Um diese Serie wirklich würdigen zu können muss man ihr Ende kennen. Am Anfang mag manches konventionell wirken, doch ein besonderer Clou sorgt für steigendes Interesse: Der Prolog zeigt in jeder Folge den Abend von Isas Verschwinden, doch er wird jedes Mal anders erzählt. Während am Anfang der Grund und die Art ihres plötzlichen Abtauchens ziemlich eindeutig wirkt, kommt pro Folge mindestens ein weiterer Grund dazu, bis man fast jeder Figur zutraut an der ganzen Sache Schuld zu sein.
Aber so einfach ist es nicht. Bis am Schluss ein kaum vorhersehbarer aber doch logischer Twist alles aufdeckt, zeigen sich die meisten Menschen in Isas Umfeld von ihrer giftigen Seite. Die gesamte Kleinstadt Lotheim, idyllisch am Eder-Stausee gelegen, scheint sich plötzlich gegen die wiederaufgetauchte und offenbar traumatisierte junge Frau zu wenden. Die Frage nach Isas Verbleib und die Nachforschungen durch den Ex-Polizisten Wolff (Götz Schubert) geben der Handlung immer wieder einen Schub in Richtung Krimi, während die am Ende doch eher differenzierte Darstellung der Familiensituation der von Gems' wieder ein Drama daraus macht.
Die meisten Peinlichkeiten anderer Kleinstadtverschwörungen schenkt sich die Serie zum Glück. So wird eigentlich nie Dialekt gesprochen, trotz des beschworenen Zusammenhalts im Ort kocht in Wirklichkeit jeder sein eigenes Süppchen und das größte und mächtigste Unternehmen am Ort unterstützt man auch nur so lange, wie es einem persönlich nützt. Stattdessen erzählt Regisseur Kai Wessel mehr über seine Figuren und setzt die Puzzleteile nach und nach so zusammen, dass am Ende ein schlüssiges, wenn auch schockierendes Bild vieler Beteiligter entsteht. Mitraten ist nur bedingt hilfreich, da viele falsche Spuren gelegt werden und die Rolle fast aller am Schluss noch einmal in neuem Licht erscheint.
Gerade die finale Wendung ist mutig, denn mit so einer Facette der betreffenden Figur kann man schnell die Öffentlichkeit gegen sich haben. Statt allgemeingültige Wahrheiten zu verbreiten und altbekannte Verschwörungsmythen aufzuwärmen setzt "Die verlorene Tochter" so eigene Akzente, wo andere Drehbücher lieber auf Nummer sicher gehen. Das und die gute Auswahl fähiger Darsteller macht die Miniserie im Gegensatz zu übertont finsteren Genre-Krimis wie "Parfum" u.ä. zu einem der besseren Beiträge, die klassisches TV-Gut und neue Impulse miteinander vermengen. Weiter so!