Mein Konto
    Tatort: Anne und der Tod
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Anne und der Tod

    Ein eindringlicher Krimi

    Von Lars-Christian Daniels

    Die Schreckenstaten des Krankenpflegers Niels H. aus Wilhelmshaven sorgten in den vergangenen Jahren bundesweit für Schlagzeilen: Zwischen 2000 und 2005 hatte der im Jahr 2015 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Serienmörder zahlreichen Intensivpatienten eine Überdosis Medikamente verabreicht, um bei ihnen einen Herz-Kreislauf-Stillstand auszulösen und seine wehrlosen Opfer anschließend wiederzubeleben – und das nur, um sich vor seinen Kollegen als Retter aufzuspielen. Im Stuttgarter „Tatort: Anne und der Tod“ werden die Kommissare aus dem „Ländle“ nun mit einem ähnlichen Fall konfrontiert: Unter Regie von Filmemacher Jens Wischnewski geraten die Ermittler bei ihrem 23. gemeinsamen Einsatz an eine undurchsichtige Altenpflegerin, die unter dem dringenden Verdacht steht, zwei ihrer Patienten absichtlich getötet zu haben. Wenngleich die Geschichte zwei Nummern kleiner ausfällt als die genannte reale Verbrechensserie, mangelt es dem eindringlichen Krimidrama nicht an Durchschlagskraft: Wischnewski inszeniert einen auffallend dialoglastigen, aber stark gespielten und bedrückenden „Tatort“, in dem die Filmemacher nebenbei einige Mängel des deutschen Pflegeapparats aufarbeiten.

    Die Stuttgarter Hauptkommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) werden von Staatsanwältin Emilia Alvarez (Carolina Vera) auf einen neuen Fall angesetzt: Zwei bettlägerige Patienten der Altenpflegerin Anne Werner (Katharina Marie Schubert) sind unerwartet verstorben. Während bei Paul Fuchs (Harry Täschner) falsch dosierte Medikamente der Grund sind, kam Christian Hinderer (Christoph Bantzer) bei einem Treppensturz ums Leben. Weil die junge Hausärztin Maxi Scheller (Julia Schäfle) ein Fremdverschulden nicht ausschließt und Hinderers Ehefrau Gundula (Marie Anne Fliegel) Werner sogar beschuldigt, ihren Mann absichtlich die Treppe hinuntergestoßen zu haben, bitten Lannert und Bootz die Pflegerin zum Verhör. Hat sie ihre Patienten bestohlen und anschließend getötet, um ihrem Sohn Julian (Jean-Luc Caputo) etwas mehr Luxus bieten zu können? Werner, die von ihrer Chefin Maria Baumbauer (Lina Wendel) den Rücken freigehalten bekommt, weist jede Schuld von sich – und auch ihr schwerkranker Patient Eberhard Rees (Falk Rockstroh), der auf ein Sauerstoffgerät angewiesen ist, nimmt die alleinerziehende Mutter bei einem Besuch der Ermittler in Schutz. Also lassen die Kommissare Werner wieder auf freien Fuß…

    Ist Anne eine Mörderin? (© SWR/Maor Waisburd)

    Wenn man vier Minuten zum Kämmen und Rasieren hat, weil die Kasse nur 3,07 Euro zahlt, dann sieht das eben nicht aus wie bei Udo Walz“, nimmt Altenpflegerin Anne Werner der Kritik an ihrer Körperpflege zu Beginn gleich mal den Wind aus den Segeln. Ohne die Thematik aufdringlich in den Vordergrund zu rücken oder sie gar permanent im Privatleben der Ermittler zu spiegeln, macht es sich der bereits fünffach „Tatort“-erprobte Drehbuchautor Wolfgang Stauch zur Aufgabe, das TV-Publikum für die Mängel unseres Pflegeapparats zu sensibilisieren und eine Ahnung davon zu vermitteln, welch immenser Belastung Pflegekräfte in Zeiten des Fachkräftemangels in ihrem Berufsalltag ausgesetzt sind. Ähnliche Geschichten wurden im „Tatort“ zuletzt schon häufiger gespielt: Erst im April 2019 ermittelten die Dortmunder Kommissare im „Tatort: Inferno“ mitten unter überlastetem Klinikpersonal, während ihre Bremer Kollegen 2018 einer psychisch labilen Frau auf den Zahn fühlten, die mit der häuslichen Pflege ihrer jähzornigen Mutter überfordert war. Der „Tatort: Im toten Winkel“ war einer der stärksten Sonntagskrimis des letzten Jahres – diese Klasse und emotionale Wucht erreicht der Krimi von Jens Wischnewski („Die Reste meines Lebens“) allerdings nicht ganz.

    Das liegt in erster Linie daran, dass die Spannung eine gute Stunde lang auf Sparflamme köchelt: Der 1095. „Tatort“ ist ein wahnsinnig dialoglastiger, wenn auch nie langweiliger Film, bei dem die Abwechslung vor allem darin besteht, dass die Kommissare ihre Befragungen an verschiedenen Orten durchführen und die Personen wechseln, die sich den bohrenden Fragen stellen müssen. Das längste und aufschlussreichste Verhör findet dabei im Präsidium statt – eine Gemeinsamkeit, die der Film mit dem vorherigen Stuttgarter „Tatort: Der Mann, der lügt“ teilt, der über weite Strecken wie ein Kammerspiel daherkam. Und es ergibt sich eine weitere Parallele: Wurde der vielgelobte Vorgänger – ein für die Krimireihe absolut ungewöhnlicher Ansatz – konsequent aus der Sicht des Verbrechers erzählt, schlägt sich der Zuschauer diesmal eher unbewusst auf die Seite der Tatverdächtigen. Die Altenpflegerin und titelgebende Schlüsselfigur Anne Werner wirkt in den Gesprächen nämlich nicht nur glaubwürdig und unschuldig, sondern ist auch noch äußerst sympathisch – eine wahrlich nicht auf Rosen gebettete, aber niemals klagende Mutter, die sich für ihren undankbaren Sohn aufopfert und eigene Interessen stets hintenanstellt. Kann diese Frau eine Mörderin sein?

    Ein beklemmendes Finale

    Diese Frage soll an dieser Stelle natürlich nicht beantwortet werden – festgehalten sei aber, dass die Auflösung des bedrückenden Krimidramas nach dem Abspann noch lange nachwirkt und mit zum Beklemmendsten zählt, was man im „Tatort“ in den letzten Jahren gesehen hat. Ein besonderes Kompliment ist dabei Schauspielerin Katharina Marie Schubert („Ein Geschenk der Götter“) zu machen, die sich in diesem überzeugenden Stuttgarter „Tatort“ für nichts zu schade ist und den angenehm zurückhaltend agierenden Hauptdarstellern Richy Müller und Felix Klare mit ihrer vereinnahmend-authentischen Performance glatt die Show stehlen darf. Auch handwerklich setzen die Filmemacher trotz der bodenständigen Geschichte die eine oder andere Duftmarke, was aber gerade im ersten Filmdrittel etwas anstrengend ist: Die Handlung springt anfangs pausenlos zwischen verschiedenen zeitlichen Ebenen und unterschiedlichen Schauplätzen, weil Ereignisse aus der Vergangenheit und deren Nacherzählung in der Gegenwart pfiffig zusammenmontiert werden. Eine chronologische Aufbereitung und ein niedrigeres Schnitttempo wären wohl gerade beim weniger experimentieraffinen Teil des Publikums auf Gegenliebe gestoßen.

    Fazit: Jens Wischnewskis „Tatort: Anne und der Tod“ ist ein dialoglastiges, aber bewegendes Krimidrama mit einer tollen Katharina Marie Schubert.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top