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    Wir können nicht anders
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Wir können nicht anders

    Besinnungslose Weihnachten

    Von Christoph Petersen

    Seinen Durchbruch als Regisseur feierte Detlev Buck 1991 mit der trockenhumorigen Kult-Komödie „Karniggels“. Darin wird der junge Polizist Koeppe zum Dienst in einem kleinen Dorf verdonnert, wo er es direkt mit einem brutalen Kuh-Mörder zu tun bekommt. Die Tageszeitung schrieb damals ganz richtig: „Die […] Schauspieler wirken als Polizisten, Bauern, blasierte Städter und sympathische Kleinkriminelle so realistisch, als würden man sie […] in der Dorfkneipe treffen.“ Aber das ist ja auch kein Wunder: Detlev Buck ist schließlich auf einem Bauernhof in Schleswig-Holstein aufgewachsen. Der weiß also wie die ticken, da auf dem platten Land.

    Inzwischen lebt Detlev Buck („Knallhart“, „Rubbeldiekatz“) zwar seit vielen Jahren vor allem in Berlin – aber seinem Netflix-Film „Wir können nicht anders“, der eigentlich ins Kino kommen sollte, aber dann wegen Corona an den Streaming-Service weiterverkauft wurde, merkt man die Herkunft des Regisseurs trotzdem jederzeit an: Die weihnachtliche Gangster-vom-Dorf-Groteske steht zwar in der Tradition speziell von solchen ländlichen Coen-Klassikern wie „Blood Simple“ oder „Fargo“ – punktet dabei aber mit so viel stimmigem Lokalkolorit, dass es nicht so schwer ins Gewicht fällt, dass der Plot an sich jetzt nicht gerade der originellste ist. Und natürlich fällt der blutige Humor 2020 auch merklich brachialer und nicht mehr ganz so subtil wie noch vor 30 Jahren in „Karniggels“ aus.

    Die Mitgliedschaft in der Freiwilligen Feuerwehr kann tödlich enden...

    Schon nach der ersten gemeinsamen Nacht will die Berliner Dauerstudentin Edda (Rocksängerin Alli Neumann) den für eine Konferenz angereisten Junior-Professor Samuel (Kostja Ullmann) mit zum Geburtstag ihres Vaters Sigi (Detlev Buck) schleppen: Der arbeitet als Bürgermeister in Eddas Heimatdorf, das sie seit ihrem Weggang vor fünf Jahren nicht ein einziges Mal besucht hat. Allerdings gestaltet sich die Rückkehr in die Provinz noch viel schwieriger als erwartet …

    … denn schon kurz vor der Ankunft vernehmen die beiden einen Hilfeschrei aus dem Wald: Samuel kann gerade noch verhindern, dass der Dorf-Unternehmer Herrmann (Sascha Alexander Gersak) und seine Vasallen von der Freiwilligen Feuerwehr ihren Kollegen Rudi (Merlin Rose) exekutieren, nachdem dieser es gewagt hat, etwas mit Katja (Sophia Thomalla), der Frau des Chefs, anzufangen. Während Samuel die Flucht antritt, wendet sich Edda an den wenig hilfsbereiten Dorfpolizisten Frank (Frederic Linkemann). Aber auch diese Begegnung endet in einer blutigen Katastrophe…

    Bis der Nikolaus Amok läuft

    Auf dem Land wird um die Sachen eben nicht so ein großes Gewese gemacht wie in der Stadt – selbst wenn jemand plötzlich ein Messer im Bauch oder einen Degen durch den Oberkörper stecken hat, wird das mehr oder weniger einfach so hingenommen. In „Wir können nicht anders“, dessen Titel sich zwar auf Detlev Bucks eigenes Provinz-Roadmovie „Wir können auch anders…“ von 1992 bezieht, mit diesem aber in keinem direkten Zusammenhang steht, schaukelt sich die Gewaltspirale konsequent immer weiter hoch – bis irgendwann selbst der Nikolaus Amok läuft …

    … aber ihre trockene Nonchalance bewahrt sich die Gangster-Groteske trotzdem bis zum Schluss: Das blutige Treiben wird allein schon durch das Figurenarsenal - von den Handlanger-Jünglingen in ihren Uniformen von der Freiwilligen Feuerwehr bis zu Peter Kurth in einem großartigen Gastauftritt als bademanteltragender Saunafan mit immer griffbereiter AK-47 – immer wieder ironisch gebrochen. Das Highlight bleibt aber trotzdem Detlev Buck als Bürgermeister mit einem Bart, wie ihn nur Dorf-Bürgermeister haben können, der schnackt, wie nur Dorf-Bürgermeister schnacken – das ist so perfekt getroffen, das kann man sich nicht einfach ausdenken, das muss man selbst erfahren und erlebt haben.

    Grandios getroffen - sowohl der Bart als auch die Performance: Detlev Buck als Dorf-Bürgermeister Sigi!

    So sind es vor allem die kleinen Dorf-Details und das authentische Spiel der Darsteller, die „Wir können nicht anders“ sehenswert machen. Denn die Story vom Paar, das in der Provinz etwas sieht, was es besser nicht gesehen hätte, ist natürlich alles andere als neu – und zum Ende hin zieht sich der Film durchaus ein wenig. Auch die zeitgeistigen Einschübe etwa bei einer Begegnung mit den Bewohnern eines Flüchtlingsheims sind Detlev Buck diesmal weniger spielerisch gelungen wie noch in dem in dieser Hinsicht so großartigen „Bibi und Tina 4“. Aber diebischen, schwarzhumorigen Spaß macht das alles trotzdem …

    … auch wenn ich bei der Szene mit der Blutspende fast selbst beim Schauen in Ohnmacht gefallen wäre.

    Fazit: Flotte Gangster-Groteske mit viel schwarzem Humor und noch mehr dörflichem Lokalkolorit.

     

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