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    Tatort: Winternebel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Tatort: Winternebel
    Von Lars-Christian Daniels

    Bereits zwei Mal trafen die „Tatort“-Kommissare Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) bei ihren Ermittlungen in Konstanz auf den Thurgauer Kollegen Mattheo Lüthi (Roland Koch): Während sich Lüthi und Blum, die in den Jahren zuvor auch immer mal wieder mit dem mittlerweile in Luzern auf Täterfang gehenden Reto Flückiger (Stefan Gubser) flirtete, 2012 bei grenzüberschreitenden Ermittlungen im „Tatort: Nachtkrapp“ beschnupperten und 2013 im „Tatort: Letzte Tage“ aneinander gerieten, setzen die Filmemacher im „Tatort: Winternebel“ nun noch einen drauf: Lüthi steht unter Mordverdacht, und die Kommissare aus Deutschland müssen gegen den vorübergehend suspendierten Schweizer Kollegen ermitteln. So weit, so gut – doch die durchaus vielversprechende Ausgangslage spielt im Krimi von TV-Regisseur Patrick Winczewski und Drehbuchautor Jochen Greve schon nach einer halben Stunde überhaupt keine Rolle mehr. Dann entpuppt sich das Ganze nämlich als ausgewachsener Entführungsfall – und der driftet aufgrund eines hanebüchenen Schlussdrittels und des wohl dämlichsten Kidnappers in der „Tatort“-Geschichte am Ende sogar unfreiwillig in Richtung Komik ab.

    An einem deutschen Ufer des Bodensees verfolgt der Schweizer Kommissar Mattheo Lüthi (Roland Koch) einen Verdächtigen: Beat Schmeisser (Marko Dyrlich) flieht zunächst im Auto, nach einem Crash dann zu Fuß. Als im dichten Winternebel zwei Schüsse fallen, liegt der Verfolgte tot am Ufer – erschossen von Lüthi, der vorgibt, aus Notwehr gehandelt zu haben. Doch die Beweise sprechen gegen ihn: Die Leiche weist keinerlei Schmauchspuren auf, und eine Waffe findet man beim Toten auch nicht. Hauptkommissarin Klara Blum (Eva Mattes) wird auf den Fall angesetzt und findet heraus, dass Jäger und Gejagter wegen eines tödlich endenden Entführungsfalls noch eine Rechnung offen hatten. Ihr Kollege Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) wird derweil an einen anderen Tatort gerufen: Unweit des ersten Leichenfundorts hat man den ertrunkenen Markus Söckle entdeckt, der kurz vor seinem Tod an Bord einer Bodenseefähre mit der verschwundenen Anna Wieler (Annina Euling) gesehen wurde. Dass beide Leichen in direkter Verbindung mit einem erneuten Entführungsfall stehen, wird den Kommissaren spätestens klar, als sie Annas Eltern befragen…

    „Wir brauchen ein paar Decken und ‘ne große Kanne Kaffee – es kann ‘ne lange Nacht werden“, warnt Klara Blum vor einer Überwachungsaktion – und spricht damit unfreiwillig aus, auf was sich die Zuschauer beim Einschalten des Bodensee-„Tatorts“ in den letzten Jahren häufig einstellen mussten. Die Krimis aus Konstanz eigneten sich nämlich oft als perfekte Einschlafhilfe am Sonntagabend, weil die Spannungskurve in der Regel flach verlief und die gemächliche Gangart in der südlichsten aller deutschen „Tatort“-Städte zum  Markenzeichen wider Willen geworden ist. In „Winternebel“ ist das ganz anders: Der packend inszenierte und buchstäblich undurchsichtige Schusswechsel am Seeufer zieht den Zuschauer sofort in die Geschichte hinein – und dadurch, dass die Schüsse im Nebel fallen, muss auch das TV-Publikum Zweifel an Lüthis Notwehr-Theorie hegen. Ein unter Verdacht stehender Ermittler (man denke zurück an den „Tatort: Die chinesische Prinzessin“ aus Münster oder den „Tatort: Der traurige König“ aus München) ist zwar kein sonderlich innovativer Einfall – diese dennoch durchaus prickelnde Ausgangslage wird von den Filmemachern letztlich aber völlig verschenkt.

    Zum einen ist Mattheo Lüthi bei seinem erst dritten „Tatort“-Auftritt anders als die etablierten Kommissare, die vor ihm ins Kreuzfeuer der Kollegen gerieten, noch lange kein Sympathieträger: Bei seinen bisherigen Einsätzen fiel er vor allem dadurch auf, den deutschen Kollegen ungestüm in die Parade zu fahre – als Identifikationsfigur zum Mitfiebern taugt er somit kaum. Noch schwerer wiegt allerdings ein anderer Aspekt: Beginnend mit der Erkenntnis, dass ein Entführungsfall vorliegt, spielt die Frage nach Lüthis Schuld oder Unschuld plötzlich überhaupt keine Rolle mehr. Die Suspendierung wird kurzerhand ohne ersichtlichen Grund wieder aufgehoben und alles geht einfach seinen gewohnten Gang. Das ist mehr als unglaubwürdig - so wie spätestens im Schlussdrittel der ganze Krimi. Der Zuschauer muss sich am Ende selbst ausmalen, was wohl genau am Seeufer passiert ist. Oder etwas überspitzt ausgedrückt: Wer eine halbe Stunde zu spät einschaltet, verpasst im Prinzip nicht viel.

    Außer eindimensionalen Figuren – allen voran der steinreiche Rabenvater Reto Wieler (Benedict Freitag) und dessen unglückliche Ehefrau Martha (Elisabeth Niederer), die natürlich in einer entsetzlich kalten und sterilen Villa leben – hat Drehbuchautor Jochen Greve vor allem kratergroße Logiklöcher und ein halbes Dutzend praktischer Zufälle (Stichwort: Pinnwand) im Köcher, die den Krimi im finalen Drittel Richtung Humbug abdriften lassen. Nur zwei Beispiele: Während sich Kommissar Perlmann bei einer Fahrt zum möglichen Ort der Geldübergabe peinlichst darum bemüht, nicht entdeckt zu werden, schlagen die Polizisten schon im nächsten Augenblick mit sage und schreibe neun (!) Personen an der tatsächlichen Stelle der Transaktion auf. Wohlgemerkt ohne zu wissen, ob der Entführer – der sich seinerseits immer wieder geradezu unvorstellbar dämlich anstellt – die fröhlich plauschende Ermittlertruppe beobachtet. In der Folge hantiert der Täter dann demonstrativ mit einem Jojo herum, damit er von den Gesetzeshütern, die in einem ausgebrannten Wohnmobil ein ebensolches Spielzeug entdeckt haben, im Getümmel auch ja auf den ersten Blick identifiziert wird. Klingt konstruiert? Ist es auch – und der „Tatort“ aus Konstanz am Ende kaum noch ernst zu nehmen. Da gerät es fast zur Randnotiz, dass der Krimi trotz der beiden Auftaktleichen einzig von der Frage am Leben gehalten wird, ob die entführte Anna ihn überlebt oder nicht.

    Fazit: Klaffende Logiklöcher, plumpe Stereotypen und ein hanebüchenes Schlussdrittel – Patrick Winczewskis „Tatort: Winternebel“ ist eine der schwächsten „Tatort“-Folgen des Jahres 2014.

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