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    Nur für Personal!
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Nur für Personal!
    Von Jan Hamm

    „Kapitalisten sind Banditen" - nein, das ist keine Tagline zu JC Chandors stargespicktem Wall-Street-Thriller „Margin Call", der den Berlinale-Wettbewerb 2011 nach dem außer Konkurrenz stehenden „True Grit" eröffnet hat. Es handelt sich vielmehr um einen nebenbei eingeworfenen Kommentar einer spanischen Hausangestellten in Paris, die soziale Ungleichheit fern aller Schaltzentralen wirtschaftlicher Macht am eigenen Leib erfährt. Philippe Le Guays Wettbewerbsbeitrag „Service Entrance" (Originaltitel: „Les femmes du 6ème étage") ist eine Kapitalismuskritik im charmant-naiven Komödienformat. Kauzige Figuren, freche Dialoge und eine herzliche Erzählung um überbrückte Klassengräben sorgen für eine Stunde vorzügliche Unterhaltung - bis dann zum Schluss doch noch gehörig mit dem Zeigefinger gewedelt wird und das sechsstöckige Kartenhaus arg zu wackeln beginnt.

    Jean-Louis Joubert (Fabrice Luchini, „Das Mädchen aus Monaco") ist ein halbwegs erfolgreicher Pariser Börsenmakler. Immerhin so erfolgreich, dass er und seine verwöhnte Gattin Suzanne (Sandrine Kiberlain, „Mademoiselle Chambon") sich eine Haushaltshilfe leisten können. Als Suzanne die Hausdame nach 25 langen Jahren hochkant rauswirft und die spanische Schönheit Maria (Natalia Verbeke) engagiert, beginnen turbulente Zeiten für Jean-Louis. Um Maria zu beeindrucken, setzt er sich für deren spanische Kolleginnen ein, die in der sechsten Etage ohne funktionierende Toilette oder warmes Wasser wie in einer Parallelwelt leben. Jean-Louis' neue Sensibilität passt Suzanne wohl überhaupt nicht. Sie setzt ihn vor die Tür - doch darauf hat der Gebeutelte bloß gewartet. Denn in der sechsten Etage ist noch ein Zimmer frei...

    Philippe Le Guay hat den in den frühen 70er Jahren angesiedelten „Service Entrance" derart mit charmanten Details vollgestopft, dass kaum eine Minute ohne Lacher - mindestens aber amüsierte Schmunzler - verstreicht. Wenn der verliebte Mittfünfziger zu spanischen Gitarrenklängen durch die Stadt flaniert, wenn die Horde rustikaler Spanierinnen aus der sechsten Etage spöttisch hinter Brigitte-Bardot-Lookalikes hinterherpfeift und wenn Jean-Louis am Tag nach der Erfüllung seiner Ehepflichten beim Hausdrachen Suzanne krank im Bett liegt, muss sich die locker-leichte Komödie typisch französischer Färbung keineswegs vor Mega-Erfolgen à la „Willkommen bei den Sch'tis" verstecken.

    Besonders gelungen ist dabei, wie behutsam Le Guay den doppelten Lerneffekt seines Protagonisten auserzählt: Wo Jean-Louis zu Beginn vor allem Maria und darüber die Kompensation seiner havarierten Ehe im Sinn hat, wachsen nach und nach echte Freundschaften zum Rest der bunten Frauentruppe heran. Etwa zur fürsorglichen Concepción (Carmen Maura, „Volver"). Oder zur zynischen Carmen (Lola Dueñas, „Me Too – Wer will schon normal sein?"), die ihre Eltern an das Franco-Regime verloren hat. Über diese behutsame Annäherung und das Schicksal der keineswegs randständigen Nebenfiguren skizziert Le Guay einen glaubhaften Prozess der Einsicht; lässt Jean-Louis vom achtlosen Hausherren zum sensiblen Mitmenschen reifen.

    Und damit wäre es gut gewesen. Bloß, im letzten Drittel erliegt Le Guay der Versuchung, mit dem Holzhammer nachzuarbeiten. Suzannes ständiges Gemaule darüber, wie anstrengend ihr Alltag zwischen Kaffeeklatsch und Maniküre doch sei - insbesondere in Urlaubszeiten - geht da noch durch. Ihr abschließendes Plädoyer aber will so gar nicht mehr zum etablierten Tonfall passen: „Die Armen da oben leben, wir Reichen hier unten sind tot!" Hach, wie gemütlich es sich doch in Armut lebt, da oben, in der nicht nur räumlich, sondern auch moralisch höher gelegenen sechsten Etage! Als romantische Komödie ist „Service Entrance" rundum gelungen. Als kritischer Beitrag zu sozialen Gefällen jedoch hat Le Guays seinen Wettbewerbsbeitrag viel zu schlicht gestrickt - und dürfte damit aus dem Rennen sein.

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