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    Der Neunte Tag
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Der Neunte Tag
    Von Claudia Holz

    Abbé Kremer (Ulrich Matthes) widerfährt Unglaubliches: Nach unendlichen Monaten im Konzentrationslager Dachau, nach unvorstellbaren Greueltaten und Entbehrungen, Folter und Demütigung, wird der Priester schließlich beurlaubt - für neun Tage. Warum, weiß er zunächst nicht. Er darf zwar nach Hause zu seiner Familie nach Luxemburg, doch schon bald wird der Preis für seine Freiheit von dem jungen Gestapo-Chef Gebhardt (August Diehl) auf den Tisch gelegt. Kremer soll zu den Nazis überlaufen und somit zum Judas der katholischen Kirche werden. Sollte er sich dagegen entscheiden, muss er nicht nur wieder zurück ins KZ, sondern auch seine Schwester, seine ganze Familie und die übrigen Häftlinge im sogenannten "Pfarrerblock" in Dachau müssten dafür büsen. In den folgenden neun Tagen zieht sich die Schlinge um Kremers Hals immer enger, während Gebhardt versucht, mit abstrusen Theorien den Priester auf die Seite der Nazis zu ziehen. So entspinnt sich ein psychologischer Zweikampf um Verrat und Loyalität, Glaube und Politik, Gut und Böse. Doch die Entscheidung muss Kremer allein treffen und wird letztendlich über Tod oder Leben entscheiden.

    Volker Schlöndorff hat mit "Der neunte Tag" einen für ihn typischen Film gedreht. Wie schon in seinen vielen anderen Werken, darunter "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" und "Die Blechtrommel", ist das Thema im Grunde der Kampf zwischen Gut und Böse und die Versuchungen, die ein Mensch zu bestehen hat. Schlöndorff befasst sich hier das erste Mal mit den Gewalttaten in den Konzentrationslagern, doch der "Der neunte Tag" ist vor allem ein leiser Film - und ein politischer.

    Neben dem gigantischen "Der Untergang" von Mega-Produzent Bernd Eichinger ist "Der neunte Tag" nichts weiter als ein Kammerspiel, aber genau diese Tatsache macht den Film so sehenswert. Schlöndorff geht es nämlich weniger um die Gewaltdarstellung, als um den inneren Kampf eines Individuums. Selbst das theologische Grundthema, die Rolle der katholischen Kirche in der Nazi-Zeit, tritt in den Hintergrund und bietet lediglich die Plattform für ein psychologisches und philosphisches Dilemma, bei dem beide Seiten, Gut und Böse, fast gleichwertig behandelt werden. Denn das Paradoxe und Faszinierende ist, dass auch der aufstrebende Gestapomann Gebhardt einst Theologie studierte und sich später für eine Karriere bei den Nazis entschied. Hier habe er seinen Glauben wiedergefunden, erzählt er Kemer, um ihn zu überzeugen.

    Schlöndorff hält sich zurück mit Gewaltdarstellungen, er ist ehrlich, aber nicht abschreckend belehrend. Die Sequenzen, die die Folter im KZ dokumentieren, sind kurz und eindringlich, aber nur insoweit, als dass sie Kremers persönlichen Kampf unterstreichen. Die eigentliche Gewalt findet in Kremers Kopf statt und in den Reden, die Gebhardt hält. Hier geht Schlöndorff aufs Ganze. August Diehl und Ulrich Matthes. Unterschiedlicher könnten ihre Charaktere nicht sein und dennoch sind sie sich fast ebenbürtig. August Diehls Gebhardt ist kalt, berechnend und dennoch nur ein Handlanger seiner Partei, der sich einredet, für sich die beste Entscheidung getroffen zu haben. Ulrich Matthes ist körperlich ausgemergelt und lässt einen bei seinem Anblick zusammenzucken, doch seine innere Stärke und seine Präsenz, auch in Kremers schwachen Momenten, transportieren eine Spannung, die elektrisiert. Die zwei Schauspieler sind hervorragend und vor allem die Szenen mit beiden in einem Raum, machen die Kraft von "Der neunte Tag" aus. Der 28-jährige August Diehl scheint zunächst noch ein bisschen zu jung für die Rolle, die ihm hier zugedacht wurde, doch im Laufe des Filmes gewinnt er an Härte und Entschlossenheit und zeigt schließlich auch eine erbitterte Verzweiflung in seinem Auftrag, während er den Kreuzzug der Nazis bewirbt.

    Ulrich Matthes hingegen ist von der ersten Minute an präsent und stellt Kremer sehr schlicht und echt dar. Hier wird nichts überhöht oder übertrieben. Die Leistungen beider Schauspieler sind bodenständig und unpathetisch und liefern Wahrhaftigkeit in jedem Satz. Die Kamera hält sich ebenso zurück, wie die Inszenierung. Nichts wirkt gekünstelt oder verspielt. Das Konzentrationslager wird in Rückblenden in einem verwaschenen, kalten Blau gezeigt und ansonsten unterstreichen die Bilder das Thema mit Licht und Schatten. Sonst nichts.

    "Der neunte Tag" basiert lose auf den Tagebuchauszügen des Pfarres Jean Bernard, der 1941 bis 1942 in Dachau interniert war, doch die Geschichte, die der Film erzählt, ist weitestgehend erfunden und somit, trotz des geschichtlichen Hintergrundes, zeitlos. Es war nie Schlöndorffs Ansatz, Glaubensfragen und ihre Auslegung oder die Haltung der katholischen Kirche in der Nazi-Zeit zu dokumentieren. Dies betont der Regisseur in fast allen Interviews zu diesem Film. Doch es geht auch um den Judas und, ob er notwendig war, damit sich das Christentum erfüllen kann - eines der absurden Argumente, die Gebhardt vor Kremer auslegt, um ihn zu verführen und zum Einlenken zu bewegen. Somit stellt "Der neunte Tag" auch Fragen zu einem hochbrisanten und aktuellen Thema. Die Trennung zwischen Politik und Kirche und die Haltung und der Einfluss der Religion und Kirche in politischen Fragen wird nicht erst seit der Präsidentschaftswahl in den USA immer wieder diskutiert. In diesem Film geht es vor allem um die Verantwortung eines Einzelnen und so kann man sich nicht der Universalität dieser Geschichte und ihrer Umsetzung erwehren. Schlussendlich ist "Der neunte Tag" ein beklemmender Film über den Glauben - in diesem Fall ein Glaube, der einen auf sich selbst zurückwirft und wo sich Antworten nur im Individuum finden.

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