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    Darren Aronofsky über „mother!“: "Es interessiert mich nicht, ob das Publikum jubelt oder buht, so lange es eine verdammte Reaktion zeigt"

    Der gefeierte Regisseur von „Black Swan“ und „Reqiuem For A Dream“ legt mit dem surrealen Psycho-Horror „mother!“ seinen bisher extremsten Film vor. Wir sprachen mit Darren Aronofsky in London über den Entstehungsprozess.

    Die Dreharbeiten zu Darren Aronofskys außergewöhnlichem Horror-Thriller „mother!verlangten besonders Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence („Die Tribute von Panem“, „Silver Linings“) physisch und psychisch alles ab. Der Film spielt nahezu komplett in einem alten Landhaus, wo ein Ehepaar (Lawrence und Javier Bardem) nach dem ungebetenen Erscheinen von zwei Fremden (Ed Harris und Michelle Pfeiffer) auf unliebsame Weise mit dem verborgenen Kinderwunsch der Hausherrin konfrontiert wird – was wiederum ein surreales Inferno auslöst.

    FILMSTARTS: Du hast das Drehbuch in nur fünf Tagen geschrieben. Wie kam es dazu, in welcher Situation hast du dich damals befunden?

    Darren Aronofsky: Es ist ganz amüsant: Ich arbeitete zu dem Zeitpunkt eigentlich an einem anderen Drehbuch - ein Film über Kinder, so ein Kindheitserinnerungsding – als mir die Idee zu „mother!“ kam. So etwas passiert einem als Autor gelegentlich, normalerweise bin ich aber diszipliniert genug, die neu auftauchende Idee aufzuschreiben und in eine Schublade zu legen. Aber „mother!“ hat mich verfolgt. Dann hatte ich plötzlich fünf Tage frei, war allein in meinem Haus und tüftelte einen Weg aus, die Geschichte zu strukturieren. Das war der Durchbruch. Ich musste nur noch schreiben. Das ist wie mit einem Weihnachtsbaum: Man stellt ihn auf und muss ihn anschließend nur noch schmücken und behängen. Es sprudelte einfach aus mir heraus, es war wie in einem fünftägigen Fieberwahn. Als das Drehbuch fertig war, zeigte ich es einigen Produzenten und die sagten: „Wow, das ist schon was.“ Wenn man einen Film machen will, braucht man eine Menge Leidenschaft, weil es so hart ist, das Werk zu realisieren. So viele Leute sagen „Nein“ zu dir. Immer und immer wieder. Aber dieser Stoff war der, der am lautestem schrie! Also entschied ich, dem nachzugehen und zu gucken, was passiert.

    Jennifer Lawrence über Darren Aronofskys "mother!": "Der Film ist ein Angriff! Wir stechen den Leuten direkt in die Augen"

    FILMSTARTS: Welche Schauspieler hattest du im Kopf, als du das Drehbuch geschrieben hast?

    Darren Aronofsky: Ich habe tatsächlich nicht über Jennifer [Lawrence] nachgedacht. Ich hätte nie geglaubt, dass sie an so etwas interessiert wäre und ich sie dann auch tatsächlich kriegen könnte. Sie ist schließlich sehr beschäftigt und stark nachgefragt. Als ich also „mother!“ schrieb, wollte ich vielmehr den Geist und die Energie dieser Figur einfangen und ihre Verbindung mit dem Haus, in dem sie lebt. Nachdem ich Jennifer gecastet hatte, haben wir überlegt, wer gegen sie spielen könnte. Wer könnte dieser ältere Mann sein? Ich weiß, da gibt es dieses Klischee, dass Hollywood ältere Filmstars mit jungen Frauen paart, aber in diesem Film ist dieser Altersunterschied das Thema. Wir schleudern es dem Publikum direkt ins Gesicht. Im Film heißt die Figur „Er“, aber ursprünglich sollte er „Ihr alter Mann“ heißen. Am Anfang habe ich mir ausgemalt, das könnte ein Typ im Rollstuhl sein, so alt sollte er sein. Aber das war nicht sehr sexy. Ich musste mir etwas anderes überlegen. Dann kam die Idee von Javier als Vaterfigur auf und war sehr aufregend. Das haben wir dann ausgearbeitet. Aber alles ging mit Jennifer los, nachdem das Drehbuch fertig war.

    Darren Aronofsky fordert das Publikum heraus

    FILMSTARTS: „mother!“ ist ein extremer Film, den man lieben oder hassen kann, aber auf jeden Fall wirst du davon umgehauen: Willst du, dass ihn die Zuschauer lieben?

    Darren Aronofsky: Ich habe letztens meinen Vater angerufen. Er erinnerte sich, wie aufregend die Anfangszeit war, wenn er mit dem Auto unterwegs war und Kinos sah, die einen meiner Filme gespielt haben. Ich sagte zu ihm: „Dad, es ist interessiert mich nicht, ob sie jubeln oder buhen, so lange sie eine verdammte Reaktion zeigen.“ Ich fordere das Publikum hier total heraus, werfe eine Handgranate in die Popkultur und schaue, was dabei herauskommt. Ich nehme die größten Stars des Planeten und packe sie in dieses surreale Kammerspiel. Dabei ist der Surrealismus im Lauf der 70er Jahre aus dem Kino verschwunden, als der harte Realismus unserer Helden um Martin Scorsese aufkam. Surrealismus ist heute sehr rar, es ist erstaunlich, dass sich so wenige Leute daran erinnern, dass Filme Träume sind. Das ist das Großartige am Kino.

    FILMSTARTS: Wenn man den Film ansieht, spürt man, dass man sich nicht in der Realität befindet, wie findet man sich als Zuschauer am besten in dieser Erzählung zurecht?

    Darren Aronofsky: Indem man sich überraschen lässt. Ein Teil des Spaßes an dem Film ist es, Spoiler zu vermeiden. Du solltest denken, dass du eine bestimmte Art von Film guckst und plötzlich guckst du eine ganz andere Art von Film. Und wenn du das kapiert hast, wird es wieder ein ganz anderer Film. Das ist Spaß! Ich mache hier nur, was ich für lustig halte.

    FILMSTARTS: Jennifer Lawrence ist großartig in „mother!“. Was sind ihre größten Qualitäten als Schauspielerin?

    Darren Aronofsky: Sie hat endlose Energie und Hingabe. Sie ist eine Autodidaktin, sie bringt sich alles selbst bei. Niemand hat ihr jemals beigebracht, zu schauspielern. Speziell in diesem Film tanzt sie die ganze Zeit mit der Kamera. Sie ist nicht nur eine unglaublich gute emotionale Schauspielerin, sie ist auch technisch sehr gut, was in der Schauspielerei wichtig ist. Das ist ein Zwei-Stunden-Film, 66 Minuten davon sind Großaufnahmen von ihrem Gesicht. Ich denke, das Publikum wird zu Jennifer. Ich brauchte jemanden, der die Zuschauer in den Bann zieht. Interessanterweise ist da kein Score in dem Film. Ich habe mit Komponist Jóhann Jóhannsson mehrere Monate daran gearbeitet, aber immer wenn wir irgendeine Art von Musik unterlegt haben, hat es den Betrachter rausgehauen, und davon abgelenkt, was Jennifer fühlt. Sie hat uns den kompletten Score geliefert, den wir brauchten. Es ist mir noch nie passiert: Ich konnte ihr mit Musik nicht helfen. Das war eine sehr seltsame Situation.

    "Nur zwei Monate selbstsüchtig"

    FILMSTARTS: Fühlst du dich deinen Figuren verbunden?

    Darren Aronofsky: Ja, schon. Jeder Charakter im Film ist mit mir verbunden. Ich bin keine Ballerina, ich bin kein Wrestler, ich bin kein Mathematik-Genie, ich bin kein Konquistador – es ist einfach mein Job, herauszufinden, wie diese Figuren ticken. Viele Leute fragen mich immer, bin ich Vincent Cassel [in „Black Swan“]? Oder hier bei „mother!“: Bin ich Javier Bardem? Das kreative Genie zu spielen, ist interessant, aber die einzige selbstsüchtige Zeit, die ich habe, sind alle zwei Jahre die zwei Monate Dreharbeiten für einen Film: Da rufe ich vorher meine Freunde und meine Familie an und sage, dass ich für zwei Monate verschwinde. In der Zeit bin ich ein Arschloch, fokussiere mich nur auf meine Arbeit und reiße 20-Stunden-Tage herunter. Aber der Rest meiner Arbeit ist ein „9-to-5-Job“. Ich bringe mein Kind zur Schule, gehe zur Arbeit, sitze im Schneideraum, komme nach Hause, mache Essen, bringe mein Kind ins Bett – jeden Tag dasselbe. Das ist das Schöne an meinen Job, dass ich mich nicht komplett aufopfern muss.

    FILMSTARTS: Ihr habt drei Monate in einem Lagerhaus in Brooklyn geprobt – das ist ungewöhnlich. Kannst du etwas über diese Herangehensweise erzählen?

    Darren Arofonsky: Ja. Ich bin ein großer Fan von Mike Leigh. Er ist einer meiner großen Helden. Ich war immer neidisch auf seine Probentechnik. Also nochmal, ich kann alle zwei Jahre mit Schauspielern arbeiten, diese zwei Monate sind meine Lieblingszeit als Filmemacher. Wie kann ich die Zeit verlängern? [lacht] Oh, wir proben einfach drei Monate. Das Drehbuch, das nach fünf Tagen stand, war noch nicht drehfertig. Die Energie, die Struktur und die Szenen waren da, aber die Figuren brauchten noch Schliff. Javier und Jennifer zusammenzubringen, sie mit dem Team zusammenzubringen, hat sehr geholfen.

    FILMSTARTS: Welche jungen Regisseure magst du besonders? Hast du zum Beispiel „Get Out“ gesehen?

    Darren Arofonsky:Get Out“ ist fantastisch. Ich liebe den Film. Jordan Peele ist großartig. Ich kenne seine Comedy-Sachen nicht, diesen Teil seiner Karriere habe ich verpasst. Aber der Typ ist außergewöhnlich talentiert. Der Film ist überwältigend und großartig für das Genre, für Hollywood und für das Kino. Ich bin froh, dass es da draußen eine neue Stimme gibt, die so originell ist.

    „mother!“ startet am 14. September 2017 in den deutschen Kinos.

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