landa gemein, jenem undurchschaubaren SS-Schergen aus „Inglourious Basterds", denn beide generieren ihren Einfluss über eine geschickte Rhetorik. Das doppelbödige Spiel mit den Worten ist auch in „Wasser für die Elefanten" der eigentliche Quell stabiler Autorität. Rosenbluth weiß, wie man seine Machspielräume effektiv über Andeutungen kontrolliert. Im Gegensatz zu Tarantinos abgeklärtem Strippenzieher besitzt der Zirkusdirektor jedoch eine Achillesferse: Die ständige Unsicherheit zermartert ihn, sie entwickelt sich zum Kontrollzwang, besonders im Hinblick auf seine Ehe. Hier macht der Film deutlich, wie fragil Autoritätsgefüge gebaut sind. Einfluss ist kein Verfügungsgut, sondern eine Interaktionsdynamik – Lawrence hat politisch eine Menge zu erzählen. Streckenweise erinnert Waltz‘ Figur dabei an Daniel Plainview, jenen so famos von Daniel Day-Lewis verkörperten Ölmagnaten aus „There Will Be Blood". Auch dessen Kontrolle über Ölfelder und Arbeiterschaft hängt am seidenen Faden, was ihn in den Wahn treibt. Im Gegensatz zu „There Will Be Blood" erhebt „Wasser für die Elefanten" dann doch noch den moralischen Zeigefinger gegen seine so machtgierige wie komplexe Figur.

    Das scheint wie eine Verlegenheitslösung, vor allem bezogen auf die Machtverhältnisse zwischen den Darstellern selbst: Gegen Schwergewicht Waltz verpuffen Pattinsons ambitionierte Versuche, seiner Figur emotionale Durchschlagkraft zu verleihen ein ums andere Mal. Keine Frage, der Mädchenschwarm zeigt auch hier, dass da noch viel Luft nach oben ist – es überwiegt aber die Ehrfurcht vor dem exaltierten Spiel des Deutsch-Österreichers. Die Reißbrett-Romanze mit Reese Witherspoon trägt ihren Teil zu diesem Understatement bei. Nur im Zusammenspiel mit der Elefantendame Rosie blühen die beiden Liebenden auf. Kein Wunder, denn die titelgebende Dickhäuterin mit den markanten Sommersprossen ist ein Faszinosum für sich. Dass der Kernkonflikt vor allem auch auf ihrem Rücken ausgetragen wird, dürfte die Sympathien aber nur noch mehr zu Ungunsten des vermeintlichen Bösewichts Waltz verschieben. Aber auch wenn die Gratwanderung zwischen sentimentalem Drama und feinsinniger Charakterstudie nicht immer gelingt – „Wasser für die Elefanten" ist intelligentes Kino auf hohem Niveau.

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