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    Sommer ´04
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Sommer ´04
    Von Jonas Reinartz

    Nach einem Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften beschloss Stefan Krohmer doch selbst kreativ tätig zu werden und besuchte erfolgreich die Filmakademie Ludwigsburg. Im Jahr 2001 drehte er seinen ersten Langfilm fürs Fernsehen, „Ende der Saison“, in der Hauptrolle eine glänzend aufgelegte Hannelore Elsner, wofür er einen Grimme-Preis erhielt, ebenso für „Familienkreise“ (2003). Sein ständiger Begleiter war dabei der Drehbuchautor Daniel Nocke, dies war auch bei Krohmers über weite Strecken langatmigem Kinodebüt „Sie haben Knut“ (2002) nicht anders. Deutlich gelungener fiel da schon der letztjährige „Ein toter Bruder“ mit Marie Bäumer aus, der, wenn auch etwas zu verrätselt, durchaus zu fesseln vermochte. Auch solo lieferte Nocke mit seinem Drehbuch zu „Silberhochzeit“ (2005; Regie: Matti Geschonneck) überzeugende Arbeit ab. Als zudem bekannt wurde, dass an ihrem gemeinsamen zweiten Kinofilm „Sommer ‘04“ Martina Gedeck, eine der besten Aktricen, die das gegenwärtige deutsche Kino zu bieten hat, beteiligt sein würde, konnte man gespannt sein, zumal auch das Grundgerüst des Plots - ein Fremder bringt gleich zwei Beziehungen durcheinander - einiges an dramatischem Potenzial versprach. Doch dieses wird nahezu komplett verschenkt, denn ein katastrophales Drehbuch, eine uninspirierte Regie und verhältnismäßig unterdurchschnittliche bis schlechte Schauspiel-leistungen sorgen für ein sehr enttäuschendes Ergebnis.

    Miriam (Martina Gedeck) verbringt zusammen mit ihrem Lebensgefährten André (Peter Davor), ihrem 15-jährigen Sohn Nils (Lukas Kotaranin) und dessen drei Jahre jüngerer Freundin Livia (Svea Lohde) die Ferien in einem wunderschönen Altbauhaus an der Schlei. Zunächst sind die Erwachsenen vom sexuellen Selbstbewusstsein des frühreifen Mädchens noch verblüfft, das den Eindruck macht, es wisse sehr viel mehr über Sex Bescheid als der ruhige und noch sehr unerfahren wirkende Nils, doch sie können sich damit arrangieren. Eines Tages lernt Livia beim Segeln den mittelalten attraktiven Bill (Robert Seeliger) kennen, mit dem sie zusammen den Nachmittag verbringt; ihr Freund verhält sich irritierend passiv und zieht von dannen, sehr zur Verwunderung seiner Eltern. Dann besucht Livia den Amerikaner sogar in seinem entlegenen Haus und kehrt auch nach Anbruch der Dunkelheit nicht zurück, was die aufmerksame Miriam mit Argusaugen registriert. Die Tatsache, dass ein 38-jähriger Mann so viel Zeit mit einem weiblichen Teenager verbringt, empfindet sie als besorgniserregend. So entschließt sie sich, Bill aufzusuchen und ihn zur Rede zu stellen. Dort angekommen, muss sie feststellen, dass auch sie zunehmend Gefallen an ihm findet…

    Seit 1999 ist Daniel Nocke als Drehbuchdozent tätig, jedoch merkt man hier davon leider nicht das Geringste. Dem Presseheft ist zu entnehmen, dass sich die Protagonisten im Urlaub befinden, jedoch fällt das Wort „Ferien“ erst ungefähr nach einer halben Stunde. Vorher gibt es allenfalls Andeutungen, akzentuiert wird diese Tatsache allerdings nie. Das wäre ja alles noch verzeihlich gewesen, vollkommen unplausible Charaktermotivationen und Wendungen sind hingegen eindeutige Indizien für schlechtes Handwerk. Ein absolut trauriges Highlight in dieser Hinsicht ist ein völlig unerwarteter Zeitsprung, der zwei Jahre überbrückt, jedoch völlig mit dem vorherigen Erzählstil bricht und eine Pointe einleitet, die einfach nur geschmacklos genannt werden kann, vom Verhalten der handelnden Personen ganz zu schweigen. Misslungene Filme sind immer ein Ärgernis, doch es wiegt umso schwerer, wenn eindeutig vorhandenes Potential verschenkt wurde. Interessante Fragen, etwa über das Erwachen der Sexualität oder der Beginn der Pädophilie, werden einfach ignoriert. Immerhin kann der - an den Folgen gemessen - langweiligste Ehebruch der Filmgeschichte begutachtet werden. Es müssen ja nicht immer gleich Wohnungseinrichtungen zerlegt werden, aber fast allen Konflikten geht Nocke strikt aus dem Weg, stattdessen gibt es stereotype Figuren, Abziehbilder ohne Seele, die pausenlos reden. Alle redundanten Szenen, die über sich selbst nicht hinausweisen und für den weiteren Verlauf der Geschichte irrelevant sind, aufzuzählen, wäre eine unnötige Syssiphusarbeit.

    Auch wenn er sich nie in den Untiefen der bleiernen Ödnis eines Christian Petzold („Gespenster“) verliert, gibt es über Krohmers Inszenierung nicht allzu viel Gutes zu berichten. Fast bemitleidenswert schreit es sein Film hinaus: „Ich bin Kunst! Ich verweigere mich den Mainstream-Konventionen der hippen Ästhetik und sinnlosen Musikbombast-Berieselung!“ Das mag ja lobenswert sein, jedoch ist dieser Anspruch alles andere als neu und im Grunde fast noch schlimmer als das erklärte Feindbild, schließlich gibt es kaum etwas Grausameres als der gescheiterte Versuch, etwas Bleibendes, Universelles, Kunst, zu erschaffen, zumal mit minimalistischen Mitteln, die nicht gekonnt eingesetzt werden. Zu keiner Zeit versucht Krohmer, über die Bildgestaltung, seien es wiederkehrende Motive oder visuelle Metaphern, seine Geschichte zu erzählen, nicht eine besondere, erinnernswerte Komposition kommt zustande. Zudem ist Patrick Orths Kamera, abgesehen von einigen gelegentlichen Schwenks, von einer lähmenden Starre geprägt, die zunächst zu der Atmosphäre eines gemächlichen Urlaubs passt, sich jedoch den späteren Entwicklungen nicht anpasst. Regelrecht peinlich sind die Nachtaufnahmen geraten, die in einem unfach-männischem Grau erscheinen. Derartige technische Patzer dürfen einem professionellen Kameramann einfach nicht passieren. Zur Musik bleibt nicht allzu viel zu sagen, denn es existiert außer einem unpassenden Song im Abspann schlicht keine.

    Üblicherweise lenkt eine unmobile Kameraführung die Aufmerksamkeit auf die Figuren, was im Grunde ja eine kluge Entscheidung ist, da ein Film als Produkt einer menschlichen Gesellschaft auch von den Problemen innerhalb dieser handeln muss, um wirklich emotional zu berühren. Doch bei einem suboptimalen Drehbuch und mangelhafter Schauspielführung kann auch Martina Gedeck nichts ausrichten, sie liefert gute Routinearbeit ab, mehr ist schlichtweg nicht möglich. Bei der übrigen Besetzung sieht es bis auf die solide Svea Lohde jedoch anders aus. So ist zwar Peter Davor gewiss kein schlechter Mime, die penetrant sarkastische bis latent aggressive Art, nahezu ohne Zwischentöne, mit der er die Figur des Andre gibt, strapaziert die Nerven des Zuschauers, ebenso wie Robert Seeligers Surfer-Mimik. Wahrlich schmerzhaft ist die Darstellung von Lucas Kotaranin, der als Nils nur einen Gesichtsausdruck kennt; er zieht fachmännisch seine Unterlippe stark nach vorn, guckt beleidigt seine Mitspieler an und mosert vor sich hin. Eine wahrhaft grausige Vorstellung, auf der großen Leinwand hat so etwas absolut nichts verloren.

    Von einigen guten Ideen ist aufgrund einer schludrigen Ausführung leider nicht viel übrig geblieben. Selbst eine Meisterin ihres Fachs wie Martina Gedeck vermag da nichts mehr zu retten. Vermutlich wäre „Sommer ‘04“ auf einem mitternächtlichen Sendeplatz im Rahmen der Reihe „Kleines Fernsehspiel“ besser aufgehoben, wobei anzumerken bleibt, dass deren Beiträge in der Regel Krohmers Kinofilm noch überlegen sind. Die 97 Minuten dauern eine Ewigkeit, am Ende ist der Zuschauer wahrlich erlöst, denn das Schicksal uninteressanter Figuren zu verfolgen, ist eine Tortur, die niemand gerne auf sich nimmt. Es bleibt zu hoffen, dass das Duo Krohme/Nocke bei ihren zukünftigen Projekten wieder mehr Sorgfalt walten lässt, denn eine weitere Verschwendung ihres durchaus vorhandenen Talents wäre bedauernswert.

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