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    Der vergiftete Apfel in "Oppenheimer": Hat Christopher Nolan den Beinahe-Mord nur erfunden?
    Björn Becher
    Björn Becher
    -Mitglied der Chefredaktion
    Seit mehr als 20 Jahren schreibt Björn Becher über Filme und Serien. Hier bei FILMSTARTS.de kümmert er sich um "Star Wars" - aber auch um alles, was gerade im Kino auf der großen Leinwand läuft.

    In einer frühen Szene in „Oppenheimer“ vergiftet die von Cillian Murphy gespielte Titelfigur einen Apfel, der beinahe in den falschen Händen landet. Doch was ist an der Story wahr? Was ist Fiktion?

    Universal Pictures

    Als J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) noch in Cambridge studiert, ist er unglücklich und depressiv. Als ihn sein Professor Patrick Blackett (James D'Arcy) nach einem missratenen Experiment vor der Klasse bloßstellt, ist er wütend – und vergiftet kurzerhand den Apfel des Wissenschaftlers mit Zyanid. Ein klarer Mordanschlag. Doch das Obst landet in den Händen von Niels Bohr (Kenneth Branagh). Bevor der Nobelpreisträger einen kräftigen Biss davon nehmen kann, schreitet Oppenheimer ein und verhindert den sicheren Tod seines Vorbilds.

    Doch ist diese von Christopher Nolan in „Oppenheimer“ erzählte Geschichte war oder erfunden? Die Antwort liegt wie so oft wohl dazwischen.

    Niels Bohrs Anwesenheit ist komplett erfunden, ABER …

    Eine Sache hat Christopher Nolan für seinen Film definitiv erfunden: die Anwesenheit von Niels Bohr und damit die dramatische Zuspitzung, dass Oppenheimer womöglich sein Idol versehentlich vergiftet und tötet. Bohr war zu der fraglichen Zeit nicht vor Ort. Dies hat Nolan in sein Werk eingebaut. Es ist auch nicht in der Buchvorlage des Films enthalten.

    Wie ihr sicher diesen Worten entnommen habt, ist die Apfel-Story selbst aber keine Nolan-Erfindung. Sie kommt bereits in dem preisgekrönten Oppenheimers Leben und Wirken nacherzählenden Sachbuch „J. Robert Oppenheimer: Die Biographie“ (alias „American Prometheus“) vor. Doch trotzdem ist sie umstritten.

    … den vergifteten Apfel gab es womöglich wirklich

    Die Oppenheimer-Biografen Kai Bird und Martin Sherwin schreiben in ihrem Buch, dass der während seiner Cambridge-Zeit depressive und verzweifelte spätere Erfinder der Atombombe wirklich einen Apfel mit Chemikalien aus dem Labor vergiftet und auf Blacketts Tisch platziert habe. Die Sache sei aber ans Licht gekommen. Oppenheimer sei deswegen beinahe von der Prestige-Universität geflogen. Nur seine einflussreichen Eltern konnten dies verhindern. Die ganze Angelegenheit habe Oppenheimer später selbst Freund*innen und auch Journalist*innen erzählt. Quelle für den Vergiftungsversuch mit einem Apfel ist also Oppenheimer selbst. Doch trotzdem gibt es zwei Fragezeichen.

    Oppenheimer
    Oppenheimer
    Starttermin 20. Juli 2023 | 3 Std. 01 Min.
    Von Christopher Nolan
    Mit Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon
    User-Wertung
    4,2
    Filmstarts
    4,5
    Im Stream

    Nutze Oppenheimer wirklich Zyanid? Unsicher ist zum einen, ob Oppenheimer wirklich seinen Professor töten wollte. Bird und Sherwin berichten in ihrem Buch, dass Oppenheimer die Geschichte womöglich bewusst übertrieben erzählt habe. Ein damaliger Freund des Physikers vertritt diese Ansicht in „American Prometheus“. Oppenheimer habe in Wirklichkeit wohl nur ein Mittel genutzt, welches Blackett ein wenig krank gemacht hätte, aber definitiv nicht zu seinem Tod geführt.

    Erfand Oppenheimer die Apfel-Geschichte vielleicht selbst? Doch wenn man über eine bewusste Übertreibung nachdenkt, besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass sich Oppenheimer die ganze Geschichte mit dem vergifteten Apfel ausgedacht hat. Bird und Sherwin räumen in ihrem Buch ein, dass es außer Oppenheimers überlieferten Erzählungen keine Nachweise gibt. Es gibt zum Beispiel keine Vermerke in den Akten von Cambridge – was aber auch nicht verwundert, weil die Eltern den Fall ja gerade unter den Tisch gekehrt haben sollen. Charles Oppenheimer, der Enkel des Physikers, erklärte dem Time Magazine übrigens, dass er von Nolans Film begeistert sei, ihn aber die Apfel-Geschichte wie schon in der Buchvorlage störe. Es gebe nun einmal keinen Beweis, dass sie sich wirklich ereignet hat.

    Fazit: Mögliche Fakten und dramatische Fiktion gehen Hand-in-Hand

    Doch das Problem hat man bei historischen Filmen immer. Oft leben die Personen nicht mehr, selbst wenn sind ihre Erzählungen nicht unbedingt zuverlässig. Nolan hat sich hier wie schon die Sachbuch-Autoren Bird und Sherwin entschieden, den Erzählungen von Oppenheimer selbst zu glauben – und das samt der möglicher Zyanid-Übertreibung. Es ist auch einfach logisch. Es ist eine zu spannende, interessante und vor allem die mentale Situation der Figur ausmalende Szene. Und wir müssen ja auch bedenken, dass wir hier Oppenheimers subjektiver Erzählung und gerade nicht der objektiven Wahrheit beiwohnen. Und wenn Oppenheimer die Geschichte nun mal so erzählt hat, warum sollte sie dann Nolan anzweifeln – selbst wenn sie erlogen oder übertrieben wäre?

    Dass Nolan dann noch Bohr eingebaut hat, ist ein typischer Filmkniff. Es gibt der Szene eine zusätzliche, vor allem kinotaugliche dramatische Ebene. Und es dient auch der für einen Film ganz zwingend nötigen Verdichtung. Denn so wird eine wichtige Unterhaltung mit Bohr in eine bereits existierende Szene eingebaut statt noch einmal eine komplett neue Sequenz dafür aufwenden zu müssen, was die ohnehin schon lange Laufzeit erhöhen und den Film langweiliger machen würde.

    Florence Pughs Nacktszene in "Oppenheimer" wurde in manchen Ländern zensiert – und zwar auf richtig dämliche Art und Weise!

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