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    The Last Days of American Crime
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    The Last Days of American Crime

    Wenn die Netflix-Freiheit nach hinten losgeht

    Von Christoph Petersen

    Die erste Nachricht zu „The Last Days Of American Crime“ wurde auf FILMSTARTS bereits im März 2012 veröffentlicht – damals waren gerade Regisseur F. Gary Gray („Fast & Furious 8“) und sein Hauptdarsteller Sam Worthington („Avatar“) aus dem Projekt ausgestiegen, stattdessen sollte Spielfilmdebütant Anthony Mandler die Regie bei der Verfilmung der 2009 veröffentlichten Graphic Novel von Rick Remender („Uncanny Avengers“) übernehmen.

    Fast ein Jahrzehnt nach den ersten Plänen hat der Science-Fiction-Noir-Thriller nun – dank Regisseur Olivier Megaton („Transporter 3“) und dem Geld von Netflix – doch noch das Licht der Welt erblickt. Und man versteht auch, warum die Produzenten das Projekt aller Widerstände zum Trotz unbedingt umsetzen wollten: Die Prämisse der Vorlage klingt auf dem Papier nämlich absolut grandios! Herausgekommen ist dann aber leider doch nur ein dröger, derivativer Gangster-Thriller, der seine zweieinhalbstündige Laufzeit nicht mal im Ansatz rechtfertigt.

    Bei den Gangster-Posen von Michael Pitt mussten wir die ganze Zeit sehnsuchtsvoll an den großartigen James Franco in "Spring Breakers" denken.

    In der nahen Zukunft haben die Vereinigten Staaten ein Funksignal entwickelt, das so auf die Gehirne der Menschen wirkt, dass es ihnen unmöglich wird, gegen ein Gesetz zu verstoßen. In weniger als einer Woche soll das sogenannte API-Signal („American Peace Initiative“) scharfgeschaltet werden. Für die Polizisten des Landes bedeutet das zugleich den Wechsel in den Vorruhestand – denn Verbrechen im herkömmlichen Sinne wird es dann ja nicht mehr geben.

    Kevin Cash (Michael Pitt), das schwarze Schaf einer Gangster-Dynastie, und Shelby Dupree (Anna Brewster), seine Femme-Fatale-Verlobte, wollen den Moment allerdings nutzen, um mit einem finalen Heist noch mal so richtig abzusahnen – und zugleich mit dem letzten Verbrechen in der Historie der USA in die Geschichtsbücher einzugehen. Dafür sichern sie sich die Dienste des Berufsgangsters Graham Bricke (Edgar Ramírez), der bei der Sache vor allem deshalb mitmacht, um den Tod seines im Gefängnis ermordeten Bruders zu rächen...

    Das wahre Verbrechen: Mir wurden 2,5 Stunden geklaut

    Wenn man sich das stylische Oldschool-Poster so ansieht und dazu noch im Hinterkopf hat, dass der Film sehr stolze 148 Minuten lang ist, dann liegen Assoziationen zu tatsächlich epischen Verbrechensstorys wie Ridley Scotts „American Gangster“ durchaus nahe. Aber damit ist man völlig falsch gewickelt: „The Last Days Of American Crime“ ist ein im Kern extrem simpler Gangster-Thriller, bei dem von Anfang an klar ist, wer wen übers Ohr hauen wird.

    Die Protagonisten benehmen sich dabei allesamt, als hätten sie sich einmal zu oft „Scarface“ & Co. reingezogen – nur wirken die nachgemachten Posen bei ihnen nicht cool, sondern meist völlig Banane. Speziell der sonst so großartige Michael Pitt („Die Träumer“) spielt hier einen Soziopathen für Arme – nur bei einer Familientherapie der besonderen Art dreht er zwischendrin einmal kurz für fünf Minuten anständig auf. Edgar Ramírez („Carlos“) verwechselt unterdessen Coolness mit Emotionslosigkeit – und wirkt mit seiner betont unbeteiligten Art die ganze Zeit, als würde er sich einfach nur ganz schrecklich langweilen.

    Edgar Ramírez und Anna Brewster rasen mit dem Truck direkt in Richtung eines riesigen Logiklochs.

    Die Figuren sprechen dabei abwechselnd zwei Sprachen: Oneliner-Poser-Englisch, wobei kaum mal einer der Möchtegern-Machosprüche tatsächlich zündet, und Exposition, mit der die Autoren ihre nun wahrlich nicht sonderlich komplexe Geschichte schon mit dem obligatorischen Off-Kommentar zu Beginn zu Tode erklären. Aber irgendwo muss die schrecklich lange Spielzeit ja auch herkommen – denn mit der Sci-Fi-Prämisse hat das Ausarten der Erzählung ganz sicher nichts zu tun:

    Das Einschalten des Signals erfüllt hier nämlich ausschließlich den dramaturgischen Zweck eines Countdowns (es hängen unsinnigerweise auch überall Uhren herum, die die Zeit runterzählen). Darüber hinaus wird aber nicht einmal so getan, als hätte der Film auch nur das geringste Interesse an den gesellschaftlichen Dimensionen einer solchen Erfindung. Stattdessen fließt die meiste Zeit in die Vorbereitung eines Heists, der weder clever, spannend noch spektakulär ist – und zudem mit einem riesigen Logikloch* endet.

    Die Kehrseite der Netflix-Medaille

    Die Inszenierung von Olivier Megaton, der nach „Taken 3“ von 2014 immer wieder mit verschiedenen Projekten in Verbindung gebracht wurde, die sich dann aber doch wieder zerschlagen haben, ist zweckdienlich, aber auch alles andere als herausstechend – und schon gar nicht episch. Erinnerungswürdige Actionsequenzen gibt es jedenfalls keine – und Kapstadt, wo der Film aus Budgetgründen gedreht wurde, geht auch nicht in jeder Szene unwidersprochen als US-amerikanische Metropole durch.

    Netflix bietet seinen Filmemachern in der Regel mehr Freiheiten als ein klassisches Hollywoodstudio bei einem vergleichbaren Budget. Aber das muss sich für den Zuschauer nicht immer nur positiv auswirken – „The Last Days Of American Crime“ ist das beste Beispiel dafür: Ganz unabhängig von der Qualität hätte jeder Studioproduzent Olivier Megaton noch mal mit dem Auftrag, unter einer Laufzeit von 105 Minuten zu bleiben, zurück in den Schneideraum geschickt. Bei Netflix wird sowas offenbar hingegen einfach durchgewunken – und das liegt zumindest in diesem Fall ganz sicher nicht im Interesse der zahlenden Abonnenten.

    Fazit: Viel Gepose, wenig dahinter. Würde es das API-Signal tatsächlich geben, wäre es Olivier Megaton wahrscheinlich unmöglich gewesen, seinen Film in dieser Form abzuliefern – schließlich ist es ein Verbrechen, wie sträflich ungenutzt das riesige Potenzial der vielversprechenden Prämisse in „The Last Days Of American Crime“ bleibt.

    *Achtung – Spoiler zum Ende von „The Last Days Of American Crime“: Wenn Graham und Shelby am Ende mit ihrem riesigen Laster die Absperrung an der kanadischen Grenze durchbrechen, folgt danach ein Schnitt zum Sonnenaufgang am nächsten Morgen. Offenbar sind die beiden stundenlang durchs Land bis ans Meer gefahren. Aber was ist mit den Cops an der Grenze? Die müssten ja nur in ihre Autos steigen und hätten den Lastwagen in weniger als einer Meile eingeholt?

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