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    Was werden die Leute sagen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Was werden die Leute sagen
    Von Jens Balkenborg

    Was werden die Leute sagen“ ist einer dieser Filme, die sich nicht jeder einfach so aneignen kann. Denn erzählt von einem Außenstehenden könnte die Geschichte um ein durch ihre traditionellen pakistanischen Eltern unterdrücktes Mädchen schnell zu einer stumpfen pseudomoralischen Verurteilung verkommen. Aber die Regisseurin und Drehbuchautorin Iram Haq stammt selbst aus dem kulturellen Kontext ihrer Protagonisten und verarbeitet in ihrem zweiten Spielfilm „Was werden die Leute sagen“ eigene Erfahrungen, die sie geschickt mit fiktionalen Details anreichert. So gelingt ihr ein intensiver und erschreckend konsequenter Film über die schier unüberbrückbare Kluft zwischen Tradition und Moderne, der noch lange nachhallt.

    Die 15-jährige Nisha (Maria Mozhdah) lebt mit ihren pakistanischen Eltern in Norwegen. Mit ihren Freundinnen und Freunden genießt sie Alkohol und Partys, in der heimischen Wohnung muss sie sich hingegen den Regeln ihrer streng konservativen Eltern beugen. Als ihr Vater Mirza (Adil Hussain) Nisha mit einem Freund in ihrem Zimmer erwischt, schlägt er ihn kurzerhand zusammen. Gemeinsam mit ihrem Bruder entführt Mirza seine Tochter und setzt sie in den nächsten Flieger nach Pakistan, wo sie bei Verwandten nach pakistanischen Bräuchen leben soll. Nach einigen Fluchtversuchen beugt sich das Mädchen zunächst dem Schicksal und lässt sich auf das neue Leben ein. Aber als sie und Asif (Ali Arfan) sich näherkommen, verschärft sich die Situation schnell wieder...

    Gleich in den ersten Einstellungen steckt Regisseurin Iram Haq das Dilemma ihrer Protagonistin ab: Während Nisha mit angestrengtem Gesicht durch die Nacht rennt, bereitet ihr Vater die Wohnung auf die Nachtruhe vor und zieht alle Vorhänge zu. Draußen die gewollte, aber nicht geduldete Freiheit, drinnen der nach außen geschlossene, traditionelle Raum. Es ist der Anfang einer Geschichte, die davon handelt, wie Nishas Raum immer kleiner wird, wie sie eingepfercht wird durch traditionelle gesellschaftliche Zwänge, die ja bereits der Titel andeutet. In einem Interview hat Haq mal erklärt, dass „Was werden die Leute sagen“ in Pakistan und Indien ein feststehender Ehrbegriff sei, der in traditionellen Kontexten nach wie vor gilt. In den Augen der Familie bringen Nishas voreheliche Anbandelungen Schande: „Alle lachen über uns“, brüllt Mirza einmal.

    Bereits in ihrem vielbeachteten Debütfilm „Ich bin Dein“, dem norwegischen Oscarbeitrag 2013, erzählte Haq von einer jungen pakistanischen Frau, die in Oslo lebt und ein problematisches Verhältnis zu ihrer Familie hat. Bei „Was werden die Leute sagen“ spürt man nun förmlich, wie die Regisseurin ihre Wut kanalisiert, denn sie wurde als 14-jähriges Mädchen selbst von ihrer Familie nach Pakistan entführt. Die Stärke ihres Films liegt einerseits darin, dass sie die Ambivalenzen des traditionellen Systems aufzeigt: Neben den strengen Regeln stehen die positiven Momente, wie etwa der Zusammenhalt in der Familie. Auch wird der Vater als komplexer, in seinem Wertesystem gefangener Mann gezeichnet, und eben nicht einfach als stumpfer Antagonist. Mit Adil Hussain, den meisten wohl bekannt aus „Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger“, hat die Regisseurin einen Schauspieler gefunden, der Mirza ebenso intensiv wie nuanciert verkörpert.

    Andererseits legt Haq einen Finger tief in die Wunde des archaischen Weltbilds und rüttelt ihr Publikum damit wach. Dabei baut sie weniger auf laute Ausbrüche, sondern erzählt in fast schon bedrohlicher Ruhe von der tragischen Reise Nishas. Die 18-jährige Leinwand-Debütantin Maria Mozhdah spielt das Mädchen packend zwischen Zerbrechlichkeit und Stärke, zwischen Duldung und Rebellion. Verstärkt durch die berührend echt wirkenden Handkamerabilder von Nadim Carlsen macht Haq den Zuschauer zu Nishas Komplizen, lässt ihn ihre Geschichte miterleben und mitfühlen. Wie bei den Drachen, die die pakistanischen Kinder gerne im flirrenden Sonnenlicht von den Hausdächern steigen lassen, hält auch Haq die dramaturgische Leine geschickt hier und dort lockerer – so können Nisha und der Zuschauer kurz aufatmen, bevor sie dann doch wieder ruckartig zurückgerissen werden. Die Richtung des Films ist von vornherein klar, und doch erzählt Haq ihre Geschichte so packend und konsequent, dass es einem ein ums andere Mal den Atem verschlägt.

    Fazit: „Was werden die Leute sagen“ ist eine kühne filmische Abrechnung mit überholten Traditionen und zugleich ein starkes Plädoyer für Freiheit und Selbstbestimmung.

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