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    "Conjuring" in "echt" neu auf Netflix: Lächerlicher geht es nicht!
    Markus Trutt
    Markus Trutt
    -Redakteur
    Vom Spurenverwischen mit Dexter bis zu Weltraum-Abenteuern mit Picard. Markus hat ein Herz für Serien aller Art – und schüttet es gern in Artikeln aus.

    In „28 Days Haunted“ soll eine Theorie des realen Dämonologen-Ehepaares Ed und Lorraine Warren (bekannt aus den „Conjuring“-Filmen) überprüft werden. Doch was Netflix in der angeblichen „Doku“-Serie veranstaltet, kann unmöglich ernst gemeint sein...

    +++ Meinung +++

    Die Eheleute Ed und Lorraine Warren gehörten zu den wohl berühmtesten (selbsterklärten) Dämonolog*innen der Welt. Nicht zuletzt der riesige Erfolg der „Conjuring“-Reihe, deren Geschichten auf den aufsehenerregenden Fällen der Warrens basieren und diese sogar zu den Hauptfiguren machen, hat dem Paar auch außerhalb der USA große Bekanntheit eingebracht. Und genau davon will nun auch Netflix mit der neuen „Doku“-Serie „28 Days Haunted“ profitieren.

    Ausgangspunkt des Projekts ist eine Theorie der Warrens, die besagt, dass man sich 28 Tage lang ganz isoliert den Mächten des Jenseits aussetzen muss, um den Schleier zur Totenwelt zu durchbrechen – so weit, so hirngespinstig. Da Ed und Lorraine Warren diese Annahme nicht mehr selbst mit anderen Geisterforscher*innen ihres Fachs abgleichen und überprüfen konnten, übernimmt das nun Netflix – vielen Dank dafür! Für ein entsprechendes Experiment hat sich der Streamingdienst mit der von den Warrens gegründeten Organisation NESPR (New England Society For Psychic Research) zusammengetan, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, paranormale Vorkommnisse zu untersuchen. Das absolut hanebüchene Ergebnis kann man nun in den sechs Folgen von „28 Days Haunted“ durchleiden.

    Das ist "28 Days Haunted"

    In „28 Days Haunted“ ziehen drei kleine Ermittler-Teams für einen Monat an drei unterschiedlichen Orten in einige der berüchtigtsten Spukhäuser der USA ein, um dort Kontakt mit verstorbenen Seelen aufzunehmen und die besagte Warren-Theorie zu testen – und das ohne Kontakt zur Außenwelt, schließlich soll der untersuchte 28-Tage-Zyklus angeblich nur dann zutreffen, wenn man sich komplett isoliert.

    Gegen die vielen Kameras, mit denen die Häuser ausgestattet wurden, damit der NESPR-Chef Tony Spera (Schwiegersohn der Warrens) sowie der paranormale Experte Aaron Sagers alles überwachen können, scheinen die Geister aber zum Glück nichts zu haben. Nachdem die Proband*innen schon bei der Anreise von spirituellen Gefühlen übermannt wurden, dauert es – welch Überraschung! – nicht lange, bis sich die übernatürlichen Vorkommnisse in allen Häusern häufen. Letzten Endes wird die 28-Tage-Theorie selbstverständlich an allen drei Standorten erfolgreich erprobt (Ups, „Spoiler“!). Alles verpackt in eine hollywoodreife Dramaturgie, die so ziemlich alle Klischees aus der Geisterfilm-Mottenkiste bedient. Der erste Schritt zur Revolutionierung ihres Fachgebiets ist laut Aaron Sagers damit getan, wobei er das Ganze doch ernsthaft als „Forschungsmethode“ bezeichnet. Vielleicht sollte sich Netflix auch einfach direkt einen Aluhut aufs Logo pappen.

    Eine einzige Farce

    Ich möchte nicht verhehlen, dass für mich die Existenz von Geistern und Dämonen so wahrscheinlich ist wie eine neue Romantik-Komödie mit Johnny Depp und Amber Heard in den Hauptrollen. Aber selbst für weniger skeptische Zuschauer*innen dürfte es absolut haarsträubend sein, wenn jemand bierernst und ohne jegliche ironische Brechung oder gesunde Skepsis paranormale Phänomene als Fakt hinstellt und deren vermeintliche Nachweise mittels teils aberwitzigen Apparaturen (Stichwort: Gott-Helm!) als Wissenschaft verkaufen will. In „28 Days Haunted“ habe ich jede Sekunde damit gerechnet (oder vielmehr gehofft!), dass einer der Beteiligten in Gelächter ausbricht oder endlich aufgelöst wird, dass das alles nur ein riesiger Streich ist. Das passiert jedoch leider nicht.

    ABER: Es darf und soll natürlich jeder und jede glauben, was er oder sie will. Ich habe absolut kein Problem damit, wenn jemand von der Existenz höherer Mächte überzeugt ist. Doch selbst – oder vielmehr gerade dann – ist „28 Days Haunted“ eine einzige dilettantische Frechheit, bei der mir unbegreiflich ist, wie Netflix dafür Geld lockermachen konnte. Die Serie zielt nämlich genau auf ebenjene Zuschauer*innen ab, die übersinnlichen Phänomenen aufgeschlossen gegenüberstehen, um ihre Überzeugungen auszunutzen und ihnen einen gespenstischen Bären aufzubinden.

    Problematisch auch für Geisterfreunde

    Ed und Lorraine Warren sind ohnehin keine unproblematischen Persönlichkeiten. Nicht nur einmal sahen sich die beiden mit Betrugsvorwürfen konfrontiert, schließlich konnte keiner ihrer mutmaßlichen Beweise für paranormale Phänomene einer eindringlichen Prüfung standhalten. Dass man daraus dennoch fiktionale (!) Horrorfilme schmiedet, ist die eine Sache (vor allem wenn sie so schaurig-unterhaltsam sind wie die ersten beiden „Conjuring“-Filme). Auf dieser Grundlage nun aber mit einer Doku-Serie um die Ecke zu kommen, die behauptet, reale Vorkommnisse abzubilden, ist dann doch schon etwas pervers.

    Denn selbst wenn man versucht, sich dem ganzen Projekt unvoreingenommen zu nähern, kann von einer „wissenschaftlichen“ Herangehensweise, die von den Verantwortlichen mehrfach behauptet wird, keine Rede sein. Nicht nur wird der ganze Versuch von einer Organisation verantwortet, die die Warrens selbst gegründet haben. Die NESPR hat gemeinsam mit den Serien-Macher*innen auch die Spuk-Häuser hergerichtet (und das – Achtung, Spekulation – womöglich nicht nur in Bezug auf die Kameras). Unabhängige objektive Beobachtung sieht definitiv anders aus, hätte aber natürlich auch nicht denselben reißerischen Effekt.

    Netflix entlarvt sich selbst

    Kein Wunder, dass Netflix zu Beginn der Serie mit einer Einblendung warnt, dass man das Experiment nicht nachmachen solle, schließlich würde dabei wohl nicht viel herauskommen. Und dass sich einer der Geisterjäger nach einer ärztlichen Untersuchung wegen eines vermeintlich dämonisch herbeigeführten Fast-Herzinfarkts lediglich mit den Worten „Frag nicht, über manche Dinge spricht man nicht“ zurückmeldet, spricht ebenfalls Bände. Wir tippen auf Verstopfungen! Die Spitze des übernatürlichen Eisbergs ist dann aber die allerletzte Einstellung in der sechsten Folge, mit der sich die Serie und Netflix im Grunde endgültig selbst entlarven.

    Nachdem sich eines der Ermittlerteams auf einem Friedhof als große Erlöser gepeinigter Seelen aufspielt, erklärt die weibliche Hälfte des Duos erleichtert, dass sie immerhin einen Dämon bannen konnten. Daraufhin deutet ihr männlicher Partner allerdings noch allen Ernstes mit einem teuflischen Seitenblick in die Kamera an, dass dem womöglich nicht so ist – wohlgemerkt in einer (fadenscheinigen) Doku und nicht in einem billigen Horrorfilm!

    Netflix
    Das letzte Bild von „28 Days Haunted“ sagt eigentlich alles.

    Spätestens hier scheint sich auch Netflix nicht mehr sonderlich darum zu bemühen, noch irgendwie zu verschleiern, dass man den Doku-Bereich längst hinter sich gelassen hat. Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass der Streaminganbieter mit einer Serie über mutmaßlich reale Horror-Erlebnisse den Geister-Vogel abschießt. Schon viele der angeblich echten Schilderungen in „Heimgesucht: Unglaubliche Zeugenberichte“ wurden im Nachhinein als Fake entlarvt – was Netflix aber nicht davon abgehalten hat, zwei weitere Staffeln und sogar ein Spin-off zu produzieren.

    Ähnliches könnte uns nun auch bei „28 Days Haunted“ blühen, wie das Finale samt des erwähnten doku-atypischen Cliffhangers bereits androht. Ich drücke die Daumen, dass Netflix doch noch nicht von allen guten Geistern verlassen ist und dieser Ausgeburt der Serienhölle einen Streaming-Exorzisten auf den Hals hetzt, um ihr schnellstmöglich den Garaus zu machen.

    Bei der Netflix-Serie "Heimgesucht: Unglaubliche Zeugenberichte" werden die Zuschauer für dumm verkauft

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