Mein Konto
    Life During Wartime
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Life During Wartime
    Von Ulf Lepelmeier

    Auch wenn der Titel dieses nahelegt, begibt sich Regisseur Todd Solondz („Willkommen im Tollhaus", „Palindrome") nicht in den Irak, sondern verweilt auch weiterhin an der Heimatfront. Wie schon in seinen früheren Filmen seziert der amerikanische Regisseur die Mittelschicht der USA und erzählt von ihrem täglichen Kampf mit sich selbst, dem Ringen um die eigenen Träume und der Hoffnung auf Vergebung. „Life During Wartime" ist ein eigenwilliges Sequel zu Solondz heiß diskutiertem Film „Happiness" und spinnt die Geschichte um drei sich stets selbst belügenden und bemitleidenden Schwestern weiter. Mit beißenden Dialogen und absurd-schwarzhumorigen Szenen wird in dem collagenhaft anmutenden Film der Frage nach möglicher Vergebung auf persönlicher, aber auch nationaler Ebene nachgegangen. Warum sollte man sich in einem fernen Land ins Kriegsgetümmel stürzen, wenn bereits der alltägliche Wahnsinn die Psyche attackiert und der Kampf um Freude, Annerkennung und Zufriedenheit ausweglos scheint?

    Joy (Shirley Henderson) hat sich gerade tränenreich auf Zeit von ihrem Ehemann Allen (Michael Kenneth Williams) getrennt und macht sich auf zu ihrer in Florida lebenden Mutter (Renée Taylor). Sie ist nun wieder einmal todunglücklich und wird auch noch von einem sprichwörtlichen Geist ihrer Vergangenheit heimgesucht, der ihr extreme Schuldgefühle einredet. Joys ebenfalls im Sunshine State lebende älteste Schwester Trish (Allison Janney) hat sich unterdessen in den geschiedenen Harvey Wiener (Michael Lerner) verliebt. Nach der schmerzlichen Erfahrung mit ihrem wegen Kindesmissbrauch im Gefängnis sitzenden Ehemann Bill (Ciarán Hinds) ist der normal wirkende Harvey der erste Mann, auf den sie sich einlassen will. Während Trishs Sohn Andy (Paul Reubens), dessen Schulfreunde damals die Opfer des Vaters waren, die Erinnerungen an den Vater verleugnet und allein in einem Studentenwohnheim lebt, sind die beiden jüngeren Geschwister mit der Lüge aufgewachsen, dass ihr Vater verstorben sei. Doch Bills Haftzeit ist nun zu Ende und er möchte seine ehemalige Familie wiedersehen und insbesondere mit seinem ältesten Sohn sprechen. Andys Bruder Timmy (Dylan Riley Snyder) steht unterdessen kurz vor seiner Bar Mitzwa und setzt sich gewissenhaft damit auseinander, was das Erwachsensein ausmacht und ob man wirklich Vergeben und Vergessen kann...

    Todd Solondz lässt seinen Film mit einem Déjà-vu-Erlebnis beginnen. Joy sitzt an ihrem Hochzeitstag mit ihrem Gemahl in einem schicken Restaurant, ist genauso wie vor zehn Jahren den Tränen nah und möchte ihrem Ehemann Allen klarmachen, dass sie eine Auszeit von der Beziehung braucht. Dann bekommt sie ein Präsent überreicht, das sie auch schon entgegennahm, als sie sich von einem früheren Freund trennte und dieser daraufhin Selbstmord beging. Kenner von Solondzs bitterböser Satire „Happiness" werden sofort deren Einleitungsszene wiedererkennen und fühlen sich somit von den ersten Sekunden an heimisch in der Welt der glücklosen Jordan-Schwestern. Doch in der vergangenen Dekade haben die drei Geschwister nicht nur viel durchlebt und sich weiterentwickelt, sondern sich auch von der Physiognomie her stark verändert. Solondz wählte für die Fortsetzung seines bislang erfolgreichsten Films einen höchst ungewöhnlichen Ansatz und besetzte alle Charaktere neu, so dass kein einziger Schauspieler der Originalbesetzung wieder mit von der Partie ist. Die in die von Philip Seymour Hoffman, Jane Adams oder Lara Flynn Boyle vordefinierten Rollen schlüpfenden Darsteller lassen die Eigenheiten und Manierismen der Figuren aber so gut wieder aufleben, dass dem geneigten Zuschauer augenblicklich klar ist, welche Figur aus „Happiness" da gerade im neuen Antlitz auf der Leinwand auftaucht.

    Herzstück von „Life During Wartime" sind die pointierten Dialoge, die einem nicht selten das Lachen im Halse stecken lassen. Regisseur Todd Solondz empfiehlt sich hier mit seiner bissig-sezierenden Sicht auf zwischenmenschliche Beziehungen als Erbe des großen Woody Allen. Allerdings präferiert er tief schwarzen Humor und geht weitaus unbarmherziger als Allen mit seinen herrlich neurotischen Figuren um, die sich nicht nur einiges an den Kopf werfen, sondern auch absurde bis schreckliche Situationen zu meistern haben. Wie schon in „Happiness" macht der Regisseur vor keinem Tabuthema halt, so dass auch hier die Themen Obsession, Selbsthass, Suizid und Pädophilie keinesfalls außenvorbleiben.

    Der größtenteils in einer Vorstadt von Miami spielende Film präsentiert sich in bonbonfarbenen Pastellfarben und zeichnet Florida als ein etwas entrücktes Sonnenland der Suchenden und Unzufriedenen. Wie in Solondzs Produktionen üblich, greift ein Titelsong die Gemütslage der Protagonisten auf - und so wie damals in „Happiness" darf auch in „Life During Wartime" die erfolglose Songschreiberin Joy dieses traurige Lied anstimmen. Während alle drei Jordan-Schwestern immer noch nach ihrem Glück suchen und selbst die nur kurz auftretende Schwester Helen auch nach ihren Drehbucherfolgen und den zahlreichen Emmys im Schrank noch immer nicht an den Punkt der Zufriedenheit gelangt ist, schwebt über allen Figuren die existenzielle Frage nach der Möglichkeit der Vergebung und des Vergessens. Solondz lässt seine Figuren einmal mehr mit sich hadern, mit Konventionen brechen, nebeneinander herreden und sich gegenseitig zutiefst verletzen. Der für seine Drehbuchleistung im Wettbewerb von Venedig ausgezeichnete Regisseur lässt seinen Film durch trockenen Humor und ausgefeilte Wortwechsel auftrumpfen, doch führt er die einzelnen Storyfäden nicht vollständig harmonisch zusammen, so dass der Film nicht immer wie aus einem Guss wirkt, sondern einen collagenhaften Eindruck hinterlässt.

    Joy wird in ihrer unübertrefflich naiv-unsicheren Art treffend von Shirley Henderson („Trainspotting") verkörpert, die stets den Tränen nahe zu stehen scheint. Immer noch wird sie von ihrer Familie wie eine geborene Verliererin behandelt, der man ruhig ins Gesicht sagen kann, dass sie als Musikerin nie etwas erreichen und auch nie einen vernünftigen Partner fürs Leben finden wird. Dabei will die naive Joy doch nur ihre traurige Existenz hinter sich lassen und zur Abwechslung einmal glücklich sein. Allison Janney („Away We Go") gibt die ewig strahlende Vorzeigeamerikanerin Trish hervorragend. Die alleinerziehende Mutter verleugnet ihren pädophilen Ehemann einfach und spielt allen die glückliche Frau vor, die alles im Griff hat. Dass sie in den übergewichtigen und um einiges älteren Harvey Wiener verliebt ist, betont sie immer wieder, schließlich ist er jüdischen Glaubens, Patriot und selbst im Bett so wunderbar durchschnittlich-normal, dass er einfach die perfekte Partie für sie ist.

    Auch Dylan Riley Snyder haucht seinem neugierigen und der Welt mit vielen Fragen begegnenden Timmy Leben ein. Er spielt den 13-Jährigen, der sich an der Schwelle zum Erwachsensein angelangt fühlt, mit großer Ernsthaftigkeit und lässt seine Mutter verstört zurück, wenn er beispielsweise meint, dass man doch auch den hinter der 9/11-Katastrophe steckenden Terroristen vergeben können müsste.

    Aus dem restlichen Cast verdient sich vor allem Charlotte Rampling („Swimming Pool", „Lemming") in einer kleinen Nebenrolle als düster-verruchte Lady Jacqueline eine besondere Erwähnung. In den kurzen Szenen, in denen sie den desillusionierten Gegenpart zu dem gerade aus der Haft entlassenen Bill gibt, knistert es zwischen den beiden nicht nur, sondern sie schafft es auch, mit ihrer Präsenz und ihren von depressivem Gedankengut geprägten Dialogpassagen einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Ihr Charakter funktioniert dabei als hoffnungslose Spiegelperson zu Bill, die dem ehemaligen Familienvater zu verstehen gibt, dass Vergebung eine Sache für Verlierer ist.

    In einer Gesellschaft, in der die Selbstverwirklichung oberstes Gebot und Glücklichsein per se vorgeschrieben zu sein scheint, muss das Individuum sich einem täglichen Kampf stellen, um nicht zu zerbrechen. In „Life During Wartime" wird das Land der aufgezwungenen Fröhlichkeit und des Individualismus zum Mekka der geschundenen Seelen, in dem der ewige Zwang herrscht, die Maske der Zufriedenheit stolz vor sich herzutragen.

    „Forgive and forget is like freedom and demokracy - in the end china will take over and none of this will matter." - (Mark Wiener in „Life During Wartime")

    Fazit: „Life During Wartime" markiert nicht nur ein unverhofftes Wiedersehen mit den neurotischen Jordans aus dem kontrovers diskutieren Kritikerliebling „Happiness", sondern ebenso eine Besinnung Solondzs auf seine Stärken. Auch wenn die Einzelepisoden nicht durchgehend das Gefühl einer in sich geschlossenen Handlung hinterlassen, bietet die Tragikomödie nicht nur eine Fülle an Denkansätzen, sondern begeistert auch durch ein tolles Schauspielerensemble, verrückt-amüsante Situationen und seine durchdachten, teils extrem spitzzüngigen und sarkastischen Wortgefechte.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top