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    Wonder Wheel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Wonder Wheel
    Von Carsten Baumgardt

    „Nanu, was ist denn da los?“ Das fragte man sich als Fan des vierfachen Oscargewinners unweigerlich, als der sonst so sehr auf Traditionen pochende Woody Allen (ein neuer Allen-Film pro Jahr ist so sicher wie das Amen in der Kirche) 2016 mit „Crisis In Six Scenes“ plötzlich eine sechsteilige Miniserie für den Online-Giganten Amazon inszenierte. Will sich der Altmeister in seinen Achtzigern doch noch mal kreativ austoben? Wohl kaum, denn das Ergebnis war mehr als ernüchternd: Allen hatte sich nach eigener Aussage einfach zu etwas überreden lassen, wovon er eigentlich gar keinen Plan hat – und so ist „Crisis In Six Scenes“ auch nur ein typischer Woody-Allen-Film, der halt ins sechs 20-Minuten-Schnipseln gestreamt wird. Der sich mit der enttäuschend-rückwärtsgewandten Serie andeutende Negativtrend setzt sich nun auch mit Allens 48. Kinofilm fort: Das kammerspielartige Melodram „Wonder Wheel“ können auch die engagierten Schauspieler und die schwelgerischen Bilder nicht von seiner erzählerischen Schwerfälligkeit befreien.

    Coney Island in den 1950er Jahren: Die 26-jährige Carolina (Juno Temple) ist auf der Flucht. Sie weiß zu viel über die üblen Machenschaften der Familie ihres Mannes und soll deshalb von Mafia-Schergen zum Schweigen gebracht werden. Die junge Frau sucht dort Unterschlupf, wo es zunächst niemand vermutet: bei ihrem Vater Humpty (Jim Belushi) und seiner neuen Frau Ginny (Kate Winslet). Schließlich haben Carolina und Humpty schon seit Jahren kein Wort mehr miteinander gesprochen. Aber Vater und Tochter versöhnen sich und die Gesuchte taucht in der turbulenten Welt des New Yorker Vergnügungsparks Coney Island als Restaurantbedienung unter. Währenddessen hat Stiefmutter Ginny, deren Ehe mit dem Karussell-Kartenabreißer Humpty sie längst nicht mehr erfüllt, eine Sommeraffäre mit dem um einiges jüngeren Rettungsschwimmer und Feierabend-Schriftsteller Mickey (Justin Timberlake). Kompliziert wird es, als sich Carolina ebenfalls in Mickey verliebt. Und dann sind da ja auch immer noch die skrupellosen Berufskiller, die ihr nach dem Leben trachten…

    Woody Allen schert sich schon lange nicht mehr um die Realität da draußen, sondern hat sich stattdessen seine ganz eigene Welt in seinen Filmen aufgebaut – was auch in den vergangenen Jahren noch immer wieder großen Charme besaß. Seit Dekaden stellt der emsige Filmemacher seine mit der Präzision eines Uhrwerks im Jahrestakt erscheinenden Werke stets aus den mehr oder weniger gleichen Zutaten zusammen. Anders wäre ein so straffer Rhythmus wohl auch gar nicht durchzuhalten. Und weil die Qualität der Filme dabei immer noch oft genug stimmt (mit „Midnight In Paris“ und „Blue Jasmine“ hatte Allen schließlich auch in den 2010ern noch zwei überragende Filme am Start), verwundert es, dass der eigenwillige Auteur bei „Wonder Wheel“ erstmals seit langer Zeit keinen Dreh findet, um sein Publikum zumindest charmant und kurzweilig zu unterhalten.

    Die größten Mankos von „Wonder Wheel“ sind die zähe, allzu Woody-Allen-typisch verlaufende Story und die Figuren, die nie berühren - was aber für das Funktionieren eines solchen überhöhten Melodrams eigentlich unabdingbar wäre. Der Zuschauer wird direkt hineingeschmissen in die bonbonbunte Welt des berühmten Brooklyner Jahrmarkts, den Allen als eine bühnenhafte Fantasie ausstellt, die mit dem tatsächlichen Ort zu der Zeit wenig gemein hat und in der Justin Timberlake als Mickey mit seinem konsequent künstlichen, aber ohne erkennbaren Mehrwert eingesetzten Voice-Over die vierte Wand durchbricht und sich direkt an das Publikum richtet. Dabei leistet zumindest Kamera-Veteran Vittorio Storaro („Apocalypse Now“, „Der letzte Kaiser“) großartige Arbeit und macht „Wonder Wheel“ zum bestaussehenden Woody-Allen-Film seit langem. Seine Bilder erzeugen eine schwärmerische, zum Theaterhaften passende surreale Stimmung.

    Die findet aber kaum einmal einen emotionalen Widerhall, weil die Handlung zu Beginn allzu ereignisarm vor sich hinplätschert, bis sich Kate Winslet („Titanic“) als notorisch unzufriedene Ginny, die viel lieber Schauspielerin als Kellnerin geworden wäre, immer mehr in eine rasende Hysterie hineinsteigert. Weil sie sich zuvor aber nicht die Sympathien des Zuschauers gesichert hat, ist das trotz Winslets starker Leistung eher anstrengend als erhellend. Als emotionaler Anker entpuppt sich so ausgerechnet der grobe Klotz Humpty, den Jim Belushi („Red Heat“) wunderbar raubeinig im notorisch schmierigen (weißen) Unterhemd gibt. Aber Humpty ist eben nur eine Randfigur.

    Am ehesten funktioniert in „Wonder Wheel“ noch die auf mittlerer Stufe vor sich hin köchelnde Liebesgeschichte zwischen Carolina und Mickey. Hier ist es neben Carolinas naivem Charme vor allem Mickeys Zerrissenheit zwischen seinen zwei Liebschaften, die ein wenig Spannung in den Plot bringt. Aber ebenso wie Ginny wird auch Justin Timberlakes („The Social Network“) Rettungsschwimmer zunehmend als ebenso egoistischer wie konturloser Unsympath entlarvt: Er mutiert vom smarten Lover zum tumben Möchtegern, der in seiner eigenen Mittelmäßigkeit gefangen und mit der Gesamtsituation überfordert ist. Selbst das große Moralische-Dilemma-Finale verläuft enttäuschend, weil der bekennende Film-Misanthrop Woody Allen offenbar einfach nicht aus seiner Haut kann. Es gibt da diesen einen kleinen spannenden Moment, in dem Kate Winslets Ginny den Hörer eines öffentlichen Strandtelefons in der Hand hat und man kurz glaubt, der Film könnte doch noch aus den starren belehrenden Strukturen eines Woody-Allen-Films ausbrechen. Aber nach einem imaginären Trommelwirbel lässt die Regielegende auch diese Chance verstreichen und schleppt den Film auf den bekannten Bahnen über die Ziellinie. So verkommt Allens Glaube an das Schlechte im Menschen zwölf Jahre nach dem noch erfrischend abgründigen Meisterwerk „Match Point“ endgültig zur müden Masche.

    Fazit: „Wonder Wheel“ ist Woody Allens schwächster Film seit langer, langer Zeit. Dem nur visuell überzeugenden, aber erzählerisch trägen Melodram fehlt es an Schärfe, Biss und vor allem an Emotionen.

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