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    Jack und Jill
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Jack und Jill
    Von Björn Becher

    Drei Prozent positive Kritiken auf der Übersichtsplattform rottentomatoes.com - und sonst nur Verrisse: So lautet das vernichtende Urteil zu „Jack und Jill", der bereits siebten Zusammenarbeit von Komiker Adam Sandler und Regisseur Dennis Dugan. Das Marktforschungsunternehmen CinemaScore, das mit Wertungskarten die Meinungen des „durchschnittlichen Kinogängers" einfängt, listet die Komödie dagegen mit einem guten B auf der von A bis F gehenden amerikanischen Notenskala. Selten gab es eine größere Diskrepanz zwischen dem Publikum und den Kritikern, die sich mit ungewohnt harschen Worten über Sandlers neuesten Streich ausließen. Der Starkomiker macht es seinen Gegnern mit Furzwitzen, der konsequenten Dauer-Wiederholung bestimmter Gags, grob skizzierten Knallchargen-Nebenfiguren, die wie aus dem Nichts zu ihren Auftritten kommen und einer sehr losen Dramaturgie auch sehr einfach: Für Kritiker, die sich starr an eine sterile Idee von Qualitätskino klammern, kann und darf so ein Humor nicht lustig sein. Ist er aber! „Jack und Jill" hat unglaublich viele grandiose Einfälle, einen Al Pacino, der sich über jegliche Schmerzgrenzen hinweg selbst parodiert und - wenn man nur ein klein wenig genauer hinschaut - mit der besonderen Verbindung zwischen Geschwistern zudem ein durchgängiges Thema, das nicht nur äußerst witzig, sondern auch liebevoll durchgespielt wird.

    Für Werbeproduzent Jack Sadelstein (Adam Sandler) ist Thanksgiving in jedem Jahr der Horror. Denn dann kommt seine Zwillingsschwester Jill (ebenfalls Adam Sandler) aus der Bronx nach Los Angeles und macht sein Leben zur Hölle. Dieses Jahr gibt es zudem noch beruflichen Stress, muss er doch Al Pacino für einen blöden Werbespot gewinnen, sonst steht die Firma vor dem Aus. Und dann wird alles noch schlimmer. Die laute und rüpelhafte Jill ruiniert mal wieder das Thanksgiving-Dinner und kündigt dann noch an, diesmal deutlich länger zu bleiben. Für Silvester hat Jack eine erholsame Europa-Kreuzfahrt mit Frau Erin (Katie Holmes) und den Kindern geplant, aber Jill ist immer noch da. Erst als sich Al Pacino (der als er selbst auftritt) aus unerklärlichen Gründen in Jill verliebt, sieht Jack eine Chance auf seinen Werbedeal und ist über die Anwesenheit der Schwester gar nicht mehr so unglücklich. Zu dumm nur, dass Jill von Pacino gar nichts wissen will, sondern sich in der Nähe des mexikanischen Gärtners Felipe (Eugenio Derbez) wohler fühlt...

    Adam Sandler profiliert sich in „Jack und Jill" mal wieder als schmerzfreier Vollblutkomiker. Spielt er als Jack den Normalo, darf er als schrille Jill die Rampensau geben und sich auf alles draufsetzen, was einen schnellen Gag hergibt. Dabei ist es volle Absicht, dass seine Aufmachung als Frau streng genommen nicht ganz überzeugt, ihr ungewöhnliches Aussehen geht als eine von Jills zahlreichen Spleens und Macken durch. Sandler macht den weiblichen Zwilling zu einer denkwürdigen Komödienfigur, Höhepunkt sind dabei die technisch perfekt umgesetzten gemeinsamen Szenen von Jack und Jill. Hier nähern sich die auf den ersten Blick so unterschiedlichen Figuren einander an und das geschwisterliche Band zwischen ihnen kommt zum Vorschein. Sandler steht mit seiner Doppelrolle klar im Mittelpunkt der Handlung, aber „Jack und Jill" ist keine One-Man-Show, dafür sorgt allein schon Al Pacino.

    Der Oscar-Preisträger Pacino (für „Der Duft der Frauen") nimmt sein Image als Choleriker, Egomane und sich stets akribisch vorbereitender Method Actor so konsequent und schonungslos auf die Schippe, wie man es selten gesehen hat. Er wird dabei fast genauso oft zur Zielscheibe von meist wenig schmeichelhaften Witzen wie Jill. Eines der lustigsten und treffendsten Beispiele für Pacinos fröhliche Selbstparodie ist eine Shakespeare-Aufführung, bei der er als King Lear auf der Bühne steht. Mitten im Stück klingelt das Telefon des Star-Schauspielers, der daraufhin Shakespeare Shakespeare sein lässt und minutenlang auf der Bühne Privatgespräche führt.

    Neben Pacino sticht vor allem der mexikanische Komiker Eugenio Derbez, der in seiner Heimat ebenfalls ein Superstar ist, aus der weiteren Besetzung heraus. In seiner Rolle als Gärtner Felipe bedient er alle Klischees über illegale Einwanderer und unterwandert diese zugleich. So stellt er immer wieder provokante, absurde oder unverschämte Behauptungen auf, wartet die ungläubige Reaktion seines Gegenübers ab und bricht dann mit den Worten „Just Kidding!" in Gelächter aus. Dieses „War nur Spaß" wird zu einem der besten Running Gags der Komödie. Zudem darf sich auch Derbez in Frauenkleider werfen und hat einen urkomischen Aufritt als mürrische, chilischotenmampfende Großmutter.

    Viele Nebenfiguren sind sehr schematisch angelegt, dazu haben manche Szenen eine reine Sketchstruktur und bringen die Handlung nicht wirklich voran, aber solche vermeintlichen erzählerischen Defizite anzuprangern, erweist sich angesichts unzähliger irrer Details und brüllend komischer Einfälle als Erbsenzählerei. So hat Jacks indischer Adoptivsohn (Rohan Chand) die seltsame Angewohnheit, sich allerhand Dinge (vom Laubblatt über eine Pfeffermühle bis zum lebenden Hummer) an den Körper zu kleben, während seine Schwester (Elodie Tougne) ihre Lieblingspuppe anfangs genauso kleidet wie sich selbst, ehe sie sie in ein Tante-Jill-Imitat verwandelt. Erklärt wird beides nicht, und doch trägt es zum reichen Erlebniswert des Films bei – so wie auch die beiläufig inszenierten Cameo-Auftritte von Johnny Depp (köstlich mit Justin-Bieber-T-Shirt) und Ex-Tennisstar John McEnroe, den Atheismus noch mehr auf die Palme bringt als früher eine Schiedsrichterfehlentscheidung.

    „Jack und Jill" lässt sich durchaus als urkomische Sketchparade betrachten, in der die Gags fast im Sekundentakt auf den Zuschauer niederprasseln. Aber der Film ist gerade deswegen so gelungen, weil sich Sandler und Dugan in den entscheidenden Momenten auf ihr Herz besinnen. So singen sie nicht nur ein Hohelied auf den Furzhumor wie es so inbrünstig seit „Big Daddy" nicht angestimmt wurde, sondern setzen vor allem dem unzertrennbaren Band zwischen Geschwistern und speziell zwischen Zwillingen ein gefühlvolles Denkmal. Das zeigt sich auch in den dokumentarischen Aufnahmen, die dem Film als Klammer dienen und in denen Zwillingsgeschwister unterschiedlichen Geschlechts, Alters und Rasse auftreten. Sie alle machen deutlich wie nahe sie sich sind, wie sehr sie sich lieben – trotz manchen Konflikts. Auch Jack muss sich im Fortlauf der Handlung eingestehen, dass er seine nervende Schwester liebt, was dem Zuschauer auf wundervolle Weise schon früh deutlich wird. Wenn Jack dafür sorgt, dass sich Jills Online-Dating-Postfach füllt, sich dann Sorgen macht, dass sie an einen Psychopathen geraten könnte, ist dies genauso menschlich wie wenn er seinem Assistenten (Nick Swardson) verbietet, Witze über Jill zu machen, obwohl er dies selbst die ganze Zeit tut: Er darf das, er ist ihr Zwillingsbruder.

    Fazit: Bei der Berliner Pressevorführung von „Jack und Jill" lagen nicht nur die anwesenden FILMSTARTS-Redakteure teilweise vor Lachen fast unter dem Stuhl. Trotzdem wird die Mehrheit der Kritiker sicher harsche Worte finden, denn „Jack und Jill" hat Fäkalienwitze, ist politisch unkorrekt und ist geradezu aus Prinzip unrund erzählt. Aber gerade das macht einen beträchtlichen Teil seines Charmes aus. Für uns ist „Jack und Jill" verdammt unterhaltsam und alles andere als dumm. Kurz: die beste Adam-Sandler-Komödie seit langem.

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