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    Die Caine-Meuterei vor Gericht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Caine-Meuterei vor Gericht

    Die Abschiedsvorstellung eines der ganz Großen des Kinos!

    Von Björn Becher

    Herman Wouks Pulitzer-Preis-gekrönter Roman „Die Caine war ihr Schicksal“ handelt von einer vermeintlichen Meuterei an Bord eines US-Kriegsschiffs während des Zweiten Weltkriegs: War der Kapitän tatsächlich unzurechnungsfähig und durfte deshalb abgesetzt werden? Als Edward Dmytryk den Stoff 1954 mit einer Starbesetzung um Humphrey Bogart verfilmte, kam ein für sieben Oscars nominierter Kinohit dabei heraus. Der Autor selbst hat zuvor bereits aus seinem Roman ein Theaterstück gemacht – und zwar, indem er sich nur auf den Gerichtsprozess im letzten Kapitel konzentriert (und in diesem alles Vorangegangene in der Rückschau mit aufrollt).

    Und genau dieses Theaterstück ist die Vorlage für den letzten Film des noch vor der Weltpremiere im Alter von 87 Jahren verstorbenen „Der Exorzist“-Regisseurs William Friedkin: „The Caine Mutiny Court-Martial“ ist ein intimes, seine Bühnenherkunft eher noch unterstreichendes Kammerspiel-Drama (und deshalb in Deutschland im Programm des Streaming-Services Paramount+ auch gut aufgehoben). Wie sehen also nie, was auf dem Minensuchschiff passiert ist, sondern hören lediglich im Gerichtssaal die sich teils deutlich widersprechenden Aussagen. Das aus dem Zweiten Weltkrieg in die Gegenwart verlegte Gerichts-Gebaren steht und fällt also mit dem Cast: Und während insbesondere Jason Clarke („Oppenheimer“) in der Hauptrolle des Verteidigers wider Willen brilliert, kann man das über einen besonders wichtigen seiner Kollegen leider nicht sagen.

    Herausragend: Jason Clarke!

    Der Marine-Offizier Lieutenant Stephen Maryk (Jake Lacy) steht vor dem Militärgericht der US Navy. Ihm wird einer der schwerstmöglichen denkbaren Vorwürfe gemacht: Meuterei! Im Dezember 2022 hat er mitten in einem Sturm seinem Kapitän Lieutenant Commander Phillip Queeg (Kiefer Sutherland) das Kommando über das Minensuchschiff Caine entzogen – mit der Begründung, dass sein Vorgesetzter trotz seiner 21 makellosen Dienstjahren psychisch krank sei.

    Die Sachlage scheint klar. Maryks Anwalt Lieutenant Barney Greenwald (Jason Clarke) eröffnet seinem Mandanten noch vor der Verhandlung, dass er eigentlich viel lieber die Anklage vertreten würde. Außerdem stellt er den ersten Zeugen von Anklägerin Commander Katherine Challee (Monica Raymund) so wenige Nachfragen, dass sich sogar der Vorsitzende Richter Captain Luther Blakely (Lance Reddick) zum Einschreiten gezwungen sieht. Doch je länger die Verhandlung voranschreitet, umso deutlicher wird, dass Greenwald durchaus eine Verteidigungsstrategie hat – auch wenn es eine ist, die ihm womöglich selbst nicht gefällt…

    Eine ganz neue Seite von William Friedkin

    Bis auf zwei kurze Szenen auf dem Gerichtsflur sowie einem alles noch mal in Frage stellenden Epilog in einem Hotelzimmer spielt „The Caine Mutiny Court-Martial“ ausschließlich in einem kargen Navy-Gerichtssaal. Vorne sitzt das fünfköpfige Gericht, von dem nur Captain Blakely spricht. An den Seiten der Verteidiger und der Angeklagte sowie die Anklägerin mit einem stumm bleibenden Assistenten. In der Mitte nehmen nach und nach einzeln die Zeug*innen Platz (das Set erinnert an eine karge Gerichts-Show am Sat1.-Nachmittag, nur ohne das Publikum, dafür mit ein paar Wachen am Eingang). William Friedkin, der in seiner Karriere mit Filmen wie „Der Exorzist“, „Atemlos vor Angst“ oder „Cruising“ immer wieder Grenzen neu ausgelotet hat, nimmt sich hier als Regisseur soweit zurück, wie es praktisch nur geht.

    Mal fängt die Kamera den ganzen Saal ein, meist nur einzelne Figuren – und so beschränkt sich Friedkin im Wesentlichen darauf, seine Schauspieler*innen zu führen. Sein Kollege Guillermo del Toro war ohne Bezahlung jeden Tag als potenzieller „Ersatz“ mit am Set, weil sonst niemand das Projekt versichert hätte. Später gab der „Shape Of Water“-Regisseur voller Bewunderung zu Protokoll, wie sanft und verständnisvoll der für seine Wutausbrüche berüchtigte Friedkin mit seinem Cast umging – und das, obwohl aufgrund der Budget-Limitierung oft nur ein einziger Take möglich war, was gerade bei den vielen langen Monologen eine unglaubliche Herausforderung gewesen sein muss.

    Nach „Oppenheimer“: Jason Clarke erneut in Bestform!

    Vor allem Jason Clarke nutzt diesen Raum zur Entfaltung. Nachdem er zuletzt schon als Quasi-Ankläger der Titelfigur in „Oppenheimer“ zusetzte, macht er hier die beeindruckend-glaubwürdige Wandelung vom zunächst widerwilligen Anwalt zum für seinen Mandanten die eigene Karriere gefährdenden Verteidiger. Die messerscharfen Dialoge werden uns dabei meist in hoher Geschwindigkeit um die Ohren geknallt. Nur der wie Friedkin ebenfalls 2023 verstorbene „John Wick“-Star Lance Reddick bringt in seiner charismatischen Darbietung des Richters hin und wieder etwas Ruhe und kleine Momente zum Durchschnaufen in die Abläufe mit ein.

    So fühlt sich „The Caine Mutiny Court-Martial“ an, als würde man einer realen Verhandlung beiwohnen, bei der wir als Richter*in oder Jurymitglied mit im Publikum sitzen und uns selbst eine Meinung zum Fall bilden müssen. Dabei werden wir mit Fakten, Ansichten und Gutachten regelrecht überhäuft – wie es Jurys oft auch in der Realität geht. Es ist lange Zeit eine große Stärke, wie offen der Ausgang bleibt. Aber am Ende fliegt der Film genau an diesem Punkt für einige Zeit aus der Bahn.

    Ein Schmalspur-Jack-Nicholson zum Abschluss

    Auch wenn ein starker Epilog dem zuvor Geschauten noch einmal einen neuen Dreh gibt (der gerade vielen Anti-Militaristen gar nicht schmecken wird), gibt es nach dem entlarvenden Abschlussmonolog von Kiefer Sutherland eigentlich nur noch eine „richtige“ Sicht auf die Dinge. Das liegt nicht am Drehbuch, bei dem Friedkin so nah am Original von Wouk bleibt, dass der sogar als Co-Autor gelistet ist, sondern in erster Linie am Spiel des „24“-Stars. Schon bei seiner Zeugenvernehmung zu Beginn des Films ist Sutherlands Spiel immer wieder viel zu übertrieben.

    Wenn er dann am Ende noch einmal in den Zeugenstand muss und sich in einem minutenlangen Rant verliert, wirkt das nicht nur wie eine Schmalspur-Version von Jack Nicholsons legendärer Performance in „Eine Frage der Ehre“, es schafft auch eine Eindeutigkeit, die dem Film gar nicht guttut (und Jason Clarkes finale, noch mal die Perspektiven durcheinanderwürfelnde Einordnung der Geschehnisse sogar etwas verquer erscheinen lässt).

    Fazit: Fans von dialoglastigen Gerichtskammerspielen dürfen sich auf den Streaming-Start von Williams Friedkins letztem Film freuen (schon bald auf Paramount+). Denn abgesehen von einigen Kiefer-Sutherland-Übertreibungen gibt es hier zwar inszenatorisch-reduziertes, aber dafür ansonsten absolut hochklassig besetztes und spannendes Schauspielkino.

    Wir haben „The Caine Mutiny Court-Martial“ beim Filmfestival Venedig 2023 gesehen, wo er außer Konkurrenz im offiziellen Programm seine Weltpremiere gefeiert hat.

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