Diva Futura
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
2,5
durchschnittlich
Diva Futura

Die (halbgare) italienische Antwort auf "Boogie Nights"

Von Thorsten Hanisch

Für ein derart vom Katholizismus durchdrungenes Land kann Italien auf eine ausgesprochen lange und gesellschaftlich fest verankerte Pornokultur zurückblicken. Italien wartet nicht nur mit Ikonen wie Rocco Siffredi – dem wohl weltweit bekanntesten männlichen Sexfilmdarsteller überhaupt – auf. Es ist zudem bemerkenswert, dass die Stars des Genres landesweit bekannt, ja regelrechte Nationalheiligtümer sind. Letzteres trifft insbesondere auf die 1994 im Alter von gerade mal 33 Jahren an Leberkrebs verstorbene Moana Pozzi zu.

Moana Pozzi ist nun auch eine der Figuren, von denen in „Diva Futura“ erzählt wird – und ihre Momente sind nicht zuletzt dank der nuancierten Schauspielkunst der charismatischen Denise Capezza klar die Höhepunkte in diesem ansonsten eher durchwachsenen Biopic der Schauspielerin Guilia Louise Steigerwalt, die es mit ihrem zweiten Spielfilm als Regisseurin nun gleich in den Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig geschafft hat.

Mit seinen halblegalen Pornofilmen steigt Riccardo Schicci (Pietro Castellitto) schnell vom Hobbyfilmer zum Medienmogul auf. Busch Media Group
Mit seinen halblegalen Pornofilmen steigt Riccardo Schicci (Pietro Castellitto) schnell vom Hobbyfilmer zum Medienmogul auf.

Im Zentrum des Geschehens steht Riccardo Schicci (Pietro Castellitto), der mit seiner unter dem Künstlernamen Cicciolina bekannten Jugendfreundin Illona Staller (Lidija Kordic) 1983 die Modelagentur „Diva Futura“ gründet – und damit den Grundstein für die italienische Pornoindustrie legt: Darsteller*innen wie Staller, Pozzi oder Eva Henger (Tesa Litvan) macht er zu Superstars, deren Bekanntheitsgrade schnell weit über das Genre hinaus reicht. So zieht Staller 1987 sogar für die Partito Radicale (Radikale Partei) ins Parlament ein und gründet 1991 mit Pozzi die kurzlebige Partito dell’Amore (Partei der Liebe). Pozzi tritt zudem 1993 zur Bürgermeisterwahl in Rom an.

„Diva Futura“ erzählt von Schicci und seinen Darstellerinnen, zu denen sich auch noch die langjährige Agentur-Sekretärin und heutige Journalistin Debora Attanasio (Barbara Ronchi) gesellt. Auf ihrem 2013 erschienenen Buch „Sagen Sie Ihrer Mutter nicht, dass ich Sekretärin bin. Erinnerungen eines normalen Mädchens am Hofe des Hardcore-Königs“ basiert nun auch der Film.

Eine Nebenfigur ist das stärkste Element

Als Moana Pozzi in einer Talkshow von einem schmierigen Moderator doof angemacht wird, macht sie gute Miene zum bösen Spiel, die Kamera kommt immer näher an ihr Gesicht, in dem sich Verlorenheit spiegelt. Es wird spürbar, wie enorm eingeengt sich die charismatische, intelligente, freiheitsliebende Frau gefühlt haben muss, die im Folgenden – vergeblich – versucht, das Pornobusiness zu verlassen. Aber sie tut das nicht, weil sie bereut, ein Teil davon gewesen zu sein, sondern weil die Pornos sie ausbremsen, die Medien und das Publikum es eben nicht so ganz auf die Reihe kriegen, es mit einer Frau zu tun zu haben, die Pornos dreht und Bücher schreibt, sowie ernsthafte politische Ambitionen hegt.

Pozzi galt als Intellektuelle unter den Pornodiven, sie war kultiviert im Auftreten und geistreich in ihren Aussagen. Auf Moana konnten sich von 18 bis 80, Männer wie Frauen, alle einigen. Trotzdem wurde sie unterschätzt, nie in ihrer Gesamtheit wahrgenommen, politische Ämter wurden ihr nicht zugetraut. Dafür wurde sie nach ihrem frühen Tod zur Heiligen, zu einer Art Maria Magdalena. So ziemlich jede italienische Zeitung berichtete von ihrem Ableben, sogar der Erzbischof von Neapel verlas eine Predigt zu ihren Ehren, die besonders die tiefe Gläubigkeit der Darstellerin betonte. Man hätte gerne noch mehr Momente mit dieser besonderen, vielschichtigen Frau gehabt, aber auch so wird deutlich, wieso Moana Pozzi rund 30 Jahren nach ihrem Ableben in ihrem Heimatland nicht vergessen ist.

Die Pornodarstellerinnen von „Diva Futura“ werden in Italien zu landesweit bekannten Medien-Stars. Busch Media Group
Die Pornodarstellerinnen von „Diva Futura“ werden in Italien zu landesweit bekannten Medien-Stars.

Leider gestaltet der konfus in Zeit- und Biografie-Ebenen hin und her springende und dadurch fragmentarisch wirkende Film seine anderen Figuren nicht ganz so interessant. Ausgerechnet Ricardo Schicci gerät sogar ausgesprochen platt, immer am Rande zur Karikatur. Schicci ist ein chaotischer, zarter, stets mit Dackelblick bewaffneter Träumer, der bereits als Kind seine Liebe zu schönen Frauen entdeckte. Exzentrisch, aber herzensgut und immer besorgt um seine Pornofamilie: AIDS-Tests sind natürlich selbstverständlich und zum Mittagessen treffen sich alle zur dampfenden Pasta. „Diva Futura“ basiert eben auf Erinnerungen seiner ehemaligen Sekretärin und das Gedächtnis arbeitet nicht nur subjektiv, sondern ebenso selektiv – aber der nahezu sakrale Blick auf den Erotik-Unternehmer ist doch etwas arg unglaubwürdig.

Pietro Castellitto müht sich zwar redlich in seiner Rolle, wird aber vom Drehbuch im Stich gelassen. Ein kurzer, entlarvender Moment findet sich dennoch: Als Schiccis Frau ihn anfleht, doch bitte keine krummen Finanzgeschäfte zu tätigen, bewundert der nur ihre Schönheit, hört aber nicht auf sie: Der erste Schritt zum Untergang, der sich aber leider etwas hinzieht, da der Film in der zweiten Hälfte immer öfter Schlenker in Richtung soapartige Problemwälzerei einbaut. Viel lieber hätte man zum Beispiel etwas mehr von Schiccis Filmen oder mehr vom damaligen Pornobusiness erfahren, immerhin wurden noch verhältnismäßig aufwändige 35mm-Produktionen gedreht, die so heutzutage längst nicht mehr vorstellbar sind. Aber da hält sich die Porno-Bio merkwürdigerweise stark zurück und begnügt sich mit der wehmütigen Feststellung, dass früher alles besser war.

Fazit: Ein glasklarer Fall von zweieinhalb Sternen. Gut und sehr schwungvoll gedreht, überzeugend ausgestattet, gut bis sehr gut gespielt und in Teilen mitreißend – aber auch konfus erzählt und in Teilen auch ziemlich fad.

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