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    Tatort: Ich töte niemand
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Tatort: Ich töte niemand
    Von Lars-Christian Daniels

    Eine solche Namensdopplung hat es in der fast 50-jährigen Geschichte der beliebtesten öffentlich-rechtlichen Krimireihe noch nie gegeben: Im starken Frankfurter „Tatort: Unter Kriegern“ trug der Mörder exakt den gleichen Namen wie ein Kommissar aus einer anderen „Tatort“-Stadt! Der Zufall oder vielmehr der Programmplaner der ARD will es nun, dass ausgerechnet dieser Ermittler bereits am Sonntagabend nach dem Hessen-Krimi im Fernsehen auf Täterfang geht. Anders als sein elfähriges Pendant (Juri Winkler), das neben seiner eigenen Mutter auch noch zwei gleichaltrige Kinder ungestraft ins Jenseits beförderte, ist Kriminalkommissar Felix Voss (Fabian Hinrichs) in Franken für die Aufklärung und nicht für die Vertuschung von Verbrechen zuständig. Bis zum dramatischen Showdown und zur Lösung seines vierten Falls ist es in Max Färberböcks „Tatort: Ich töte niemand“ allerdings ein langer und durchaus beschwerlicher Weg: Das ästhetisch sehr eigenwillige Krimidrama zählt zu den sperrigsten Folgen der jüngeren „Tatort“-Geschichte und stellt selbst hartgesottene Zuschauer zuweilen auf eine echte Probe, ist dabei aber auch oft auf sehr faszinierende Weise ungewöhnlich.

    Die Nürnberger Kommissare Felix Voss (Fabian Hinrichs) und Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) werden an den Schauplatz eines Doppelmordes gerufen: Ein vorbildlich integrierter Libyer und seine Schwester liegen in einem Haus am Stadtrand – brutal erschlagen und schon seit mehreren Tagen tot. Eine Spur führt die fränkischen Ermittler, die bei ihren Recherchen von den Kollegen Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) und Sebastian Fleischer (Andreas Leopold Schadt) unterstützt werden, zu einem wissenschaftlichen Mitarbeiter der Uni Erlangen: Ahmad Elmahi (Josef Mohamed), der Ziehsohn der beiden Opfer, ist von der Bildfläche verschwunden und war Zeuge in einem Prozess gegen drei Deutsche, die einen Pizzaboten in den Rollstuhl befördert haben. Galt der Anschlag ihm? Während Voss und Ringelhahn dieser Frage nachgehen, erreicht sie eine Hiobsbotschaft: Ihr Kollege Frank Leitner (André Hennicke) vom Betrugsdezernat kommt durch eine Wechselwirkung von Medikamenten ums Leben. Seine Frau Gudrun (Ursula Strauss) ist geschockt – und wusste offenbar auch nichts von der rechtsradikalen Literatur, die Ringelhahn im Bücherregal des Toten findet. Die wiederum war eng mit Leitner befreundet – und deshalb geht ihr der Fall besonders an die Nieren...

    Der 1055. „Tatort“ beginnt noch ganz klassisch: Nach dem Hineinschnuppern ins Privatleben der Ermittler – Voss feiert eine verspätete Einweihungsparty mit Freunden und Kollegen – inspizieren die Kommissare die Leichen, besprechen ihre Erkenntnisse mit Spurensicherungsleiter Michael Schatz (Matthias Egersdöfer), holen sich den obligatorischen Rüffel bei ihrem Vorgesetzten – dem Polizeipräsidenten Dr. Mirko Kaiser (Stefan Merki) – ab und debattieren im Dienstwagen über ihr Schicksal als Kripo-Ermittler. Fast könnte man meinen, Regisseur Max Färberböck („Anonyma – Eine Frau in Berlin“) wolle sein Publikum einleitend in Sicherheit wiegen: Schon 2015 schockte der Filmemacher die Zuschauer, als er den starken Münchner „Tatort: Am Ende des Flurs“ mit einem dramatischen Cliffhanger enden ließ, bei dem das Leben von Hauptkommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) am seidenen Faden hing. Auch der „Tatort: Ich töte niemand“ wird Teile des Publikums ratlos zurücklassen, doch hat das einen anderen Grund: Die komplex angelegte, bisweilen jedoch politisch überkorrekt erzählte Murder-And-Revenge-Story erfordert höchste Aufmerksamkeit und gestattet weder Second Screens noch sonstige Ablenkungen.

    Nach dem soliden Auftakt nach altbekanntem Schema ist es nämlich schon bald vorbei mit dem Gemütlichkeitsmodus: Färberböck begibt sich auf ähnliches Terrain wie sein Kollege Dominik Graf, der das Publikum mit seinen berühmt-berüchtigten TV-Krimis immer wieder aufs Neue (heraus-)fordert (zuletzt im RAF-„Tatort: Der rote Schatten“). Schon nach wenigen Minuten – und damit deutlich früher als die Kommissare – wissen wir zum Beispiel, dass sich der gesuchte Elmahi im Keller von Änderungsschneider Nasem Attallah (Nasser Memarzia) aufhält – weil wir außer schemenhaften Gesichtern und (untertitelten) Dialogfragmenten aber wenig Konkretes geliefert bekommen, bleiben die Hintergründe dieses Versteckspiels lange Zeit buchstäblich im Dunkeln. Die Abwesenheit von Licht – die als visuelles Aufgreifen eines einleitenden Voss-Monologs („Unser Leben ist ein schwarzer Raum – rabenschwarz!“) gewertet werden kann, ist in diesem Franken-„Tatort“ Methode: Kameramann Felix Cramer („Allein gegen die Zeit – Der Film“) dreht auffallend oft im Schatten oder im Halbdunkel, sodass Augenpaare zu finsteren Höhlen werden und ganze Gesichtshälften unkenntlich im Schwarz verschwinden.

    Der durch den melancholischen, aber etwas eintönigen Soundtrack (allein der aus der Krimiserie „Broadchurch“ bekannte Song „So far“ von Ólafur Arnalds ertönt ein halbes Dutzend Mal) gezielt verstärkten Atmosphäre sind diese farblosen Bilder dienlich Wenn Färberböck seine Kommissare – dieses Motiv war bereits im ersten Franken-„Tatort: Der Himmel ist ein Platz auf Erden“ zu beobachten – allerdings wiederholt über endlose Landstraßen fahren lässt, verkommen diese visuell ebenfalls wunderbaren Szenen doch ein wenig zum Selbstzweck (immerhin spielt der Krimi in der Großstadt Nürnberg). Auch die Spannungskurve schlägt erst im Schlussdrittel nach oben aus: Voss‘ Party – inklusive eines Quickies unter Kollegen im Nebenzimmer – bleibt lange Zeit das Aufregendste in diesem „Tatort“. Ein brüllend komisches Highlight gibt es in diesem unter dem Strich soliden, aber nicht ganz überzeugenden Krimidrama jedoch schon vorher: Beim Verhör eines mürrischen Hauswarts (Comedian Roman „Bembers“ Sörgel) wartet Voss minutenlang auf Antworten – und die Kamera fängt dabei gleichzeitig das Gesicht des erregten Kommissars und das Hinterteil seines Gegenübers ein. Köstlich.

    Fazit: Max Färberböcks „Tatort: Ich töte niemand“ ist ein handwerklich überzeugendes, erzählerisch (über-)ambitioniertes und ästhetisch eigenwilliges Krimidrama, das es dem Publikum nicht leichtmacht.

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