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    Stereo
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Stereo
    Von Carsten Baumgardt

    Deutsches Genrekino fristet nach wie vor ein Mauerblümchendasein im überlebensgroßen Schlagschatten des nationalen Komödienbetriebs der Marke Schweiger und Schweighöfer. Einheimische Thriller, Horror- oder Science-Fiction-Filme gelten von vornherein als Kassengift und wenn sich dann doch einmal jemand mit einem angemessenen Budget an solche Genre-Produktionen wagt, endet der gute Vorsatz oft mit Nicht-Erscheinen der Zuschauer: Zuletzt rackerte sich Dennis Gansel („Die Welle“) mit „Wir sind die Nacht“ vergeblich im Vampir-Genre ab, Tim Fehlbaum scheiterte mit dem Endzeit-Epos „Hell – Die Sonne wird euch verbrennen“ und auch Lars Kraume ging mit seiner Zukunftsvision „Die kommenden Tage“ kommerziell baden. Mit Maximilian Erlenwein („Schwerkraft“) wirft nun ein weiterer vielversprechender Jung-Regisseur seinen Hut in den (Genre-)Ring: Er vereint in dem harten Mystery-Gangster-Thriller „Stereo“ mit Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu zwei von Deutschlands größten Schauspielstars und zeigt dabei ein beachtliches Gespür für kinotaugliche Bildkompositionen und wirkungsvolle Posen.

    Erik (Jürgen Vogel) startet weit weg von der Großstadt Berlin einen Neuanfang im ländlichen Idyll. Er ist glücklich mit seiner neuen Freundin Julia (Petra Schmidt-Schaller) und kommt sogar mit deren Tochter Linda (Helena Schoenfelder) blendend aus. Eriks neu eröffnete Motorradwerkstatt läuft auch nicht schlecht, nur mit Julias Polizisten-Vater Wolfgang (Rainer Bock) liegt er nicht unbedingt auf einer Wellenlänge. Doch dann wird es richtig unangenehm für den toughen Erik: Henry (Moritz Bleibtreu) dringt in sein Leben ein und verschwindet einfach nicht wieder. Auf Schritt und Tritt verfolgt der vulgäre Parasit den Motorradschrauber. Das Problem: Nur Erik kann Henry sehen – der Quälgeist existiert ausschließlich in seiner Vorstellung, das allerdings als überaus überzeugende Manifestation. Als der zwielichtige Gaspar (Mark Zak) und sein Gefolge in Eriks Schuppen auftauchen und alte Wunden aus seiner dunklen Vergangenheit aufreißen, droht der Bedrängte die Nerven zu verlieren, denn der Gangsterboss Keitel (Georg Friedrich) soll hinter ihm her sein. Erik wendet sich an die Geisterheilerin Frau Saurion (Valery Tscheplanowa), die ihm den unliebsamen Begleiter Henry austreiben soll…

    Das Schönste zuerst: „Stereo“ ist über weite Strecken ein unberechenbarer Film. Immer wenn sich der Zuschauer in einem Handlungsstrang sicher und geborgen fühlt, reißt Regisseur Erlenwein das Ruder mit einem deftigen Hauruck um 180 Grad herum. So beginnt „Stereo“ als ungewöhnliche Heile-Welt-Erzählung: Ein selbstbewusster Mann Anfang 40 knattert auf seinem coolen Motorrad mit überhöhter Geschwindigkeit über eine Landstraße, lässt sich von der Polizei nicht foppen und hat sein Leben voll im Griff – jedenfalls bis erstes Gesindel auf der Bildfläche erscheint und Eriks Glücksoase düster einfärbt. Plötzlich wird aus der Selbstfindungsidylle eines harten Mackers (man beachte das Arm-Tattoo „Halunke“), der seine weiche Seite zeigt, ein Mystery-Thriller, in dem andere Saiten aufgezogen werden: Bei der Geisterheilerin in einer versifften Berliner Satellitensiedlung beginnt ein Trip in schräge Gefilde mit kalkuliert skurrilen Typen. Dieser Teil geht schließlich im letzten Drittel fließend in einen gewaltgeilen Milieu-Gangsterfilm über. Diese wilde Mixtur kann natürlich gar nicht erzählerisch homogen und aus einem Guss sein, dafür wird „Stereo“ aber von der konsequent stilisierten Inszenierung zusammengehalten.

    Regisseur Erlenwein und sein Kameramann Ngo The Chau („Banklady“, „Das Leben ist nichts für Feiglinge“) spielen virtuos mit Licht und Schatten, mit ausgedünnten Farben und harten Kontrasten. Sie machen „Stereo“ zu einem Augenschmaus in Neo-Noir-Optik, der definitiv auf der großen Kinoleinwand am besten zur Geltung kommt. Aber auch bis in seine vertrackten Psycho-Thriller-Windungen hinein umweht Erlenweins Film durchaus ein Hauch von „Fight Club“ – selbst wenn die Auflösung des zentralen Mysteriums um die Identität von Henry dann eher fade Hausmannskost aus der Genreküche bietet. Einen deftigen Akzent setzt hingegen Georg Friedrich („Die Klavierspielerin“), der sich als verkrüppelter Gangsterboss chargierend bis zum Anschlag an den Rand der Karikatur berserkert. Er überschreitet diese Grenze aber nicht und verbreitet in breitbeiniger Pose ironischen Spaß. Und auch in den Hauptrollen sind mit Jürgen Vogel („Die Welle“, „Keinohrhasen“) und Moritz Bleibtreu („Der Baader Meinhof Komplex“, „World War Z“) zwei echte Typen zu sehen. Die beiden Stars stehen hier erstmals gemeinsam in Kino-Hauptrollen vor der Kamera und lassen sich mit sichtlichem Vergnügen auf Erlenweins Genre-Variationen ein.

    Der vielseitige Vogel war schon bei Erlenweins Langfilm-Debüt „Schwerkraft“ dabei und zeigt sich hier nun von seiner rauen Seite, die auch unter Eriks anfänglicher Softie-Fassade stets latent präsent ist. Der Motorradfan wird von einer Wahnvorstellung geplagt und die Frage, welche Person oder welches Ereignis aus Eriks Vergangenheit sich denn nun hinter diesem imaginären Henry verbirgt – ein fluchendes, ordinäres Teufelchen, das Bleibtreu mit seinem ureigenen Charisma auflädt -, beschäftigt den Zuschauer eine ganze Weile. Allerdings geht der mal unterschwellig humorige, mal ins offen Absurde kippende Ton der Szenen mit dem Plagegeist Henry deutlich zulasten der Spannung und diese Brüche erweisen sich als größter Schwachpunkt des Films. Erlenwein hatte die Idee zu „Stereo“, als er den Komödienklassiker „Mein Freund Harvey“ sah und sich eine Geschichte vorstellte, in der das eingebildete Riesen-Kaninchen an James Stewarts Seite ein „richtiger Dreckskerl“ wäre –  wer diese Inspirationsquelle kennt, der wundert sich vielleicht nicht so sehr, dass die erzählerische Mischung hier nicht immer aufgeht. Reizvoll ist sie allemal.

    Fazit: „Mein Freund Harvey“ trifft „Fight Club“: Maximilian Erlenwein serviert mit seinem harten Gangster-Thriller „Stereo“ ungewöhnliche Genre-Kost aus deutschen Landen.

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