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    Royale Klänge: Warum Komponist Max Richter der perfekte Mann für "Maria Stuart, Königin von Schottland" ist
    Oliver Kube
    Oliver Kube
    -Freier Autor und Kritiker
    Oliver Kube ist seit den 1990ern als Journalist/Kritiker in Sachen Film, TV, Musik, Literatur & Technik tätig. Für FILMSTARTS schreibt er seit 2018.

    Um ihr stimmungsreiches Kostümdrama „Maria Stuart, Königin von Schottland“ mit der passend vielschichtigen Musik zu unterlegen, entschied sich Regisseurin Josie Rourke für den Komponisten Max Richter. Wir blicken in diesem Porträt auf seine Karriere.

    Universal Pictures

    Bereits seit seinem Studium an der Royal Academy of Music hat der Brite Max Richter  ein offenes Ohr für moderne Elemente jenseits der klassischen Musik, in der er groß geworden ist. So war er prädestiniert für diesen in Bezug auf historische Geschlechterrollen mit Konventionen brechenden Historienfilm. Nicht zuletzt aufgrund einer privaten Vorliebe für die Musik der Renaissance-Ära, in der die auf wahren Begebenheiten basierende Handlung von „Maria Stuart, Königin von Schottland“ angesiedelt ist, war Richter begeistert von Josie Rourkes Anfrage. Da er zudem ein leidenschaftlicher Fan ihrer gefeierten Theaterinszenierungen ist, sagte der Musiker umgehend zu und begann direkt nach der Drehbuchphase mit der Arbeit.

    Für „Maria Stuart, Königin von Schottland“ verpasst Richter seinen zu Beginn des Films verspielt fließenden, keltisch-folkloristisch angehauchten und fast schon euphorisch daherkommenden Melodien ein breitwandiges Orchester-Arrangement. Auf diese Weise illustriert er die positive Aufbruchsstimmung, unter der die Titelfigur (gespielt von Saoirse Ronan) den schottischen Thron besteigt und ihrem Volk Hoffnung auf eine bessere Zukunft gibt. Die Klänge, die hingegen Marias Gegenspielerin Elisabeth I. von England (Margot Robbie) begleiten, sind zurückgenommener, ambivalenter. Schon hier fügt Richter dem immer noch bombastischen Background feine elektronische Elemente bei. Die intensiver und gefährlicher werdende Rivalität zwischen den Monarchinnen spiegelt sich darauf in zunehmend dramatischer, konfrontativer und düsterer Score-Begleitung wider.

    Atmosphärisch meisterhaft

    Mehrfach gibt es neben donnernden Kriegstrommeln Verneigungen vor zeitgenössischer Kirchenmusik in Form von Chorälen, aber auch minimalistische Elektronik- und Ambient-Segmente zu hören. So werden die Empfindungen der Protagonistinnen bis hin zum bedrückenden Finale intuitiv nachfühlbar. Dazu zählen Einsamkeit, Melancholie, Verzweiflung und – im Falle von Elisabeth I. – schließlich Paranoia, jedoch ebenso Triumph, Verliebtheit und Freude. Mit diesem vielseitigen, dennoch wie aus einem Guss wirkenden Soundtrack ist Max Richter ein atmosphärisches Meisterwerk gelungen, das die Awards-Aufmerksamkeit sowie jedes Kritiker-Lob mehr als verdient.

    Heiko Prigge

    Der Musiker wurde 1966 in der niedersächsischen Rattenfängerstadt Hameln geboren, zog aber bereits als Kleinkind mit seinen deutschen Eltern ins englische Bedford um und ist heute britischer Staatsbürger. Mutter und Vater Richter hatten, jenseits des reinen Konsumierens, keine Verbindung zur Musik. Früh erkannten Lehrer allerdings ein außergewöhnliches Talent und förderten den jungen Max. Nach klassischen Studien in Edinburgh und London ließ er sich beim italienischen Komponisten Luciano Berio weiter ausbilden. Dieser weckte ein verstärktes Interesse an Avantgarde- und Minimalismus-Größen wie Arvo Pärt, Philip Glass und Steve Reich in seinem Schüler – ein Einfluss, der bis heute in seiner Musik allgegenwärtig ist. Hörenswerte, frühe Beispiele dafür sind die fünf Alben, die Richter in den 90ern als Mitglied des aus sechs Pianisten bestehenden Ensembles Piano Circus aufnahm. Im Anschluss kollaborierte er jahrelang mit der europaweit populären Big-Beat-Formation The Future Sound of London und Drum-&-Bass-Star Roni Size. Dazu produzierte er Longplayer für Folkpop-Veteranin Vashti Bunyan sowie Ex-Sneaker-Pimps-Frontfrau Kelli Ali.

    Vorbild für Score-Genie Jóhann Jóhannsson

    Anfang des neuen Jahrtausends begann Richter sich wieder mehr der modernen Klassik zuzuwenden. Seit 2002 hat er acht Alben in diesem Sujet veröffentlicht – die meisten davon auf dem renommierten Label Deutsche Grammophon. Besonders empfehlenswert sind sein Solodebüt „Memoryhouse“, das Score-Genie Jóhann Jóhannsson („Arrival“, „Sicario“) als großen Einfluss auf sein eigenes Schaffen nannte, und das über achtstündige (!) Monumentalwerk „Sleep“. Auch „Recomposed“, mit dem er ein ebenso mutiges wie einfallsreiches „Remake“ von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ vorlegte, ist für Freunde dieser Art von Musik ein Genuss.

    Richters Stil ist außergewöhnlich nuanciert, sehr bildhaft und ruft umgehend Emotionen hervor, ohne sich dabei plump aufzudrängen. Kein Wunder, dass regelmäßig, ursprünglich gar nicht als Soundtracks gedachte Stücke aus Richters Repertoire zur Untermalung wichtiger Filmszenen verwendet wurden und werden. Ridley Scotts „Prometheus – Dunkle Zeichen“, „Shutter Island“ von Martin Scorsese und Terence Malicks „To The Wonder“ sind nur einige der prominentesten Beispiele dafür. Eines seiner bekanntesten Werke ist „On The Nature Of Daylight“ (vom Album „The Blue Notebooks“). Der Song wurde gleich in drei Filmen verwendet, in „Arrival“ (von seinem Bewunderer Jóhann Jóhannsson), in „Shutter Island“ (von Richter selbst) und in dem französischen Drogen-Thriller „Der Unbestechliche“, wo Dinah Washingtons Gesang aus „The Bitter Earth“ über Richters so markantem Instrumentalstück liegt.

    Da stellt sich die Frage, weshalb Richter erst recht spät in seiner Karriere damit beauftragt wurde, Originalmusik fürs Kino zu verfassen. Die animierte Kriegs-Doku „Waltz With Bashir“ war nach einigen Kurz- und kleinen Indie-Streifen sein erstes nennenswertes Projekt in diese Richtung. Inzwischen folgten diesem nun diverse weitere Verpflichtungen, darunter für so hochkarätige Titel wie „Die Erfindung der Wahrheit“, „Feinde – Hostiles“, „White Boy Rick“ und Florian Henckel von Donnersmarcks „Werk ohne Autor“. Nach seiner brillanten Leistung beim Score für „Maria Stuart, Königin von Schottland“ dürfte diese Liste bald deutlich länger und noch eindrucksvoller werden.

    „Maria Stuart, Königin von Schottland“ läuft seit dem 17. Januar 2019 in den deutschen Kinos.

     

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