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    Catch The Fair One - Von der Beute zum Raubtier
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Catch The Fair One - Von der Beute zum Raubtier

    "96 Hours - Taken" in realistisch

    Von Thorsten Hanisch

    Eine Ex-Boxerin will ihre Schwester im Alleingang aus den Fängen eines Menschenhändler-Rings befreien – da kommen natürlich Erinnerungen an das furiose französische Actionbrett „96 Hours - Taken“ hoch. Doch „Catch The Fair One – Von der Beute zum Raubtier“ grenzt sich vom Liam-Neeson-Spaßvehikel bewusst ab und setzt statt auf überhöhten Eskapismus auf bedrückenden Realismus. Das ist nicht zuletzt dank einer beeindruckend aufspielenden Hauptdarstellerin ungemein packend, allerdings hätte man sich gewünscht, dass Regisseur Josef Kubota Wladyka seiner seriösen Herangehensweise etwas gerechter wird, inhaltlich etwas mehr in die Tiefe geht. Denn unterm Strich bleibt trotz des ernsthaften Ansatzes trotzdem „nur“ ein zwar klischeefreier, aber dennoch relativ klassischer, gradliniger Rachethriller. Dieser aber ist tatsächlich überaus sehenswert.

    Inhaltlich dreht sich alles um Kaylee (Kali Reis), eine indigene junge Frau, die mal eine erfolgreiche Boxerin war, nun aber mit ihrer Drogensucht hadert, in einem Wohnheim lebt und sich als Kellnerin ihre wenigen Brötchen verdient. Weit mehr als unter ihrer Lebenssituation leidet sie allerdings unter dem Umstand, dass vor zwei Jahren ihre jüngere Schwester Weeta (Mainaku Borrero) von einem Menschenhändler-Ring entführt wurde. Als sie eines Tages einen Hinweis auf Weetas Verbleib bekommt, beschließt Kalyee, ihre Schwester auf eigene Faust da rauszuholen – und so bietet sie sich dem Ring als weitere Prostituierte an, um an die Hintermänner und weitere Informationen zu gelangen…

    Kampfsportlerin Kali Reis ist Herz und Seele des Films - ein grandioses Schauspieldebüt!

    Die Story stammt von Josef Kubota Wladyka („Manos Sucias“) und der amerikanische Profiboxerin Kali Reis, die hier ihr Spielfilmdebüt als Schauspielerin gibt und mit einer Mischung aus äußerster Verletzlichkeit und gnadenloser Härte begeistert. Die Sportlerin ist zudem - wie ihre Figur - halb amerikanische Ureinwohnerin und halb Kapverdianerin. Außerdem unterstützt Reis die Bewegung „Missing And Murdered Indigenous Women And Girls“, die Gewalt gegen indigene Frauen und Mädchen in Kanada, den USA und in Lateinamerika bekämpft. Dementsprechend kommt „Catch the Fair One“ auch mit einem spürbaren Problembewusstsein für die Thematik daher, was sich nicht nur in den betont unbehaglichen, oft von einem kalten Blau dominierten Bildern manifestiert.

    Kaylee ist trotz ihrer sportlichen Fähigkeiten noch lange keine unbesiegbare Kampfmaschine: Ihr Training hilft ihr zwar dabei, eine körperliche Auseinandersetzung mit einem Mann bestehen zu können, aber das mündet nie in ausgefeilten Kampfszenen. Die Konfrontationen sind kurz, nüchtern, schmerzhaft anzuschauen und laufen für Kaylee nicht ohne größere Blessuren ab. Genauso wie drauf verzichtet wurde, die Actionszenen zu überzeichnen, wurde auch bei den Widersachern auf künstliche Dämonisierungen verzichtet. Die Verbrecher sind eher normale, gewöhnliche Typen, Bobby (Daniel Henshall), der Sohn des Ring-Chefs tritt an sich sogar relativ sympathisch auf – lediglich seine Augen verraten den Abgrund, der in diesem Mann lauert.

    Nach dem Verschwinden ihrer Schwester musste Kaylee aus lauter Verzweiflung auch ihre Boxkarriere aufgebende.

    Am stärksten kommt Wladkyas Ansatz aber in einer Szene zur Geltung, über die thematisch verwandte Filme gerne stolpern: Als Kaylee in einer schummrigen Wohnung eines Bandenmitglieds unter Drogen gesetzt wird und sich fast ganz ausziehen muss, wirkt das alles andere als irgendwie „geil“, sondern tatsächlich abgründig und unangenehm. Nacktsein heißt hier nichts anderes als maximale Schutzlosigkeit und eben genau dieses der Figur in diesem Moment durch und durch gehende Unbehagen vermittelt Reis durch ihr Schauspiel extrem gut.

    Lediglich in den letzten Minuten rutscht der sonst so um Ernsthaftigkeit bemühte Film kurz ins Sensationalistische und greift unvermittelt auf einen Splattereffekt zurück, der aber wiederum so überraschend, so effektiv platziert wurde, dass das nicht weiter ins Gewicht fällt. Zumal die Geschichte zu einem konsequenten Ende geführt wird, das den Neesons dieser Welt klar entgegnet: „Willkommen im echten Leben!“ Weshalb „Catch The Fair One“ am Ende zwar ein guter, aber trotzdem kein herausragender Film ist: Er stolpert ein wenig über seine ungemein fettfreie Inszenierung.

    Es hätte ruhig noch etwas mehr sein dürfen

    Kaylees Mission veranschlagt schlanke 80 Minuten Nettolaufzeit. Wladykas Regie ist ein Musterbeispiel an Effizienz, keine Szene, kein Dialog ist zuviel, alles ist auf den Punkt. Das wäre an sich vorbildlich, so manche Großproduktion aus Hollywood kann sich da eine Scheibe abschneiden. Allerdings erwartet man von einem Film, der ganz deutlich mehr sein will als reiner Eskapismus, dann doch etwas mehr inhaltliche Tiefe und keine ganz so ausgeprägte Knappheit. So wird die große Problematik, die hier thematisiert wird, nämlich die Gewalt gegen indigene Frauen und Mädchen, kaum wirklich greifbar. Alles bleibt weitgehend auf persönlicher Ebene und hängt irgendwo zwischen Genreunterhaltung und wütender Gesellschaftskritik fest.

    Fazit: Ein vor allem dank seiner bodenständigen Ernsthaftigkeit überzeugend-intensiver Thriller, der mit einer grandiosen Hauptdarstellerin punktet, thematisch aber ruhig noch ein wenig tiefer gehen könnte.

     

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