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    Ferrari
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Ferrari

    Michael Mann ist zurück - und wie!

    Von Björn Becher

    Trotz zahlreicher Meisterwerke wie „Heat“, „Insider“ oder „Collateral“ schien am Ende ein einzelner Flop die Karriere von Michael Mann von Heute auf Morgen beendet zu haben: Das – zugegeben ziemlich teure - Hacker-Drama „Blackhat“ mit Chris Hemsworth fiel 2015 an den Kinokassen wirklich komplett durch! Nun aber feiert Mann doch noch ein spätes Comeback: Während inzwischen viele Kinofans erkannt haben, dass „Blackhat“ womöglich einfach nur seiner Zeit voraus war und nun sogar eine Neuveröffentlichung des „Director's Cut“ ansteht, hat Mann nicht nur mit „Heat 2“ einen Bestseller-Roman geschrieben sowie mit „Tokyo Vice“ eine vielbeachtete Serie vorgelegt – er liefert mit stolzen 80 Jahren auch noch mal einen Kinofilm.

    Mit dem Biopic „Ferrari“ widmet er sich einem Thema, das er schon Jahrzehnte als Idee mit sich herumträgt und welches er kurz nach „Blackhat“ eigentlich bereits mit Christian Bale in der Hauptrolle in Angriff nehmen wollte. Nun spielt stattdessen Adam Driver zum zweiten Mal nach „House Of Gucci“ mit einem teilweise auch scharf an der Grenze zur Komik entlangschrammenden Akzent eine italienische Legende. Doch trotz dieser und anderer kleiner Casting-Absurditäten gelingt Mann ein eindrucksvolles Psychogramm mit gelegentlichen Längen, die aber jedes Mal sofort weggefegt werden, sobald ein Auto auf der Leinwand zu sehen ist.

    Kommt zu selten vor – ein Ferrari wird verkauft.

    1957: Das Lebenswerk von Enzo Ferrari (Adam Driver) ist in höchster Gefahr! Die von ihm gemeinsam mit seiner Ehefrau Laura (Penélope Cruz) kontrollierte Autofirma braucht dringend Geld von einem externen Investor. Nicht einmal 100 der Luxusschlitten verkauft man aktuell im Jahr – viel zu wenig, um den Rennsport – und damit den eigentlichen Existenzgrund für die Firma – zu finanzieren. Und nun hat ausgerechnet Konkurrent Maserati den roten Flitzern den Rekord auf der Hausstrecke in Modena geklaut.

    Um den Wert der Firma vor dem Teilverkauf zu steigern, soll der prestigeträchtige Sieg beim so gefährlichen wie legendären Rennen Mille Miglia eingefahren werden: Mehr als 1.000 Meilen geht es auf öffentlichen Straßen quer durch Italien. Während sich die fünf Ferrari-Fahrer um den Routinier Piero Taruffi (Patrick Dempsey) sowie den kurzfristig angeheuerten spanischen Shooting-Star Alfonso de Portago (Gabriel Leone) vorbereiten, versucht Enzo nicht nur seine Firma, sondern auch sein Privatleben auf Kurs zu halten. Schließlich droht seine Frau herauszufinden, dass er mit Lina (Shailene Woodley) nicht nur eine Geliebte, sondern mit ihr auch noch einen zwölf Jahre alten Sohn hat...

    Der Tod sitzt immer auf dem Beifahrersitz

    Natürlich ist „Ferrari“ auch ein Film über die letzte Auflage des Mille Miglia – das legendäre Rennen wurde 1957 nach 30 Jahren verboten! Den zum endgültigen Aus führenden Horror-Crash inszeniert Michael Mann zwar mit deutlich sichtbarer CGI-Unterstützung, aber das mindert den Schockfaktor kaum: Mit den bereits im Vorfeld angekündigten abgetrennten Gliedmaßen ist der Unfall dermaßen brutal-blutig, dass einem der Atem stockt. Dennoch bleibt der Rennsport am Ende nur eine Randerscheinung in einem Film, der stattdessen vielmehr das Psychogramm eines Mannes zeichnet, in dessen Leben der Tod seit jeher ein ständiger Begleiter ist.

    In besonders gelungenen Szenen arbeitet Mann Ferraris zwei parallele Leben und deren Gegensätzlichkeiten heraus: Da schiebt Enzo in der Auftaktszene sein Auto an, um es einen kleinen Hügel hinabrollen zu lassen, bevor er aufs Gaspedal drückt. Aber der Wagen hat nicht etwa eine Panne, er will nur nicht seine Geliebte Lina oder seinen Sohn Piero aufwecken. In der heimischen Villa hingegen feuert Ehefrau Laura erst einmal eine Pistole auf ihn ab.

    Will meist keine Gefühle zeigen: Enzo Ferrari (Adam Driver).

    Auch wenn Mann mit seinen starken Nebendarstellerinnen Penélope Cruz und Shailene Woodley immer wieder deutlich macht, wie entscheidend die beiden Frauen im Leben seines Protagonisten sind, steht Adam Driver als Enzo Ferrari ganz klar im Zentrum: Der groß gewachsene „Star Wars“-Star entwickelt auch mit grauem, zurückgekämmtem Haar eine unglaubliche Präsenz, sodass es gar keine zusätzliche Erklärung braucht, wenn sich immer wieder Köpfe ehrfürchtig in seine Richtung drehen. Mit dieser natürlichen Gravitas kann er auch Journalisten manipulieren, um die Geschichte zu bekommen, die er bei der Suche nach einem Investor gerade braucht. Doch vor allem brilliert Driver in den ruhigen Szenen – ob beim Zwiegespräch mit dem toten Erstgeborenen in der Familiengruft oder beim Verteilen von väterlichem Rat an den noch heimlichen Sohn in der Küche des für Lina gekauften Landhauses.

    Es mag sich in der Originalfassung bisweilen ein wenig befremdlich anhören, wenn Adam Driver und einige andere Stars immer wieder einen italienischen Akzent einmischen oder sich bei Penélope Cruz die spanischen Wurzeln deutlich im Zungenschlag zeigen. Doch im Gegensatz zu „House Of Gucci“, wo es auch bewusste Karikatur war, rutschen diese Szenen hier nie ins Komische ab. Die Momente nehmen nichts von der Wucht der Erzählung und dem Drama um den Protagonisten.

    Vom Sterben abgeschottet

    In einem besonders eindrucksvollen Moment offenbart Enzo, dass er eine Mauer um sich errichtet habe, um jene Todesfälle, die im Rennsport nun mal ständige Begleiter sind, nicht länger an sich heranzulassen. Was er damit meint, wird an anderer Stelle deutlich. Als sein Topmann nach einem Unfall aus dem Wagen geschleudert wird und schließlich wieder auf der Strecke aufschlägt, rennt Enzo im Gegensatz zur übrigen Crew nicht zu dem ohnehin nicht mehr zu rettenden Rennfahrer.

    Seine Aufmerksamkeit gilt vielmehr dem gerade noch abgelehnten Bewerber, der nun doch bitte Montag zur Vertragsunterzeichnung ins Büro kommen solle („Ferrari“ hat insgesamt sowieso einen ziemlich trockenen, mitunter gar makabren Humor). Es ist immer wieder faszinierend, wie viel Mann und sein bereits 2009 im Alter von 77 Jahren verstorbener Drehbuchautor Troy Kennedy Martin („Stoßtrupp Gold“) mit kleinen Gesten schildern, ohne sich in ausschweifende Erklärungen ergeben zu müssen. Einige Längen haben sich in das Alle-Bälle-auf-einmal-in-der-Luft-halten-Management von Familie, Firma und Rennsport aber zugegeben auch eingeschlichen.

    Absolut brillant: die Rennszenen!

    Doch jeder Anflug einer Länge ist wie weggewischt, wenn die Motoren röhren und Autos über Rennstrecken und gar öffentliche Straßen brettern: Mit einer audiovisuellen Meisterleistung beweist Michael Mann, dass er auch mit 80 Jahren das Gros der Hollywood-Kolleg*innen noch immer locker in die Tasche steckt. „Mank“-Bildgestalter Erik Messerschmidt schafft eindrucksvolle Bilder, wenn die Kamera meist an den Seiten der Wagen befestigt ist und so nur knapp über dem Asphalt liegend mitreißend unterstreicht, welche Kräfte hier am Werk sind. Unterstützt wird er dabei von einem herausragenden Sounddesign, das noch stärker das Gefühl verleiht, selbst mit an Bord dieser damals noch lebensgefährlichen Boliden zu sein.

    Fazit: Michael Mann ist zurück! Mit „Ferrari“ schafft die Regie-Legende im Alter von 80 Jahren ein eindrucksvolles Comeback, bei dem vor allem Adam Driver sowie alle Szenen mit röhrendem Motorenlärm begeistern.

    Wir haben „Ferrari“ beim Filmfestival Venedig 2023 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs seine Weltpremiere gefeiert hat.

     

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