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    Fear(s) Of The Dark
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Fear(s) Of The Dark
    Von Nicole Kühn

    Animationsfilme sind schon lange nicht mehr nur Kinderfilme. Die französische Kompilation „Fear(s) Of The Dark“ ist definitiv keiner. Sechs renommierte Comic-Zeichner und Grafik-Künstler begeben sich unter der künstlerischen Gesamtleitung von Etienne Robial tief in die Abgründe der menschlichen Seele und bringen in äußerst unterschiedlichen Stilen Urängste des Daseins auf die Leinwand. Statt auf plakative Horrorelemente bauen sie allesamt auf das beklemmende Gefühl unheilvoller Ahnungen. Diffuse Ängste gewinnen im kontrastreichen Schwarz-Weiß der vier in sich abgeschlossenen Episoden und der zwei Segmente, die sich in den Übergängen zwischen den einzelnen Teilen fortschreiben, scharfe Konturen.

    Kinder haben Angst vor dem Dunklen, wo sie keine klaren Formen unterscheiden können, wo die Sinneswahrnehmungen verschwimmen und das Erkennen verhindert wird. Das ist bei Erwachsenen meist nicht anders: Die Angst vor allem, was man nicht eindeutig zuordnen kann und vor dem, was sich vielleicht unter der sichtbaren Oberfläche verborgen hält, bleibt uns im Grunde lebenslang erhalten. So sind es oft die Außenseiter, in deren Verhalten und Erleben die Unsicherheiten des täglichen Lebens beispielhaft zum Vorschein kommen. Da ist etwa der introvertierte junge Mann, der sich von Kindheit an in die faszinierende Welt der Insekten verkrochen hat und darüber etwas menschenscheu geworden ist. Bis ihm an der Uni eine forsche Kommilitonin die Tür zu den Freuden der Zweisamkeit öffnet. Doch auch sie scheint auf ihre Weise ein verpupptes Wesen zu sein….

    Während der Protagonist der von Charles Burns inszenierten Insekten-Episode lange nicht ahnt, was ihn erwartet, bauen sich in Marie Caillous Beitrag die Albträume überlebensgroß vor der kleinen Sumako auf. In der Psychiatrie durchlebt sie immer und immer wieder ihr eigenes Psychodrama, aus dem es kein Entrinnen gibt. Poetisch und märchenhaft kommt die von Lorenzo Mattoti gestaltete Geschichte über das spurlose Verschwinden von Menschen aus einer kleinen Gemeinde in einem fernen Land daher. Darunter auch der beste Freund des Erzählers, den schließlich ein grausiger Verdacht über den Verbleib des Vermissten beschleicht. Zwischen diesen vollständig an einem Stück erzählten Geschichten taucht immer wieder ein bedrohlicher Mann auf, dessen boshafte Gesichtszüge durch seine historische Adelskleidung noch bedrohlicher wirken. Mit vier Höllenhunden geht er kompromisslos auf Menschenjagd und verbreitet von Regisseur Blutch wirkungsvoll inszenierten Schrecken. Demgegenüber wirken die von Pierre di Sciullo in stark abstrahierte Formen gefassten Gedanken einer älteren Frau, die ebenfalls als Zwischenglied in die Abfolge der Segmente eingebaut werden, wie kleine Verschnaufpausen, bevor die Bilder wieder den Sog des Unfassbaren entwickeln.

    Die stilistische und inhaltliche Bandbreite von „Fear(s) Of The Dark“ entspricht den unterschiedlichen Lebensläufen und Tätigkeitsfeldern der beteiligten Künstler. Blutch etwa, der im wirklichen Leben Christian Hincker heißt und in Straßburg geboren wurde, arbeitet bereits seit den 80er Jahren als Comiczeichner und sorgt unter anderem bei der „Libération“ und „The New Yorker“ für Illustrationen, während Charles Burns in seinem unverkennbaren Stil mit seinem Comic „Black Hole“ Kultstatus erlangte. Mit Marie Caillou setzt die Jüngste des Ensembles, die als Illustratorin für Presse und Werbung arbeitet, dagegen auf die momentan zunehmend auch im Westen populäre Manga-Ästhetik.

    Mit einem überzeugenden Konzept und durch geschickte Koordination entstand ein facettenreiches Gesamtkunstwerk, bei dem jedem der beteiligten Künstler große Gestaltungsfreiheit eingeräumt wurde und das doch weder thematisch noch ästhetisch in ein zusammenhangloses Nebeneinander zerfällt. Vielmehr ähnelt dieses Kinoerlebnis einer Geisterbahnfahrt, bei der den Fahrgast hinter jeder Kurve ein neuer intensiver Eindruck erwartet. Das Phantastische und das Realistische werden in „Fear(s) Of The Dark“ dabei oft untrennbar verwoben. Neben dem Erforschen der Tiefen der Seele spielt auch das Soziale in die Erzählungen hinein. Wenn ein kleines Schulmädchen, das von seinen neuen Mitschülern eingeschüchtert wird, sich plötzlich in einer Angst einflößenden psychiatrischen Abteilung wiederfindet, wird die Relation von Angst und Erleben, Ursache und Wirkung nachhaltig erschüttert.

    Das durchgängige Schwarz-Weiß entspricht der Absolutheit unserer Ängste: Kompromisslos wird kein Ausweg zugelassen, beschreibbare Stimmungsfarben finden hier kaum Eingang. Die Palette der eingesetzten Zeichenstile reicht dabei von düsteren Schraffierungen über geometrisch chiffrierte Formationen bis hin zum klaren Stil japanischer Mangas. Die durch die jeweilige Bildsprache evozierte Atmosphäre wird durch sorgfältig komponierte Musik effektvoll unterstrichen. Mit René Aubry, Boris Gronemberger, Laurent Perez Del Mar und George Van Dam haben sich die Zeichner namhafte Soundtüftler mit ins Boot geholt. So erzeugt der Film genau das schaurig-schöne Gruseln, das die Konfrontation mit den eigenen Ängsten zu einem ebenso unheimlichen wie faszinierenden Erlebnis werden lässt, das nicht zu Unrecht Anfang 2008 in Sundance und auf vielen weiteren Festivals gefeiert wurde.

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