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    Der Gott des Gemetzels
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Der Gott des Gemetzels
    Von Björn Becher

    Nach der Uraufführung in Zürich 2006 avancierte „Gott des Gemetzels" von Yasmina Reza bald zu einem der weltweit meistgespielten zeitgenössischen Theaterstücke. Entscheidenden Anteil am internationalen Erfolg hatte die englische Übersetzung der französischen Vorlage durch Christopher Hampton („Gefährliche Liebschaften") - als „God of Carnage" (so der englische Titel) wurde das Vier-Personen-Stück erst in London und schließlich auch am New Yorker Broadway gefeiert. Star-Regisseur Roman Polanski („Chinatown", „Der Pianist") legt nun die längst überfällige Verfilmung von „Gott des Gemetzels" vor. Sein kinogerecht inszeniertes Pointenfeuerwerk wird durch die ebenso prominente wie beeindruckende Besetzung mit Jodie Foster, John C. Reilly, Kate Winslet und Christoph Waltz zum Fest für die Freunde intelligenter Unterhaltung.

    Brooklyn Bridge Park, New York: Ein Elfjähriger gerät in einen Streit mit mehreren gleichaltrigen Mitschülern und schlägt einem der anderen Jungen mit einem Stock ins Gesicht, der dabei – wie wir später erfahren – zwei Zähne verliert. Kurze Zeit später treffen sich Michael (John C. Reilly) und Penelope Longstreet (Jodie Foster), die Eltern des Verletzten, in ihrer Wohnung mit Alan (Christoph Waltz) und Nancy Cowen (Kate Winslet), den Eltern des Schlägers. Schnell verständigen sie sich über die Streitpunkte und wollen wieder getrennte Wege gehen – man ist schließlich zivilisiert. Doch als die Cowens eigentlich schon aus der Tür sind, lassen sie sich noch zu einem kleinen Kaffee überreden. Nun kommt das Quartett doch wieder zum Streit der Kinder zurück und es zeigt sich, dass hier gar nichts geklärt ist. Schnell erhitzen sich die Gemüter immer weiter, es kommt zu einer vehementen Auseinandersetzung, in der es bald um ganz andere Dinge geht. Dabei werden munter die Fronten gewechselt und als auch noch Alkohol ins Spiel kommt, eskaliert die Situation völlig.

    Da Roman Polanski aufgrund eines offenen Haftbefehls nicht in die USA einreisen kann, entstand „Gott des Gemetzels" in Paris, dem Originalschauplatz des Stückes. Trotzdem entschied sich der Regisseur und Autor das kommerziell vielversprechendere US-Setting aus Hamptons Adaption beizubehalten. Nach dem musikdominierten Prolog im Brooklyn Bridge Park – eine Szene, die in den Theaterversionen entweder komplett fehlt oder als Tonspur das Stück einleitet – sind die Straßen New Yorks durch die Fenster der Wohnung der Longstreets immer wieder deutlich zu sehen. Polanski zeigt, dass er nicht in den USA drehen muss, um einen Film glaubwürdig dort spielen zu lassen. Aber der hier etwas übertonte Schauplatz besitzt auch in dieser leicht aktualisierten Variante des Stücks, die der Filmemacher gemeinsam mit der Originalautorin Yasmina Reza erstellte, letztlich keine wirklich spezifische Bedeutung – die Essenz des Stoffs ist unabhängig vom Handlungsort stets die gleiche.

    „Gott des Gemetzels" bietet ein Dialogfeuerwerk voller satirischer Pointen und humoristischer Highlights, das kaum Pausen zum Atmen lässt. Diese erzählerische Dichte behält auch Polanski in seinem nur 79 Minuten langen Film bei. Was als vernünftiges Gespräch unter Elternpaaren beginnt, wird so fast unausweichlich zu einem Streit voller Vorwürfe, Besserwisserei und schließlich Beleidigungen. Die vier sehr verschiedenen Protagonisten – von der Weltverbesserin, die glaubt, alle anderen erziehen zu müssen, bis zum zynischen Anwalt – lassen nach und nach ihre Masken und Hemmungen fallen, um wie Kinder auszuteilen, ohne einstecken zu können. Die Gesellschaftssatire mag nicht gerade subtil ausfallen, aber gerade die Zuspitzung macht sie zu einem köstlichen Vergnügen: Hinter der Fassade des zivilisierten Bürgertums stecken auch nur eitle, unreife Menschen, die mit Stöcken aufeinander losgehen würden, wenn sie Regeln und Normen nicht daran hindern würden.

    Ein Vier-Personen-Stück, bei dem sich alle Protagonisten fast durchgehend auf der Bühne befinden, ist für die Schauspieler eine besondere Herausforderung, aber auch eine große Chance, sich zu profilieren. Diese nutzt besonders „Inglorious Basterds"-Star Christoph Waltz als Anwalt Alan und brilliert. In der ersten halben Stunde gehört ihm das Rampenlicht fast alleine, immer wieder unterbricht das Klingeln seines Handys das Gespräch der Elternpaare und der an der Aussprache wenig interessierte Alan gibt seinem Gesprächspartner am Telefon in arrogant-aggressivem Anwalts-Singsang Anweisungen zur Verteidigung eines im Kreuzfeuer stehenden Pharmaunternehmens. Polanski läuft gelegentlich Gefahr, dieser Nebenhandlung zu viel Interesse zu widmen, schöpft dafür aber das komische Potential von Alans Auftreten voll aus.

    Neben Waltz, der in der Rolle der dominanten Rampensau aufgeht, kann sich zunächst vor allem Jodie Foster („Das Schweigen der Lämmer") profilieren, ihre Penelope bietet dem unhöflichen Gast immerhin ein paar Mal Paroli. Kate Winslet („Der Vorleser") und John C. Reilly („Magnolia") müssen erst einmal im Hintergrund bleiben und ihre Klasse zeigt sich erst darin, dass ihre Figuren trotzdem interessant bleiben und ihr großer Ausbruch nicht zu unvermittelt erfolgt. Wenn die Emotionen dann überkochen, wenn geschrien, geweint und agitiert wird, ist es wieder Waltz, der den Kontrapunkt setzt: Während um ihn herum die Situation eskaliert, blitzt bei ihm eine diabolische Freude über das angerichtete Chaos aus.

    Im Theater hat der Zuschauer immer die ganze Bühne und damit alle vier Figuren im Blick, diese Konstellation hat Polanski konsequent aufgebrochen und nutzt die kinotypischen Mittel der Aufmerksamkeitslenkung sehr intensiv. Er setzt von Anfang an auf Nahaufnahmen und widmet sich dabei zunächst vor allem Waltz. Dabei erzielt der Regisseur vereinzelt sogar Lacher, die es im Theater nicht gibt. Auch das Verhältnis der Figuren zueinander wird durch ihre Inszenierung im Raum verdeutlicht, durch dieses Spiel mit Vorder- und Hintergrund legt der Filmemacher eine ganz bestimmte Sicht auf das Geschehen nahe. Polanski erzeugt punktuell Sympathie und Antipathie, betont die Gegensätze zwischen den Figuren und das Absurde ihres Verhaltens. Diese zuweilen extreme Lesart lässt dem Betrachter nicht so viele Freiheiten wie dem Theatergänger, aber dafür sitzt jede Pointe, was natürlich auch den brillanten Darstellern zu verdanken ist.

    Fazit: Roman Polanskis Adaption von Yasmina Rezas Erfolgsstück ist eine effektvoll inszenierte und hochvergnügliche Gesellschaftssatire mit Traumbesetzung.

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