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    44 Inch Chest
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    44 Inch Chest
    Von Daniel Jacobs

    Zerschmetterte Gläser liegen auf dem Boden, ein verängstigter Pudel sucht Schutz unter dem zerstörten Wohnzimmersofa. Aus der Musikanalage erklingt die Herzschmerz-Ballade „Without You" von Harry Nilsson. Inmitten dieses Chaos havariert ein verschwitzter, niedergeschlagener Ray Winstone. Sein Blick ist leer, Bewegungen sind nicht auszumachen. Was ist passiert? Ein Mord? Ein Raub? Ein heftiger Streit? Malcolm Venville eröffnet sein Debüt „44 Inch Chest" mit einer stimmungsvollen Szene, die Lust auf mehr macht. Doch es kommt wenig nach. Auch der britische, einen ganzen Haufen markiger Sprüche ablassende Top-Cast vermag den Gangsterfilm nicht zu retten. Nach dem gelungenen Auftakt versandet die Spannung gemeinsam mit dem Plot in einem kargen Londoner Zimmer.

    Colin Diamond (Ray Winstone) ist am Boden – der bärenhafte Familienmensch hat gerade von seiner Ehefrau erfahren, dass sie ihm untreu war. Die Liebe scheint erloschen, nach 21 Jahren Ehe will Jill (Joanne Whalley) den liebevollen Besitzer einer Werkstatt für einen jüngeren Kellner (Melvil Poupaud) verlassen. Voller Wut und Unverständnis rastet Colin aus und wird handgreiflich. Er prügelt den Namen des Liebhabers aus seiner Frau heraus. Nach dem gewalttätigen Zerwürfnis erkennen seine alten Freunde ihn nicht mehr wieder. Apathisch und voller Selbstmitleid ist er nur noch ein Schatten seiner selbst. Seine alte Bande (Ian McShane, John Hurt, Tom Wilkinson und Stephen Dillane) verständigt sich darauf, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, den Nebenbuhler zu entführen und ihn in einen Schrank zu sperren. Colin soll ganz in Ruhe Rache nehmen und so wieder zu alter Stärke finden. Doch erst einmal sollen die Fakten auf den Tisch: Wusste der junge Mann vielleicht gar nicht, dass die schöne Jill verheiratet ist? Sind wirklich alle Frauen solche Schlampen? Vor allem aber steht eine Frage im Raum: Muss der Liebhaber für seine Tat sterben?

    „44 Inch Chest" ist als Darstellerfilm angelegt. Die sporadische Handlung ist fast ausschließlich in einem einzigen Zimmer (deutscher Untertitel: „Mehr Platz braucht Rache nicht") angesiedelt. Im Mittelpunkt stehen die auf Coolness getrimmten Gespräche der Bande, die darüber diskutiert, wie ihr guter Freund Colin mit dem jungen Kellner umgehen soll. Auch alltägliche Konversationen etwa über gemeinsame Bekannte nehmen einen großen Teil ein. Das nötige schauspielerische Talent für ein solches Kammerspiel hat Regisseur Malcolm Venville eigentlich zusammen: Mit Winstone, McShane, Wilkinson und Hurt tummeln sich hier reihenweise erfahrene Schauspieler. Doch schnell wird klar: Dieses Talent wird leider nie wirklich ausgereizt.

    Nicht zu Unrecht wird „44 Inch Chest" als eine britische Version von Quentin Tarantinos legendärem „Reservoir Dogs" beworben. Wenn die ersten Sprechsalven im Zimmer hin- und herfliegen, liegen die Vorbilder des Gangsterdramas schnell auf der Hand. Die für ihr „Sexy Beast" hochgelobten Drehbuchautoren Louis Mellis und David Scinto legen ihren Schauspielern eine Menge knallharter Sprüche in den Mund. Betont lässig hallen die meist messerscharfen Worte durch den Raum. Die Schauspieler nehmen kein Blatt vor den Mund. Leider übertreiben die Autoren es aber etwas mit den in Coolness verpackten vulgären Ausschweifungen. Es fehlt die gewisse Klasse und Cleverness, die beispielsweise Guy Ritchies britische Gangsterfilme („Bube, Dame, König, grAs", „Snatch") ausmachen. Zumindest erschafft das Autorenduo aber eine erstaunliche Anzahl von Anekdoten, mit denen die Gangster in den gut eineinhalb Stunden Spielzeit um sich schmeißen.

    Ian McShane („Death Race") als Gangster mit dem ausgefallenen Namen Meredith profitiert am meisten von diesen Erzähl-Schnipseln. Voller Ernsthaftigkeit erzählt er im Mafia-Gedächtnisoutfit von seinen homoerotischen Erfahrungen, womit er seine Freunde zwar anwidert, aber das Filmpublikum prächtig unterhält. Vor allem Old Man Peanut John Hurt („Contact") kann die schwulen Geschichten nicht leiden. Auch auf Frauen ist er nicht gut zu sprechen. Die grimmige Fassade steht Hurt aber nicht. Ganz anders verhält es sich bei Tom Wilkinson („Michael Clayton"), der als Muttersohn Archie richtig gut passt. Die größte Aufgabe bekommt der kantige Winstone („Auftrag Rache") mit auf dem Weg, der in der Hauptrolle als emotional aufgewühlter Ehemann überzeugt. Regisseur Manville hält sich hingegen sehr bedeckt, lässt die erfahrenen Schauspieler agieren und konzentriert sich auf die Bebilderung der spärlichen Aktionen.

    Fazit: „44 Inch Chest" hat ein großes Problem: Wirklich spannende Momente sucht man vergebens. Auch wenn die Dialoge eine gewisse Schärfe vorweisen und vom Top-Cast souverän bis richtig gut vorgetragen werden, fehlt es doch an einem überzeugenden und unterhaltsamen Gesamtkonzept. Irgendwann ist es dann auch egal, ob der Kellner dran glauben muss oder nicht. Zu Tode gequatscht wird er sowieso.

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