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    Kosten Raubkopien von "Black Widow" Disney 600 Millionen Dollar? Das steckt hinter dem angeblichen Mega-Verlust
    Björn Becher
    Björn Becher
    -Mitglied der Chefredaktion
    Seit mehr als 20 Jahren schreibt Björn Becher über Filme und Serien. Hier bei FILMSTARTS.de kümmert er sich um "Star Wars" - aber auch um alles, was gerade im Kino auf der großen Leinwand läuft.

    600 Millionen Dollar habe Disney durch illegale Kopien von „Black Widow“ verloren, ist in Schlagzeilen zu lesen. Doch die Wahrheit ist deutlich komplexer. Wir erklären, was das Problem von Streamingstarts ist und was sich deswegen 2022 ändern wird.

    Disney und seine verbundenen Unternehmen

    Was lange undenkbar schien, passierte 2021 dank der Corona-Pandemie in schöner Regelmäßigkeit: Große Hollywood-Filme wurden zeitgleich oder sehr kurz nach Kinostart bereits als Stream veröffentlicht. Warner machte in den USA sogar alle seine Filme wie „Mortal Kombat“, „The Suicide Squad“ oder „Dune“ parallel zum Kinostart und ohne Zusatzkosten im Abo auf dem Streamingdienst HBO Max verfügbar und auch Disney probierte für einige Titel verschiedene Modelle solcher Parallelstarts auf dem eigenen Streamingdienst Disney+ aus. Doch war das ein Erfolg für die Studios?

    Eine ausführliche Datenanalyse des Branchenmagazins Deadline sät Zweifel, wobei vor allem eine Zahl in der den Artikel zitierenden Berichterstattung die Runde macht: So wird an einer Stelle erklärt, dass „Black Widow“ in den ersten knapp zwei Monaten nach Kino- und Premium-VoD-Start via Disney+ rund 20 Millionen Mal illegal gestreamt oder heruntergeladen wurde.

    Dies ergebe einen Verlust für Disney von 600 Millionen Dollar allein in Premium-VoD-Einnahmen. Die Zahl machte schnell die Runde, mehrere Magazine und Internetseiten titeln, dass Disney wegen illegalen Kopien (im Volksmund oft nicht ganz passend als „Raubkopien“ bezeichnet) von „Black Widow“ 600 Millionen Dollar verloren hat. Doch so pauschal ist das natürlich Unsinn.

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    Denn zu einem Verlust von 600 Millionen Dollar kommt man nur, wenn man davon ausgeht, dass jeder einzelne dieser 20 Millionen illegalen Downloads oder Streams stattdessen ein Premium-VoD-Kauf gewesen wäre, der in den USA knapp 30 Dollar kostete.

    Dass eine solche Milchmädchenrechnung keinen Sinn ergibt, ist leicht nachzuvollziehen. Wer den Film illegal gestreamt hat oder ihn sich aus dem Netz zog, hätte ihn sonst vielleicht gar nicht geschaut, sich ein Kinoticket (deutlich billiger als 30 Dollar) gekauft, auf eine günstigere VoD-Alternative gewartet oder sogar darauf, dass der Film ohne Zusatzkosten im Abo von Disney+ verfügbar ist. Man kann die Zahlen also nicht so einfach hochrechnen, aber die Aussage dahinter ist trotzdem wichtig.

    Parallele Streamingstarts sind ein Spiel mit dem Feuer

    Denn das Jahr 2021 hat deutlich gezeigt, dass der parallele Streamingstart zur Kinoveröffentlichung ein großes (finanzielles) Risiko für die Studios birgt. Sie sorgen damit nämlich dafür, dass es ihren Film direkt zum Kinostart in 4K-Qualität im Netz gibt – und zwar eben nicht nur legal auf HBO Max, Disney+ und Co., sondern wenige Minuten später auch illegal. Und das wird leider Leute dazu bringen, sich diese Kopien illegal aus dem Netz zu ziehen.

    Auch bei exklusiven Kinostarts gibt es schnell illegale Kopien im Netz – aber meist halt in einer so miesen Qualität, dass man sich schon fragen darf, warum zur Hölle sich das jemand freiwillig anschaut. Es verwundert daher nicht, dass die vier erfolgreichsten Hollywood-Filme an den weltweiten Kinokassen 2021 eine Sache gemeinsam haben: „Spider-Man: No Way Home“, „James Bond – Keine Zeit zu sterben“, „Fast & Furious 9“ und „Venom: Let There Be Carnage“ hatten allesamt keine parallelen Streamingstart.

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    Und dass „Dune“ in vielen Ländern Europas, so auch in Deutschland, erfolgreicher in den Kinos lief als in Nordamerika, hat auch einen simplen Grund: Warner entschied, den Sci-Fi-Blockbuster hier schon fast einen kompletten Monat vor US-Kino- und -Streamingstart in den Kinos laufen zu lassen. Und so war „Dune“ hier mehrere Wochen ohne illegale HD-Kopie als „Alternative“ zu sehen.

    Natürlich sind die weltweiten Kinoeinnahmen des auf Rang 5 platzierten „Godzilla Vs. Kong“ aber auch von „Dune“ oder „Black Widow“ schon per se niedriger, weil einige Leute zur legalen Streaming-Alternative gegriffen haben. Doch der Autor dieser Zeilen ist überzeugt, dass ein durchaus beträchtlicher Teil auch auf illegale Angebote zurückgriff. Und das kann den Studios nicht egal sein.

    Kommt 2022 deswegen eine Kehrtwende?

    Deswegen müssen die Studios etwas ändern – und tun das auch. Warner nimmt von den direkten Parallelveröffentlichungen all seiner Titel auf HBO Max wieder Abstand. Stattdessen sollen die Filme 2022 größtenteils erst einmal exklusiv im Kino laufen, dann aber innerhalb von 45 Tagen zu HBO Max kommen. So hofft man, die teilweise dramatischen Rückgänge bei den Einnahmen in den ersten Kinowochen zu vermeiden.

    Dass ein Film wie „The Suicide Squad“ am zweiten Wochenende in den USA bereits katastrophale 72 Prozent weniger einspielte als zum Start und auch deswegen floppte, dürfte nämlich eng mit der Streamingpolitik zusammenhängen. Ein Teil des Zielpublikums, das nicht gleich an den ersten Tagen in die Kinos wollte, griff dann über die Tage einfach auf eine bequeme (legale oder illegale) Streamingmöglichkeit zurück.

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    Eine totale Kehrtwende ist aber für 2022 nicht zu erwarten. Das neue Warner-Modell zeigt, dass die Studios weiter nach der richtigen Zeitspanne zwischen Kino- und Streamingstart suchen – und diese wird auch in Zukunft kürzer bleiben als noch vor der Pandemie.

    Die 2021 so oft praktizierten Parallelstarts dürften aber die Ausnahme bleiben. Diese haben in der Breite den Studioeinnahmen durch die illegalen Downloads und Streams wohl zu stark geschadet. Sie bleiben aber vor allem ein Modell, um neue Streamingdienste zu pushen. Warner hat das ja auch gemacht, um Kund*innen für HBO Max zu gewinnen, in der Hoffnung, dass diese zwar wegen eines Titels das Abo abschließen, dann aber viele Monate an Bord bleiben.

    So muss Universal zum Beispiel seinen bislang ein Nischendasein fristenden Dienst Peacock begehrter machen – und wird das auch mit der Parallelstrategie versuchen, wie das Branchenmagazin Deadline in seiner Analyse ausführt.

    Die Romantikkomödie „Marry Me“ mit Superstar Jennifer Lopez wird in den USA so am 11. Februar 2022 parallel im Kino und auf Peacock starten (deutscher Kinostart: 10. Februar). Universal sieht aber (noch?) davon ab, dieses Modell auf die ganz großen Blockbuster wie „Jurassic World 3: Ein neues Zeitalter“ oder „Minions 2: Auf der Suche nach dem Mini-Boss“ anzuwenden.

    Sonderfall: Deutschland

    Der bisherige Artikel war sehr Hollywood-zentrisch. Schließlich kommen aus der Traumfabrik die erfolgreichsten Filme (die komplette Top-5 der deutschen Kino-Jahres-Charts 2021) und die neuesten Trends. Und Deutschland ist ohnehin ein Sonderfall. Denn grundsätzlich schreiben Filmfördergesetze einen zeitlichen Abstand zwischen Kinostart und weiteren Veröffentlichungen vor. Und da quasi alle relevanten deutschen Filme gefördert werden, sind solche Parallelveröffentlichungen hierzulande nicht denkbar.

    Aber auch in Deutschland bröckelt das System dank im Gesetz möglicher Ausnahmen. Das führte zum Beispiel zuletzt dazu, dass der deutsche Oscarbeitrag „Ich bin dein Mensch“ nur wenige Monate nach Kinostart bereits im TV lief und nun in der ARD-Mediathek verfügbar ist. Es bleibt aber mit Spannung abzuwarten, ob sich in Deutschland das System nachhaltig ändert, da die derzeitigen Ausnahmen wohl vor allem mit der Pandemie begründet werden, ohne diese aber nicht mehr so einfach möglich sind.

    Fazit

    Zum Abschluss bleibt also festzuhalten: Wenn ihr aktuell irgendwo lest, dass Disney durch illegale Downloads und Streams allein bei „Black Widow“ 600 Millionen Dollar verloren hat, dann ist diese Nummer massiv übertrieben. Sie weist aber auf einen größeren Zusammenhang hin:

    Die parallele Kino- und Streamingveröffentlichung, die es 2021 vor allem in den USA häufiger gab, sorgt für mehr und qualitativ hochwertigere illegale Kopien und kostet Geld. Sie wird daher in Zukunft wieder die Ausnahme bleiben, gerade die großen Filme der Hollywood-Studios werden erstmal nur exklusiv im Kino laufen. Aber grundsätzlich wird der Zeitraum zwischen Kinostart und Streamingveröffentlichung in Zukunft deutlich kürzer sein als vor der Corona-Pandemie.

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