Mein Konto
    Ein ruhiges Leben
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Ein ruhiges Leben
    Von Kevin Huber

    In einem abgelegenen Waldstück treffen ein älterer Mann und ein Wildschwein von Angesicht zu Angesicht aufeinander. Eine bleierne, bedrückende Stille liegt in der Luft, der Mensch und das Tier tauschen ein paar verheißungsvolle, fast vertraute Blicke aus. Dann drückt der Mann ab. Es ist die Eröffnungsszene zu Claudio Cupellinis „Ein ruhiges Leben". Das leise brodelnde Thriller-Drama ist so wirkungsvoll inszeniert, dass der bislang nur in seiner italienischen Heimat bekannte Filmemacher nun auch in der internationalen Filmlandschaft Anerkennung für seine punktgenaue Regie finden dürfte. Die Eröffnungsszene des zu großen Teilen in Deutschland gedrehten Werkes steht dabei symptomatisch für den gesamten Film, sowohl für die Stärken als auch für die Schwächen: So packend der Auftakt auch sein mag, so vage und unausgesprochen bleibt dabei, was die Begegnung zwischen Mensch und Wildnis hier zu bedeuten hat. Cupellini ist so sehr damit beschäftigt, unmittelbar fesselnde Szenarien um seine Figuren herum zu entwerfen, dass er darüber hinaus vergisst, die Tiefen seiner Geschichte auszuloten.

    Rosario Russo (Toni Servillo) lebt ein beschauliches Leben in den Wäldern bei Wiesbaden, wo er mit seiner deutschen Frau Renate (Juliane Köhler) ein idyllisches kleines Hotel führt und seinen neunjährigen Sohn Matthias (Leonardo Sprengler) großzieht. Das Dasein der kleinen Familie scheint perfekt, bis eines Tages zwei junge Italiener, Diego (Marco D'Amore) und Edoardo (Francesco Di Leva), um ein Zimmer bitten. Was weder Renate noch Edoardo ahnen: Diego ist Rosarios Sohn aus einer Zeit, als er noch als skrupelloser Krimineller in den Kreisen der italienischen Camorra verkehrte. Dem sicheren Tod von der Schippe gesprungen, konnte er vor Jahren in Deutschland abtauchen und sich eine neue Identität aufbauen. Mit der Ankunft der beiden Mafia-Männer fürchtet Rosario um sein neues Leben. Hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu seinem Sohn und seiner neuen Familie wird er bald vor schwerwiegende Entscheidungen gestellt...

    Geschichten, in denen die Hauptfigur von ihrer dunklen Vergangenheit heimgesucht wird, gibt es wahrlich nicht zu knapp – von Klassikern wie „Goldenes Gift" bis zu David Cronenbergs „A History of Violence". In diesem altbekannten Szenario findet Claudio Cupellini jedoch spannende neue Nuancen, wenn er die beiden Kehrseiten der traditionellen Familie auslotet. Freunde, Verwandte und Vertraute sind in „Ein ruhiges Leben" ebenso sicherer Halt und emotionale Stütze wie wunde Punkte, an denen sich Enttäuschung, Verrat und Zerstörung entzünden können. Rosarios zwiespältige Gefühle sind jederzeit Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Sein Bedürfnis, die Beziehung zu Diego zu vertiefen, ihn gar aus den Fängen der Camorra zu befreien, steht im scheinbar unlösbaren Konflikt mit dem Wunsch, seine neue heile Welt – die zuvor bereits durch einen Seitensprung belastet wurde – zu schützen und seine Vergangenheit geheimzuhalten. Dabei sitzt dem Familienvater der aufbrausende und unberechenbare Edoardo im Nacken, der allein durch seine Erscheinung an Rosarios alte Sünden erinnert.

    Aber statt diesen zentralen Konflikt zu vertiefen und das Publikum zur Reflektion darüber einzuladen, scheucht Cupellini seine Figuren lieber durch diverse Nebenhandlungen, in denen jede Menge zusätzliche Probleme thematisiert werden. Zwar ziehen der Regisseur sowie seine Autoren Filippo Gravino und Guido Iuculano den Strick um Rosarios Hals konsequent zu und beschwören mit sicherer Hand ein ständiges, unterschwelliges Gefühl der Bedrohung herauf. Doch zu substantiellen Einblicken in das Innenleben der Figuren kommt es dabei viel zu selten. So wird etwa eine wichtige Schlüsselfigur wie Renate zum stichwortgebenden Stereotyp der schwachen, besorgten, zweifelnden Ehefrau degradiert. Und durch das Bedürfnis, einen besonders dramatischen letzten Akt herbeizuführen, wird die Glaubwürdigkeit der ohnehin nicht sehr tiefschürfend angelegten Figuren zusätzlich strapaziert.

    Die größte Stärke von „Ein ruhiges Leben" ist Hauptdarsteller Toni Servillo, der spätestens seit seinen Auftritten in Matteo Garrones „Gomorrha, Reise in das Reich der Camorra" und Paolo Sorrentinos „Il Divo" auch international bekannt ist. Sein Rosario ist eine besonnene, gutherzige Erscheinung, die sich immer tiefer in einem Dilemma verliert, bis wenig mehr als ein getriebenes Tier von ihr übrig ist. Schließlich muss er einmal mehr skrupellos agieren, um das zu schützen, was ihm wichtig ist. Nicht minder überzeugend spielt Kinodebütant Marco D'Amore als Diego, der ähnlich zerrissen ist wie sein Vater und versucht, Rosarios damaliges Verschwinden zu verarbeiten und zu vergeben. Die anderen Darsteller finden dagegen spürbar weniger Raum zur Entfaltung und müssen aus ihren grob gezimmerten Rollen eben das herausholen, was ihre archetypische Anlage zulässt.

    Fazit: „Ein ruhiges Leben" ist ein vom Ansatz her hochinteressantes und stark gespieltes, dabei aber auch recht oberflächliches Thriller-Drama.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top