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    "mother!" erklärt: Das steckt in Darren Aronofskys Psycho-Thriller mit Jennifer Lawrence

    Schöpfung, Sündenfall, Sintflut – „mother!“ ist eine großangelegte Bibelallegorie. Doch der kontroverse Psycho-Thriller erlaubt auch noch zahlreiche andere Interpretationen. Wir nehmen die Handlung auseinander und liefern euch die Erklärung.

    2017 Paramount Pictures. All Rights Reserved.

    Schon jetzt steht fest: „mother!“ ist ohne Frage einer der kontroversesten Filme des Jahres. Bei der Premiere in Venedig spaltete der Film das Publikum und erntete sowohl Applaus als auch Buhrufe und auch in der FILMSTARTS-Redaktion entbrannten nach der Pressevorführung in Berlin sofort hitzige Diskussionen. Von abfälligem Gelächter bis flammender Begeisterung waren alle Reaktionen vertreten, doch in einer Hinsicht waren sich fast alle Redakteure einig: In Darren Aronofskys neustem Film steckt eine Menge drin. In dem folgenden Artikel erklären wir euch die Handlung von „mother!“ und verraten euch, wie wir den Film verstanden haben. Dabei versteht es sich von selbst, dass sich SPOILER nicht vermeiden lassen.

    Javier Bardem als Gott und Jennifer Lawrence als Erde/Mutter Natur

    Laut der offiziellen Synopsis ist „mother!“ ein Film über einen Autor mit Schreibblockade, der mit seiner jüngeren Ehefrau in einem abgelegenen Haus lebt, doch schon in den ersten Szenen wird klar, dass in dem Film noch mehr steckt. Javier Bardems Figur (offiziell „Him“ bzw. „Er“ betitelt – man beachte die Großschreibung) bringt mit Hilfe eines mysteriösen Kristalls das heruntergekommene Haus im Schnelldurchlauf auf Vordermann, er erschafft also gewissermaßen die Welt. Später wird Bardems Figur dann sogar explizit als „Creator“ beziehungsweise „Schöpfer“ bezeichnet. Jennifer Lawrence‘ Figur steht anfangs, wie ihr Name „mother“ (also „Mutter) andeutet, vor allem für die personifizierte Erde oder, etwas poetischer: für die Mutter Natur (zu ihrer Rolle als Maria gibt es mehr weiter unten). Sie wird von Bardem erschaffen und hat eine intensive Bindung zum Haus (also zur Welt) und kann deren Zustand erfühlen: das schlagende Herz in den Wänden, das immer kränker wird, denn: Unsere Welt wird auch immer kränker.

    Ed Harris und Michelle Pfeiffer als Adam und Eva

    Die Zweisamkeit von Gott und Mutter Natur wird jedoch bald von der unerwarteten Ankunft von Ed Harris‘ Figur („Man“) unterbrochen. Welche biblische Figur Harris darstellen soll, wird spätestens dann deutlich, als man ihn kurze Zeit später über die Toilette gebeugt sieht: Er hat eine Wunde im Bereich der Rippen und ist also offensichtlich Adam, aus dessen Rippe in der Bibel die erste Frau Eva geschaffen wurde. Der Auftritt von Eva (Michelle Pfeiffer als „Woman“) lässt dann auch nicht lange auf sich warten, kommt aber dennoch überraschend für Lawrence‘ Figur: Sie fragt Bardems Gott, ob er gewusst habe, dass Harris‘ Adam eine Frau hat, was deutlich impliziert, dass das bis vor kurzem nicht der Fall war und dass Pfeiffers Eva gerade eben erst erschaffen wurde.

    Auch der Sündenfall von Adam und Eva hat es in Aronofskys Film geschafft: Trotz mehrerer Warnungen, dass sie im Arbeitszimmer alleine nichts zu suchen haben und vor allem den Kristall nicht berühren sollen, tun Adam und Eva genau das und der Kristall (= der biblische Apfel) geht kaputt. Daraufhin werden sie aus dem Arbeitszimmer, dem Paradies, verbannt. Um den Sündenfall zu verdeutlichen, zeigt der Regisseur die beiden anschließend beim Sex. Auch hat Aronfoskys Eva ihren Adam zu der Tat verführt, so wie die biblische Eva ihren Adam angestiftet hat. Anschließend nagelt Bardems Figur das Arbeitszimmer zu, so wie Gott die Menschheit für immer aus dem Paradies verbannte.

    Domhnall Gleeson und Brian Gleeson als Kain und Abel

    Doch damit noch nicht genug der alttestamentarischen Allegorien, denn auch die Geschichte von Kain und Abel ist in „mother!“ versteckt: Nach dem oben beschriebenen Sündenfall bekommen die Bewohner des Hauses Besuch von den beiden Söhnen von Harris‘ und Pfeiffers Figuren, einem „Ältesten Sohn“ (Domhnall Gleeson) und einem „Jüngeren Bruder“ (Brian Gleeson). Auch in der Bibel sind Kain und Abel die direkten Nachfahren von Adam und Eva, genauer gesagt deren erstes und zweites Kind, und auch dort folgt ihre Geschichte direkt auf den Sündenfall. Und wie in der biblischen Geschichte erschlägt auch in „mother!“ der ältere Bruder den jüngeren aus Neid und Missgunst (so zumindest wird die Tat in der Bibel meistens verstanden).

    Interessant ist dabei auch der Blutfleck, der im Haus zurückbleibt und sich nicht entfernen lässt, ja sich sogar ausbreitet: Kains Tat war der erste Mord, der je geschehen ist, gewissermaßen ein Makel, der sich nicht mehr entfernen lässt. Und weil Abels Ermordung natürlich nicht der letzte Mord war, breitet sich dieser Makel sogar immer weiter aus.

    Die Sintflut

    Wie auch in der Bibel führen der Sündenfall und der erste Mord in „mother!“ keineswegs dazu, dass sich die Menschheit bessert. Zwar trauern Aronofskys Adam und Eva angemessen um ihren toten Sohn, doch noch auf der Trauerfeier eskaliert die Situation erstmals, die Gäste benehmen sich daneben und das Haus wird in Mitleidenschaft gezogen. Schließlich bricht eine Rohrleitung, Wasser spritzt überall hin und Bardems Figur wirft die Gäste endlich aus dem Haus. Hier ist die Bibelanspielung weniger deutlich, aber dennoch kann man diese Szene als Anspielung auf die Sintflut verstehen. Auch die erfolgt schließlich, weil die Menschheit einfach nicht von ihrem sündhaften Treiben lassen kann, und soll dafür sorgen, dass derartiges Verhalten künftig nicht mehr vorkommt.

    Das Neue Testament

    Damit beendet Aronfosky seine alttestamentarische Allegorie und wendet sich nach einer Periode von Frieden und Ruhe – die Beziehung von Bardem und Lawrence blüht auf, sie wird schwanger und beendet die Renovierungen am Haus, er überwindet endlich seine Schreibblockade – dem Neuen Testament zu. Lawrence wird nun zu Maria und bringt Gottes Sohn zur Welt, nur um mit ansehen zu müssen, wie dieser in einer der verstörendsten Szenen des Films von den Menschen getötet wird, so wie auch Jesus ermordet wurde. Doch damit nicht genug: Die Menschen verzehren den Körper des Säuglings in einer grausigen Anspielung auf das christliche Abendmahl, in dem, je nach Konfession, symbolisch oder tatsächlich der Leib Christi verspeist wird.

    Auch ganz am Schluss von „mother!“ besinnt sich Aronofsky noch einmal auf das Neue Testament. Denn dort zerstört Lawrence‘ verzweifelte, zu allem entschlossene Mutter das Haus in einer feurigen Explosion – ganz so wie auch die Offenbarung des Johannes (passenderweise das letzte Buch des Neuen Testaments) eine feurige Apokalypse voraussagt.

    Kristen Wiigs Figur, auf den ersten Blick lediglich die Literaturagentin von Bardems Autor, passt ebenfalls ins neutestamentarische Bild. Ihr offizieller Rollenname lautet „Herald“, sie vereint also in sich die Rolle und Funktion der Apostel und der aus ihnen hervorgegangen christlichen Kirche. Sie vermittelt anfangs zwischen Gott und Menschen, nutzt aber später auch ihre Position aus und treibt die Verfolgung und Hinrichtung von Andersgläubigen voran.

    Das Haus als Spiegel der Gegenwart

    Natürlich ist diese umfangreiche Schöpfungs- und Bibelallegorie nicht der einzige Weg, wie man „mother!“ verstehen kann. Mit der völlig eskalierenden zweiten Belagerung des Hauses durch ungebetene Gäste zeichnet Aronofsky nämlich auch ein sehr klares und sehr pessimistisches Bild der Gegenwart beziehungsweise der nahen Zukunft. Nur wenige Minuten dauert die Eskalation auf der Leinwand, doch darin reißt der Regisseur eine Menge Themen an.

    Wenn die Gäste das Haus etwa rücksichtslos zerstören, um sich Andenken mitzunehmen, dann verweist das eindeutig auf die rücksichtslose Zerstörung der Erde und der Umwelt durch die Menschheit. Auch das Thema Überbevölkerung wird hier angeschnitten: Das Haus ist vor lauter Gästen bald völlig überladen, die Bilder von verzweifelten, heimatlosen Menschen erinnern zudem nicht zufällig an die allgegenwärtigen Bilder der Flüchtlingskrise. Auch die zunehmende soziale Ungerechtigkeit in unserer Welt bleibt nicht unerwähnt, schnell entwickelt sich offenbar auch im Haus eine Art Zweiklassengesellschaft, bei der zwischen den Bewohnern des Erdgeschosses und den Auserwählten auf dem ersten Treppenabsatz unterschieden wird, dazu kommen Bilder von Straßenschlachten wie man sie erst jüngst wieder auf den Protesten gegen den G20-Gipfel sah (und es schon bei vorherigen Demos gegen ähnliche Veranstaltungen gab).

    In der Architektur des Hauses klingt zudem noch einmal ein christliches Thema an: Der düstere Keller mit der altmodischen Heizung (Stichwort: Feuer) lässt sich problemlos als Hölle verstehen, das Erdgeschoss, wo der Hauptteil der Handlung spielt, wäre demnach die Erde und der erste Stock der Himmel, in den nur wenige Auserwählte gelangen können – schon in der Adam-und-Eva-Interpretation fungierte das Arbeitszimmer ja als Paradies. Nicht zufällig wird so bei der ersten Party allen Gästen der Zutritt zum oberen Stock verwehrt.

    Weitere Interpretationsansätze

    Doch selbst damit ist noch längst nicht Schluss. Der Autor dieser Zeilen etwa hat „mother!“ zunächst als einen nicht enden wollenden Albtraum verstanden, der in seiner fast schon grotesken Eskalation offenbar die Angst vor einem Kontrollverlust zum Ausdruck bringt (dieser Interpretation haben wir ein ganzes Special gewidmet). Und wo es so offensichtlich um die Liebesbeziehung zweier Personen geht, ist es sicherlich auch nicht zu weit hergeholt, „mother!“ als Beziehungsanalyse zu verstehen. Wert scheint Aronofsky dabei vor allem auf das ungleiche Kräfteverhältnis der Liebenden zu legen, er ist älter, erfolgreich und bestimmend, sie jünger, bescheiden und zurückhaltend.

    Außerdem schneidet der Filmemacher fraglos das Thema Starkult an und warnt anhand von Bardems Figur und seiner Anhänger vor der verführerischen Wirkung von Ruhm auf der einen Seite und vor der blinden Verehrung von Berühmtheiten auf der anderen. Nicht zuletzt behandelt Aronofsky natürlich auch das Thema Mutterschaft (der Titel des Films deutet es an) und so lässt er seine Hauptfigur im Schnelldurchlauf verschiedene Stadien des Mutterseins durchlaufen: Hoffnungsvolle Erwartung während der Schwangerschaft, Freund und Leid während der Geburt und schlussendlich auch den Schmerz des (erzwungenen) Abschieds vom Kind.

    Offene Fragen

    Doch wo wir gerade schon bei Lawrence‘ Figur sind: An einigen Szenen aus „mother!“ zerbrechen wir uns immer noch den Kopf. Was etwa hat es mit der mysteriösen Medizin auf sich, die die Mutter mehrere Male zu sich nimmt? Ist es lediglich eine tatsächliche Medizin zum Bekämpfen der Panikattacken, an denen Lawrence’ Figur offenbar leidet? Oder versteckt sich dahinter auch eine Metapher? Was meint ihr?

    Ebenso rätseln wir bislang vergeblich über das Herz, das die Mutter in der Toilette entdeckt, nachdem Harris‘ Figur die erste Nacht im Haus zu Gast war. Und warum ist seine Figur offensichtlich krank, als sie am Haus eintrifft? Wenn euch dazu etwas einfällt – wir sind über jeden Denkanstoß dankbar.

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