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    Tatort: Für immer und dich
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Tatort: Für immer und dich

    Ein nur halb geglücktes Experiment

    Von Lars-Christian Daniels

    Der Fall der verschwundenen Maria Henselmann sorgte bundesweit für Schlagzeilen: Die 13-jährige Schülerin aus Freiburg war 2013 von zu Hause abgehauen und tauchte fünf Jahre später plötzlich gesund und munter wieder auf. Maria war mit einem 40 Jahre alten Mann durchgebrannt, den sie im Internet kennengelernt hatte und von dem sie sich in der Pubertät besser verstanden fühlte als von ihrer Mutter. An eben diesen realen Fall ist nun der vierte Schwarzwald-„Tatort“ angelehnt, in dem Hauptdarsteller Hans-Jochen Wagner („Die Blumen von gestern“) sein Comeback gibt: Wagner war krankheitsbedingt für „Tatort: Damian“ ausgefallen und wurde darin mehr als anständig von seinem Kollegen Carlo Ljubek vertreten. Unter der Regie von Julia von Heinz („Ich bin dann mal weg“) ist aus dem „Tatort: Für immer und dich“, dessen Titel auf einen der berühmtesten Songs von Rio Reiser zurückgeht, allerdings kein echter Krimi geworden: Der 1087. „Tatort“ ist eine Kreuzung aus tragischem Beziehungsdrama und sommerlichem Roadmovie, die sich besonders im Mittelteil als reichlich zähe Angelegenheit entpuppt.

    Die 15-jährige Emily Arnold (Meira Durand) gilt seit zwei Jahren als vermisst. Sie war ehrenamtlich in einem Freiburger Tierheim tätig und ist von dort nicht nach Hause gekommen. Ihre Mutter Michaela (Kim Riedle) hat die Hoffnung jedoch nicht aufgegeben, dass ihre Tochter wieder auftaucht – und schöpft neue Hoffnung, als sie Emily in der Nähe ihrer Wohnung zu sehen glaubt. Als sie dies der Polizei meldet, winkt Hauptkommissar Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) zunächst ab: Er hat in den vergangenen Jahren schon häufiger Hinweise von ihr erhalten, die allesamt falsch waren. Diesmal scheint an der Sache aber etwas dran zu sein, denn Bergs Kollegin Franziska Tobler (Eva Löbau) entdeckt auf dem Bild einer Überwachungskamera einen Teenager, der Emily sehr ähnlich sieht. Und sie liegt richtig: Emily ist im Alter von 13 Jahren mit dem über 30 Jahre älteren Martin Nussbaum (Andreas Lust) durchgebrannt und erst kürzlich mit ihm in den Breisgau zurückgekehrt. Als der einen jungen Autoknacker in einen Unfall verwickelt und damit die Kommissare auf den Plan ruft, finden die Beamten Emilys DNA im Fahrzeug. Das ist aber nicht Nussbaums einzige Sorge: Er braucht dringend Geld und sucht daher seine Mutter Luise (Ursula Werner) auf…

    Immer auf der Flucht: Emily und ihr mehr als 30 Jahre älterer Liebhaber Martin.

    Die beliebteste deutsche Krimireihe musste in den vergangenen Jahren schon häufiger als Spielwiese für Ausflüge in andere Filmgenres herhalten, was mitunter mächtig in die Hose ging: Da gab es zum Beispiel den (allenfalls zum Fürchten schlechten) Frankfurter Horror-Tatort „Fürchte dich“, den komplett misslungenen Ludwigshafener Impro-Tatort „Babbeldasch“ oder auch den umstrittenen Weimarer Western-Tatort „Der höllische Heinz“, in dem die Kommissare zur Abwechslung mal im Saloon ermitteln durften. Zwar hatte die ARD nach der harschen Zuschauerkritik schon im Herbst 2017 angekündigt, nur noch zwei „Tatort“-Experimente pro anno zu senden, doch scheint dieses Limit für 2019 nun bereits ausgeschöpft: Nach dem großartigen Wiesbadener Zeitschleifen-Tatort „Murot und das Murmeltier“ versuchen sich Regisseurin Julia von Heinz und Drehbuchautor Magnus Vattrodt („Ein großer Aufbruch“) in sommerlicher Sepia-Ästhetik an einer Kreuzung aus tragischem Roadmovie, klassischem Krimi und emotionalem Beziehungsdrama mit Coming-of-Age-Elementen – ein zweifellos mutiges und auch durchaus ansprechend inszeniertes Unterfangen, das allerdings nicht so recht in das „Tatort“-Korsett passen will, in das die Filmemacher ihr Werk zu quetschen versuchen.

    Es ist zwar nicht ungewöhnlich, dass ein Todesfall im „Tatort“ nur dazu dient, die Mordkommission auf den Plan zu rufen, obwohl dann eine ganz andere Geschichte im Vordergrund steht – das gab es erst kürzlich im soliden Kölner „Tatort: Weiter, immer weiter“. Doch diesmal geht die Rechnung nicht ganz auf, weil die Kommissare – und damit die Identifikationsfiguren für den Zuschauer – relativ wenig Kamerazeit bekommen und keine souveräne Figur abgeben: Tobler ist mit ihren Gedanken immer wieder bei einem positiven Schwangerschaftstest, während Berg sich der Fahrerflucht mit Todesfolge widmet, deren Hergang wir im Gegensatz zu ihm live miterleben durften. Das nimmt den Ermittlungen den Reiz. Viel interessanter gestaltet sich die Frage, wie sich die Beziehung zwischen Emily und ihrem deutlich älteren Liebhaber und Ersatzvater entwickelt, die neben dem einleitend erwähnten Fall Henselmann auch an den berühmten „Tatort: Reifezeugnis“ von 1977 angelehnt ist (wörtliches Zitat inklusive). Hier bleiben Spannungsmomente jedoch aus und das Drehbuch manches schuldig: Emilys Faszination für den Erwachsenen beispielsweise gehen die Filmemacher gar nicht erst auf den Grund. Toblers Stippvisite bei ihrer energischen Mutter, die in einer kleinen Wohnung mehrere Kinder großzieht, muss als Erklärung für die Flucht schon ausreichen.

    Experiment ohne Spannung

    Doch auch im Hier und Jetzt wirkt im Hinblick auf die Gefühle des Mädchens manches nicht stimmig: Verhält sich Emily in der Eröffnungssequenz im Auto noch wie ein frisch verliebter Teenager, der Nussbaum körperlich nah sein möchte, flirtet das Mädchen schon im nächsten Augenblick mit drei Truckern und wendet sich wenig später genervt ihrem Hund Luno zu, als Nussbaum sich gerade oral an ihr vergeht. Diese Ambivalenz ließe sich zwar mit dem Hormonhaushalt eines viel zu früh sexualisierten Teenagers erklären, doch wirkt der Sinneswandel an anderer Stelle glaubwürdiger – zum Beispiel bei der aufkeimenden Freundschaft zur ausgeflippten Tankstellen-Aushilfe Jona (Luisa Céline Gaffron), die Emily vor Augen führt, dass das Leben mehr zu bieten hat als endlose Freizeit mit einem deutlich älteren Mann. Für Krimi-Puristen ist aber auch dieser Handlungsschlenker angesichts der fehlenden Spannungsmomente eine zähe Angelegenheit – und so sind es neben dem tollen Rio-Reiser-Soundtrack vor allem die beiden Darsteller Meira Durand („Hier kommt Lola!“) und Andreas Lust („Schnell ermittelt“), die den vierten Schwarzwald-„Tatort“ mit ihrer tollen Performance zu einem für diesen Sendeplatz sehr ungewöhnlichen, aber zumindest sehenswerten Film machen.

    Fazit: Julia von Heinz‘ auf wahren Begebenheiten beruhender „Tatort: Für immer und dich“ ist eine auch ästhetisch eigenwillige Kreuzung aus Roadmovie, Krimi und Beziehungsdrama, bei der nur selten Spannung aufkommen will.

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