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    Tatort: Freies Land
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Tatort: Freies Land
    Von Lars-Christian Daniels

    Sie leugnen hartnäckig die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als rechtmäßiger Staat, sind oft der rechtsextremen Szene zuzuordnen und begingen nach Angaben des Bundesverfassungsschutzes allein zwischen 2015 und 2017 mehr als 10.000 Straftaten: Die sogenannten „Reichsbürger“ sorgten in den vergangenen Jahren immer wieder für Schlagzeilen und beschäftigen mittlerweile die Polizei und Justiz von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen. Die Aufarbeitung der Reichsbürgerbewegung im „Tatort“, den seit jeher das Aufgreifen gesellschaftlicher und politischer Reizthemen auszeichnet, war damit eigentlich längst überfällig.

    Aber erst nun wagt sich erstmalig ein Filmemacher in der Reihe an dieses heiße Eisen: Regisseur Andreas Kleinert („Freischwimmer“) schickt die Münchner Kommissare in „Tatort: Freies Land“ in die bayrische Provinz und lässt sie dort am eigenen Leib erfahren, was es heißt, als Polizist aggressiven Kriminellen gegenüberzutreten, die die Bundesrepublik für völker- und verfassungsrechtlich illegal halten. Das Ergebnis ist ein sehr interessanter und mit humorvollen Zwischentönen gespickter Krimi, der jedoch mit einigen Längen zu kämpfen hat und das große Potenzial seiner Geschichte nicht ganz ausschöpft.

    Als Johanna Berg (Doris Buchrucker) ihren Sohn Florian (Niels Osthorst) tot in der eigenen Badewanne findet, scheint der Fall eindeutig zu sein: Der junge Mann hat sich die Pulsadern aufgeschnitten. Doch wo ist die Tatwaffe? Auch einen Abschiedsbrief suchen die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) vergeblich. Soll hier ein Mord vertuscht werden? Eine heiße Spur führt die Ermittler ins niederbayrische Traitach, wo sie von dem ortsansässigen Dorfpolizisten Mooser (Sigi Zimmerschied) und dessen schweigsamem Kollegen (Konstantin Moreth) unterstützt werden: Drei Autostunden von München entfernt haben sich auf einem abgelegenen Hof einige Reichsbürger zusammengeschlossen und ihr Land zum eigenen Staatsgebiet erklärt. Ihr Anführer Ludwig Schneider (Andreas Döhler) lässt die Kommissare bei deren Besuch ebenso abblitzen wie sein wenig zimperlicher Handlanger Klaus (Simon Zagermann): Polizeiliche Autorität bedeutet ihnen nichts und die Bundesrepublik erkennen die „Freiländer“ nicht an. Ebenfalls zur Gemeinschaft gehören die alleinerziehende Lene (Anja Schneider) und ihre blinde Tochter Maria (Vreni Bock), die ein enges Verhältnis zum Verstorbenen pflegte...

    Wer die mediale Berichterstattung nicht verfolgt, in den sozialen Netzwerken weggesehen oder aus anderen Gründen noch nie etwas von Reichsbürgern gehört hat, wird von den Filmemachern einleitend in angemessener Länge über deren Ideologie aufgeklärt: Drehbuchautor Holger Joos, der zuletzt das Skript zum starken Münchner „Tatort: Der Tod ist unser ganzes Leben“ schrieb, lässt die Kommissare nach ihrem Eintreffen in der Provinz direkt in eine Versammlung stolpern, bei der Freiland-Anführer Ludwig Schneider (stark: Andreas Döhler, „Die Hände meiner Mutter“) eine Brandrede hält.

    Er erntet dafür viel Zuspruch von den Dorfbewohnern und potenziellen Brüdern und Schwestern im Geiste. Auch wenn der Name Angela Merkel nicht explizit fällt, richten sich seine wütenden Worte auch gegen die Bundeskanzlerin, die spätestens seit der Flüchtlingskrise von 2015 so vielen Anfeindungen ausgesetzt ist wie keine zweite deutsche Politikerin: Keine Frage, dieser „Tatort“ aus München legt den Finger auf den Puls der Zeit und zugleich in die Wunde des deutschen Polizeiapparats, der der Missachtung der Beamtenautorität aufgrund der strikten Vorschriften und des geringen Handlungsspielraums bisweilen machtlos gegenübersteht.

    Eine vergleichbare Geschichte wurde 2014 im herausragenden „Tatort: Brüder“ erzählt, in dem die Bremer Kollegen Inga Lürsen (Sabine Postel) und Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) einen kriminellen Clan gewähren lassen mussten – denn auch Schneider & Co. wissen ganz genau, wie weit sie gehen dürfen, ohne verhaftet zu werden. Batic und Leitmayr wiederum lassen sich provozieren, und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis es zwischen den Kommissaren und den Reichsbürgern zu Handgreiflichkeiten kommt. Die Eskalation der Gewalt markiert den ersten Wendepunkt im Film, ist der Spannungskurve aber nicht ganz so dienlich, wie man zunächst meinen sollte.

    Batic und Leitmayr – durchaus typisch für einen „Tatort“ aus München – zoffen sich anschließend nämlich so sehr, dass sie vorübergehend getrennte Wege gehen. Leitmayr nutzt diese Zeit für einen Wanderausflug und ausgedehnte Gespräche mit dem schrulligen Dorfältesten Alois (Peter Mitterrutzner): Dieses Intermezzo ist zwar dank der toll fotografierten See- und Wiesenpanoramen nett anzusehen, gestaltet sich aber weniger reizvoll als Batic‘ Annäherung an die blinde Maria (Vreni Bock), die ihre Einschränkung tapfer meistert und die Verschwörungstheorien der Reichsbürger durchaus hinterfragt.

    Ansonsten spielen Batic und Leitmayr im 1061. „Tatort“ oft nur die zweite Geige und etwas zu kurz kommt diesmal auch Assistent Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer): Während sich die beiden Kommissare an der Front aufreiben, mit der köstlichen Antriebslosigkeit ihrer vor Ort zuständigen Kollegen zu kämpfen haben („Es gibt natürlich noch so unermüdliche Helden wie euch – und wir anderen machen jetzt Mittag“) und generell einmal mehr für den wunderbar subtilen Humor im Münchner „Tatort“ verantwortlich zeichnen, hält Kalli im Präsidium die Stellung – darf aber zumindest noch den entscheidenden Hinweis zur Auflösung beisteuern.

    Regisseur Andreas Kleinert beleuchtet neben den Ermittlungen der Kommissare vor allem auch das Innenleben der Freilandgemeinschaft. Die koppelt sich in bester „The Village“-Manier von der Außenwelt ab und möchte ihre Lebensweise gegen jeden Widerstand in die Tat umsetzen. Spannende Charaktere findet man hinter den hohen Stacheldrahtzäunen aber nur wenige, weil die Figurenkonstellation sehr klassisch ausfällt und die üblichen Mechanismen der Gruppendynamik greifen: Während Schneider die Rolle eines Sektengurus einnimmt und viele geistig limitierte Mitläufer unter seinen Fittichen weiß, darf sich die energische Lene (Anja Schneider, „Tschick“) erst spät von ihrer eindimensionalen Rolle als Mutter und Love Interest emanzipieren.

    Fazit: Mit Andreas Kleinerts „Tatort: Freies Land“ verabschiedet sich die beliebteste deutsche Krimireihe mit einem soliden und politisch brisanten Fall in die Sommerpause 2018.

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