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    The Awakening
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    The Awakening
    Von Robert Cherkowski

    Der Geisterfilm zählt zu den grüblerischsten und intimsten Formen des Horror-Kinos. Hier geht es meist weniger um Exzesse physischer Gewalt als um die seelische Last von bösen Erinnerungen und Träumen. Und damit steht etwas im Mittelpunkt, das sonst gern übersehen wird: nicht gesühntes Unrecht, das über den Tod hinaus nach Aufarbeitung schreit. Geister lassen sich in der Regel nicht mit Waffen bekämpfen (eine Ausnahme gilt natürlich für die „Ghostbusters") und sie können nur zum Schweigen gebracht werden, indem man sich ihnen stellt. Von „The Sixth Sense", über „The Others" bis hin zu „The Ring" hat die jüngere Filmgeschichte einige Perlen des stillen Gruselkinos hervorgebracht. Auch Regisseur Nick Murphy frönt in seinem Geister-Thriller „The Awakening" dem stimmungsvollen Schauer und verzichtet zugunsten einer dichten Atmosphäre auf grelle Effekte. Stärken, die allerdings zunehmend zugunsten von wenig überzeugenden Gruselmomenten fallengelassen werden.

    Nach den entbehrungsreichen Jahren des Ersten Weltkriegs und einer verheerenden Grippe-Epidemie ist die Trauer im Großbritannien der frühen 1920er Jahre groß. Viele Familien haben Angehörige auf den Schlachtfeldern oder in den Krankenbetten verloren. Gefundenes Fressen für Scharlatane und Geisterbeschwörer, die den Trauernden einen Draht ins Jenseits versprechen. Die rational denkende Autorin Florence Cathcart (Rebecca Hall) hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Aberglauben die Stirn zu bieten und enttarnt in schöner Regelmäßigkeit Schwindler und Halsabschneider, die die Verzweiflung der Hinterbliebenen ausnutzen. Das hat sie zu einer kleinen Berühmtheit gemacht und so bittet sie eines Tages der Internatsleiter Robert Mallory (Dominic West) um Hilfe. In den Gemäuern seiner Schule am Rand der Stadt spukt es seit geraumer Zeit, manche Schüler sollen gar schon vor Angst gestorben sein. Skeptisch wie eh und je macht sich Florence daran, dem Mysterium auf den Grund zu gehen. Zuerst glaubt sie, es handele sich um Streiche aufmüpfiger Jungen, die ein Ventil suchen, um sich den rigiden Erziehungsmethoden zwischen Gehorsam und Gottesfurcht zu entziehen. Bald schon wird Florence jedoch selbst Zeuge unerklärlicher Vorkommnisse, die auf eine Tragödie aus der Vergangenheit hindeuten.

    Es beginnt im trist-grauen London der 20er Jahre. Mit schnellen Strichen wird Florence als kesse Rationalistin gezeichnet, die auf Kriegsfuß mit dem Aberglauben steht. Sobald sich der Schauplatz jedoch in die unheimlichen, trostlosen Gemäuer des Internats verlagert verschwindet die verspielte Leichtigkeit des Auftakts und weicht düsteren Tönen. Obwohl es dabei immer wieder kleine Schockmomente gibt, bleibt der bestimmende Tonfall eher leise: Im Herzen ist „The Awakening" vor allem ein Grusel-Drama und keinesfalls ein Schocker, seine größten Stärken liegen dementsprechend auch nicht in grell-effektvollen Schreckensmomenten und Handlungswendungen, sondern in der sensiblen Schilderung der vielfältigen Schicksale der Internatsschüler. Der wahre Horror sind hier die Zeit und der Ort der Kindheit, die wahren Geister nicht übersinnlicher Natur. Vielmehr ist es die imperialistisch geprägte Erziehung, die den Menschen das Leben zur Hölle macht: Unter dem Terror prügelnder Lehrer (unheimlich wie immer: Shaun Dooley als Malcolm McNair) und der Knute einer frömmelnd-grausamen Religion, kann nichts Gutes entstehen.

    In manchen Momenten wirkt „The Awakening" wie ein kleiner Horror-Bruder von Michael Hanekes „Das weiße Band". Schon dort hat die unglückliche Kindheit Monster hervorgebracht, doch während Haneke mit ihnen in kühler Konsequenz die Dämonen der Geschichte heraufbeschwor, werden hier letztlich nur ausgetretene Genre-Pfade beschritten. Es wird zwar viel Zeit auf die Schilderung der gesellschaftlichen Umstände verwendet und auch die Figuren sind zumindest psychologisch komplex angelegt, aber daraus wird nur wenig gemacht. Dabei hatte Drehbuchautor Stephen Volk einst auch das Skript zu Ken Russells Horror-Drama „Gothic" verfasst, aber mit dessen exzentrischer visueller und erzählerischer Opulenz kann es „The Awakening" nicht aufnehmen. Das liegt vor allem daran, dass Regisseur Nick Murphy der visionäre Zugriff eines Enfant terribles wie Russell fehlt. Hier ist die Inszenierung eher schmucklos und zweckdienlich, so wird das Rätsel zwar ganz pragmatisch zur Auflösung gebracht, aber was das Ganze für eine Bedeutung für die Seelen der Kinder hat, bleibt unklar und ein Gefühl von Erlösung will sich schon gar nicht einstellen.

    Auch die Schauspieler werden nicht voll gefordert. Optisch passt Rebecca Hall („Vicky Cristina Barcelona", „The Town") gut in die Rolle einer Tochter aus besserem Hause, die kein Verständnis für Aberglauben hat, bis sie selbst mit dem Übersinnlichen konfrontiert wird. Doch ihr Innenleben scheint Murphy wenig zu interessieren. Er lässt Hall stattdessen mit staunenden Augen durch die Schulhallen schleichen, besorgt gucken und gelegentlich aufschrecken. Noch schlimmer hat es Dominic West („The Wire") getroffen. Zwar müht er sich redlich, doch so recht will man dem schneidigen Mimen die Rolle des verschüchterten, stotternden Internatsleiters nicht abkaufen. Auch die Liaison der beiden wirkt eher forciert und führt zu einigen Nacktszenen, die so gar nicht in den Film passen. Mit zunehmender Dauer wird „The Awakening" immer mehr zu einem betulichen Gruselfilm der unspektakulären Sorte.

    Fazit: Vor allem zu Beginn besitzt „The Awakening" beachtliche atmosphärische Stärken. Im weiteren Verlauf gerät Murphys Film aber mehr und mehr auf das Gleis eines oberflächlichen Grusel-Thrillers nach Schema F.

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