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    Hidden Figures - Unerkannte Heldinnen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Hidden Figures - Unerkannte Heldinnen
    Von Carsten Baumgardt

    Vietnamkriegs-Präsident und Kennedy-Nachfolger Lyndon B. Johnson zählt ganz gewiss nicht zu den populärsten Staatsoberhäuptern der Vereinigten Staaten, aber einen großartigen Verdienst darf sich der Texaner trotzdem prunkvoll auf seine historische Fahne schreiben: Mit dem Civil Rights Act von 1964 hob er zumindest formal-juristisch die Rassentrennung zwischen Weißen und Schwarzen in den USA per Gesetz auf. Wie schwer es Schwarze zuvor in der von Weißen (noch stärker als heute) dominierten Gesellschaft hatten, davon erzählt Theodore Melfi („St. Vincent“) in seinem unterhaltsamen, auf wahren Begebenheiten beruhenden Wohlfühl-Drama „Hidden Figures - Unerkannte Heldinnen“, in dem er den steinigen Karriereweg von drei brillanten schwarzen Mathematikerinnen bei der US-Weltraumbehörde NASA während des Wettlaufs mit den Russen zum Mond nachvollzieht.

    Virginia, 1961: Katherine Goble (Taraji P. Henson), Dorothy Vaughan (Octavia Spencer) und Mary Jackson (Janelle Monáe) gehören zu einer Gruppe schwarzer Mathematikerinnen, die für die NASA in Langley als Hilfskräfte Berechnungen durchführt. Weil in den USA eine strikte Rassentrennung herrscht, muss diese Abteilung separat von den restlichen Wissenschaftlern operieren, um die Berührungspunkte so auf ein Minimum zu reduzieren. Die NASA arbeitet fieberhaft daran, einen Mann in die Erdumlaufbahn und später auch auf den Mond zu bringen. Doch die Russen haben im Weltraum-Wettlauf der Supermächte die Nase vorn. Das bringt Al Harrison (Kevin Costner), den Leiter der Space Task Group, die für die Errechnung der Flugbahnen der Raketen zuständig ist, schwer unter Druck. Von den drei Frauen fällt besonders die absolut brillante Katherine auf, weshalb der sture Harrison sie gegen alle Vorbehalte in sein Team von weißen Männern holt. Harrisons rechter Hand Paul Stafford (Jim Parsons) passt das gar nicht, weil er merkt, dass Katherine ihm überlegen ist. Und auch Dorothy und Mary wollen wie ihre Kollegin die Karriereleiter weiter hinaufsteigen…

    Amerika hat gerade acht Jahre Amtszeit eines schwarzen Präsidenten hinter sich – und trotzdem steht außer Frage, dass in großen Teilen der Bevölkerung die Gleichstellung von Schwarz und Weiß immer noch nicht vollzogen ist. Dass die Pistolen der Cops bei schwarzen Verdächtigen lockerer sitzen, ist nur eines von vielen Indizien für diesen anhaltenden Missstand. Trotzdem hat sich im Vergleich zu den 60er Jahren, der Hochzeit der Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King, einiges getan. Theodore Melfi widmet sich in seinem Biopic „Hidden Figures“ (nach dem gleichnamigen Sachbuch von Margot Lee Shetterly) den Vorreiterinnen Katherine Johnson (früher: Goble), Dorothy Vaughan und Mary Jackson, die sich als schwarze Frauen in einer weißen Männerdomäne behaupten konnten und so ein wichtiges Zeichen auf dem Weg zur Aufhebung der Rassentrennung setzten. Dabei hält sich Melfi streng an die historischen Fakten – und das kann er sich auch ohne weiteres erlauben, denn das Trio hat so Erstaunliches erreicht, dass seine Geschichte gar keiner weiteren Hollywood-Ausschmückung bedarf.

    Die im Zentrum des Films stehende Katherine bekommt als einzige eine persönliche Hintergrundgeschichte spendiert: Als Witwe findet sie in dem Soldaten Jim Johnson (Mahershala Ali) einen treuen Ehemann und Ersatzvater für ihre drei Kinder. Viel faszinierender als diese gefällige, aber überraschungsarme Nebenhandlung ist allerdings der tägliche Kampf am Arbeitsplatz um Anerkennung, Würde und Stolz. Immer wieder stehen die Rassenschranken im Weg (übrigens nicht nur für die Frauen selbst, sondern auch für einen zügigen Fortschritt des Projekts). An einer Stelle erzählt Dorothys Vorgesetze Vivian (Kirsten Dunst), dass sie ja gar nichts gegen sie als Schwarze habe. Und Dorothy erwidert entlarvend: „Ich bin sicher, dass sie das wirklich glauben.“ Dieser Mini-Dialog bringt den unterschwelligen Rassismus der Ära perfekt auf den Punkt.

    Melfi beschreibt die Taktik der drei Frauen als eine der sanften Zermürbung: Sie drängen sich bescheiden und mit Respekt auf, die Aggressionen der schwarzen Bürgerrechtler sind ihnen fremd. Der Gegensatz dieser latenten Unterwürfigkeit der Schwarzen und der selbstverständlichen Arroganz der Weißen lädt den Film mit sicherlich kalkulierten, aber deshalb nicht weniger effektvollen Emotionen auf. Nichts anderes als Fremdscham kann man fühlen, wenn sich die weißen NASA-Herren davor ekeln, sich den Kaffee aus derselben Kanne einzugießen wie Katherine. „The Big Bang Theory“-Star Jim Parsons agiert exemplarisch als Katherines Nemesis - als der Mann, der immer noch ein bisschen skeptischer ist als seine Kollegen, weil er in ihr auch eine Gefahr für seine eigene Stellung sieht.

    Dass „Hidden Figures“ trotz einer unverhohlenen Süße in der Erzählung so gut funktioniert, liegt neben dem durch und durch sympathischen Frauentrio Taraji P. Henson („Person Of Interest“), Octavia Spencer („The Help“) und Janelle Monáe („The Equalizer“) auch an Kevin Costner („Der mit dem Wolf tanzt“), der als Schlüsselfigur eine Verbindung zwischen Schwarz und Weiß herstellt. Sein Al Harrison ist ein knorriger, harter Hund, der nicht gerade den Ruf hat, besonders nett zu sein. Aber sein Ehrgeiz und sein Pragmatismus machen ihn blind für Rassenressentiments und somit wird er auch ohne jedes politische oder persönliche Motiv zum größten Fürsprecher Katherines. Das Ergebnis sind einige sehr berührende Szenen, etwa wenn Harrison mühevoll die eiserne Tafel mit der Kennzeichnung für die Schwarzen-Toiletten zertrümmert, weil es ihm gewaltig stinkt, dass seine beste Kraft täglich fast eine Stunde fehlt, weil sie über den halben Campus rennen muss, um in einem anderen Gebäude ihre Notdurft zu verrichten.

    Die Raumfahrt selbst bildet in „Hidden Figures“ nur den Hintergrund. Wer mehr über diese hochspannende Phase der NASA erfahren will, guckt am besten Philip Kaufmans Meisterwerk „Der Stoff aus dem die Helden sind“. Die wichtigsten Eckpunkte des Mercury- und Apollo-Programms werden zumindest angerissen, das Set-Design ist liebevoll-authentisch. Immer wieder bindet Melfi organisch Originalaufnahmen ein und schafft so eine stimmig-nostalgische Atmosphäre.

    Fazit: Eine weitgehend unbekannte Episode der US-amerikanischen Raumfahrtgeschichte – aufbereitet als berührendes, manchmal etwas süßliches Gleichberechtigungsdrama.

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