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    Lebenszeichen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Lebenszeichen
    Von Jan Hamm

    Bald ein halbes Jahrhundert lang hat Werner Herzog unseren Planeten erforscht und seine Mysterien in spektakulären Spiel- und Dokumentarfilmen festgehalten. Mit seinem Auftritt als Jury-Vorsitz der Berlinale 2010 schließt sich der Kreis: 1968 nahm Herzog eben dort den Silbernen Bären für seinen ersten Langfilm „Lebenszeichen“ entgegen. Mit dem noch unter dem Titel „Feuerzeichen“ verfassten Drehbuch hatte er vier Jahre zuvor den Carl-Meyer-Preis gewonnen und mit dem Preisgeld von 10.000 DM eine enorm produktive Karriere begründet. Dass der Film nun im Berlinale-Programm 2010 vertreten ist, darf als Verneigung vor dem Altmeister gelten. Doch auch abseits nostalgischer Sentimentalität lohnt der Blick zurück, denn das Spielfilmdebüt des Auteurs ist weit mehr als eine filmhistorische Fußnote. Im Spannungsfeld zwischen Romantik, Don Quixote und eigenen Jugenderfahrungen zeichnet Herzog - seinem Oeuvre thematisch die Bahn ebnend - ein scharfsinniges Gemälde sprachlosen Wahnsinns. Die visuelle Wucht späterer Meisterwerke wie Aguirre, der Zorn Gottes oder Fitzcarraldo ist hier zwar noch vage Zukunftsmusik, trotzdem begeistert „Lebenszeichen“ als symbolbeladenes Theater gleichermaßen subtiler wie unverschämter Absurditäten auch heute noch unverändert.

    Der Zweite Weltkrieg erschüttert Europa, an der griechischen Peripherie jedoch ist davon wenig zu spüren. Nach einer Rast im Lazarett wird der verwundete Deutsche Stroszek (Peter Brogle) auf die Insel Kos versetzt. Dort soll er sich auskurieren und mit seinen Kameraden Becker (Wolfgang von Ungern-Sternberg) und Meinhard (Wolfgang Reichmann) über ein Hafenkastell wachen, in dem alte Munitionsbestände gelagert werden. Den ereignislosen Alltag vertreiben sich die Männer mit der Renovierung des Gemäuers und tatsächlich scheint der frisch mit einer Einheimischen (Athina Zacharopoulou) vermählte Soldat zur Ruhe zu kommen. Doch der Frieden ist nicht von Dauer - täglich zehren Hitze und sinnfreier Auftrag mehr an Stroszeks Nerven. Um der Tristesse zu entfliehen, meldet er sich zur Patrouille durch das angeblich von Partisanen unterwanderte Umland. Auf Feinde trifft er zwar nicht, als sich ihm aber von einer Hügelkuppe aus ein Panorama hypnotisch rotierender Windräder eröffnet, ist es um seinen Geist geschehen. Im Größenwahn besetzt er das Kastell, deklariert die harmlose Bevölkerung zur Feindmacht und droht an, das Örtchen in die Luft zu sprengen...

    Werner Herzog ist kein Mann kleiner Gesten, das war er von Beginn an nicht. Der Mythos des Kinski-Bezwingers (Mein liebster Feind) nahm bereits am Set von „Lebenszeichen“ Gestalt an. Es heißt, einer geplatzten Drehgenehmigung für das finale Feuerwerk folgend sei Herzog bei den lokalen Behörden aufmarschiert und hätte gedroht, sein Vorhaben mit Waffengewalt durchzusetzen. Ein effektiver Bluff: Die griechische Polizei war so verunsichert, dass sie ihn gewähren ließ. Die Kompromisslosigkeit Herzog‘scher Regiepraxis entspricht seit jeher der Extravaganz seiner Autorenvision. Bereits als 15-Jähriger war der gebürtige Münchener durch Griechenland gepilgert, hatte das ihn überwältigende Windrad-Panorama erblickt und den Schrecken eines Quixote nachempfunden. Um dieses zentrale Bild, diese Landschaft in Ekstase, schrieb er sein „Feuerzeichen“-Drehbuch, während Stroszek als Chimäre aus einer Zeitungsnotiz über einen Kriminalfall aus dem Siebenjährigen Krieg und der romantischen Achim von Arnim-Erzählung „Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau“ (1818) hervor ging. Herzogs Stroszek ist ein tragischer Held, sein Aufbegehren richtet sich gegen eine Welt, die auf Sinnfragen hin stumm bleibt.

    Sinnbefreit ist bereits die Tätigkeit der Soldaten: Die drei Deutschen bewachen ein Depot in einer vom Krieg unberührten Landschaft, gefüllt mit Munition, die in keinen deutschen Lauf passt. Seine Verletzung, so der lakonische Off-Erzähler, zieht Stroszek sich während einer Gefechtspause in einer gut kontrollierten Ortschaft zu. Die Abwesenheit gegnerischer Heere gebiert Feindphantasmen, etwa bei Meinhard, der mit einer grotesken Fallenkonstruktion immerhin zwei Kakerlaken überrumpeln kann: „Das haben die jetzt davon. Weil die so widerlich sind!“ Dann duelliert er sich mit Becker darüber, wer es länger auf einer imaginierten Bank aushält. Als Meinhard aufgibt, resigniert Becker: „Jetzt bleibe ich nur noch gegen mich selber.“ Aktion als Prinzip erweist sich als hohle Phrase - ein Motiv, das der Auteur bereits in seinem Kurzfilm Die beispiellose Verteidigung der Festung Deutschkreuz (1966) etablierte.

    Den Grund dieses Scheiterns verortet Herzog im Versagen der Sprache als Welterkennungs- und -beschreibungsinstrument. Gewagt stilisiert er ein gelangweilt im Hafen brütendes Kind zum Propheten des großen Verstummens, wenn er es ohne Adressaten klagen lässt: „Nun, da ich sprechen kann - was soll ich sagen?“ Auch die antiken Inschriften, die Becker von verstreuten Trümmerblöcken im Kastellhof zu entziffern sucht, ergeben nur Kauderwelsch. Die Welt ist fragmentiert, einheitliche Identität bloß noch Illusion. Eben daran verzweifelt Stroszek, daran entzündet sich sein Delirium: „Er wolle die Erde zum Beben bringen. Da käme dann schon heraus, was wirklich in den Häusern sei und was wirklich unter den Dingen liege.“ Es scheint, als traue ihm fortan selbst die Kamera nicht mehr, verharrt sie doch im Schlussakt vor den Kastellmauern. In der Schwärze der Nacht ist sein Feuerwerk das einzig mögliche „Lebenszeichen“ aus einem entsprachlichten und sinnbefreiten Raum. Peter Brogle porträtiert seinen Stroszek zu Beginn mit stoischer Ruhe, unterbricht den Trott dann zunehmend mit kleinen Eruptionen und verglüht schließlich regelrecht im Exzess.

    Wolfgang von Ungern-Sternberg und Wolfgang Reichmann spielen dagegen scharf an der Grenze zur Karikatur - etwas anderes ließ ihnen das an Absurditäten reiche Drehbuch auch gar nicht erst übrig. In einer Nebenrolle als über die Unberechenbarkeit Chopins sinnierender Pianist ist Herzogs späterer Hofkomponist Florian Fricke zu sehen. Dessen magische Kompositionen fehlen hier noch, die sonnig-friedliche Greek-Folk-Untermalung feilt jedoch einen boshaften Kontrast zur Trägödie Stroszeks aus. „Lebenszeichen“ ist das Statement eines von Beginn an hochgradig selbstsicheren Autors, eine Kampfansage an die Trivialität des deutschen Nachkriegskinos und ein Ausblick auf Herzogs Kernthemen - bis hin zur Erbfeindschaft mit dem Federvieh, die Herzog über Meinhard auf den Punkt bringt: „Mein Gott, hat so ein Huhn einen blöden Ausdruck. Da wird man direkt selber hypnotisiert. Huhn, wer hypnotisiert hier wen?“ Aus diesem Duell geht über vierzig Jahre später eindeutig Werner Herzog als Sieger hervor, wenn er als Kopf der Berlinale-Jury 2010 zu den Wurzeln seiner Karriere zurückkehrt.

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