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    24/7 - The Passion of Life
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    24/7 - The Passion of Life
    Von Alina Bacher

    Halbnackte Schönheiten, die sich barbusig in der Sonne räkeln oder durchtrainierte Traummänner, die ihren wohlgeformten Oberkörper heroisch in die Kamera strecken - aus der Werbung ist Sex schon längst nicht mehr wegzudenken. „Sex sells“- das wissen nicht nur die Werbeprofis. Doch nicht jede Form der Sexualität eignet sich zum vermarkten. „Blümchensex sells“ ist wohl eher die Devise. Dabei gibt es weitaus mehr über das Thema Sexualität zu berichten. Latex, Lack und Fesselspielchen sind weitgehend aus dem Alltag verbannt und laufen unter der Kategorie „Perversion“. Aber was ist pervers? Wer entscheidet, wie man seine Sexualität ausleben darf? Hindern uns veraltete Wertvorstellungen daran, die absolute sexuelle Freiheit zu erleben? Ein heikles Thema, dem sich das Erotik-Drama „24/7- The Passion Of Life“ annimmt. Mit poetischen Bildern macht sich der Film auf eine provokative Entdeckungsreise durch die „andere“ Sexualität, die von der Öffentlichkeit lieber totgeschwiegen und tabuisiert wird.

    Bei einer Motorradpanne trifft die Hotelierstochter Eva (Marina Anna Eich) auf die Soziologin Magdalena (Mira Gittner). Die beiden Frauen könnten verschiedener nicht sein: Eva kommt aus gut bürgerlichem Hause und langweilt sich in ihrem goldenen Hotelkäfig, Magdalena hingegen führt unter dem Namen Lady Maria ein SM-Studio. Fasziniert von einer unbekannten Welt aus Leidenschaft, Lust und Erotik begibt sich Eva mit Magdalenas Hilfe auf die Suche nach ihrer eigenen Sexualität, die sie jahrelang durch bürgerliche Konventionen verdrängt hat. Anfangspunkt ihrer erotischen Odyssee ist ein Swingerclub, in dem Eva Mike (Michael Burkhardt) kennenlernt. Er bietet sich als Evas „Reiseleiter“ auf dem Weg durch Lust und Leidenschaft an. Endlich kann Eva ihre sexuellen Sehsüchte und ihre geheimsten Fantasien ausleben. Doch Eva führt zwei Leben, denn ihr Vater (Zoltan Paul) darf nichts von ihren Abenteuern erfahren. Schließlich sieht er in seiner Tochter nur die baldige Hotelerbin, die so schnell wie möglich eine Familie gründen und sesshaft werden soll. Je freier Eva wird, desto mehr reagiert ihr Freundeskreis mit Unverständnis. Nur Mike und Magdalena scheinen sie zu verstehen. Immer öfter verbringt auch Eva ihre Zeit im SM-Studio, einem Ort, wo sie sich geborgen fühlt und auf viele alltägliche Menschen mit nicht ganz alltäglichen Vorlieben trifft. Da gibt es zum einem einen älteren Herrn (Reinhard Wendt), der unter dem Namen Elfriede das Hausmädchen des Studios spielt und seiner Herrin Lady Maria treu zur Seite steht. Oder Dominik (Christoph Baumann), der zerrissen zwischen Lust und Sünde, den Leidensweg Jesu auf seine eigene Weise nachempfinden will und verschiedene Stationen der Passion inszeniert. Schließlich will auch Eva ihre Fantasien ganz ausleben und beichtet Mike ihren geheimsten Wunsch: Sie möchte eine Nacht mit mehreren Männern verbringen. Doch Mike hat ein riesiges Problem: Er hat sich unsterblich in Eva verliebt, die in ihm nichts mehr als eine reine Sexbekanntschaft sieht...

    Eines vorweg: Auch wenn „24/7 - The Passion of Life“ von der Beschreibung eher nach einem gut verpackten Hardcore-Porno klingt, hat dieser Film mit billiger „Rammel-Pornographie“ soviel zu tun, wie eine Waschmaschine mit einem Blumenbeet - rein gar nichts. Zwar spielt der Film in der SM-Szene und somit sind Bilder von Menschen in Latexslips und Lederstrapse nichts Seltenes, aber wer glaubt, außer Sexspielchen nicht viel auf der Leinwand zu sehen, der irrt. Regisseur Roland Reber setzt auf poetische Bilder und begibt sich mit der Kamera auf die Suche nach der „sexuellen Wahrheit“. Was ist pervers? Wer entscheidet darüber, was in deutschen Betten als „normal“ gilt? Warum spricht unsere Gesellschaft offen über Blümchensex, verschließt sich aber gegen alles andere? Fragen, die der Film zwar kennzeichnet, die er aber letztendlich dem Zuschauer selbst überlässt. Ein Film, der zum Nachdenken anregt.

    Natürlich sind Hardcore-SM-Praktiken nicht jedermanns Sache. Einige Szenen sind hart an der Grenze des guten Geschmacks, aber trotzdem gelingt Roland Reber diese schwierige Gradwanderung und der Film driftet nie ins „Schmuddelige“ ab. Die Sexszenen in Film sind wunderbar poetisch mit der Kamera eingefangen und so inszeniert, dass selbst noch so fremde Praktiken irgendwie vertraut und auch verständlich erscheinen. Nicht nur Sexualität und Erotik spielen eine große Rolle, auch die Religion wird thematisiert. Dem ein oder anderen Theologie-Studenten wird es hierbei sicher eiskalt den Rücken runter laufen, denn Roland Reber geht mit der Religion hart ins Gericht. Wenn sich Dominik selbst als Jesus inszeniert und seine Domina ihm als „Satan“ ins Gewissen redet, oder wenn Lady Maria ihren Untergeben die Beichte abnimmt - Religiosität verändert das natürliche Verhältnis des Menschen zu seiner Sexualität. Reber scheut keine Provokation und thematisiert Aspekte unserer Gesellschaft, die sonst lieber unter den Teppich gekehrt werden. Allerdings zwingt sich manchmal der Eindruck auf, dass der Film in jeder Szene verzweifelt nach Provokation strebt. Trennung von Sex und Liebe ist ja schön und gut, aber gleich alle „Blümchen-Sexhaber“ als konservative Menschen, die sich nichts trauen im Leben darzustellen, wird nicht auf viel Gegenliebe stoßen.

    Auch wenn das Thema nicht ganz einfach ist und im Alltag oft von Vorurteilen und Klischees überschattet wird, fängt der Film die ganz spezielle Atmosphäre der SM-Szene ein, ohne dabei klischeehaft zu wirken. Das ist besonders auf die gute Recherche-Arbeit des Teams zurückzuführen. So arbeitete Hauptdarstellerin Mira Gittner selbst ein paar Tage als „Aushilfsdomina“ in einem Studio, bevor sie sich an die Rolle heranwagte. Dazu Mira Gittner selbst: „Für mich ist das ein ganz normaler Vorbereitungsprozess für eine Rolle. Wenn ich eine Ärztin spielen würde, würde ich auch versuchen, ein paar Tage das Praxisleben mitzuverfolgen. Da ich mit der SM-Szene vorher noch nicht in Berührung gekommen bin, wollte ich meine persönlichen Erfahrungen machen.“

    Die Schauspieltruppe setzt sich teils aus Profis, teils aus Laien zusammen. In den Hauptrollen glänzen Mira Gittner und Marina Anna Eich. Ihr intensives Spiel ist mit einer der Gründe, warum „24/7 The Passion of Life“ nie an seiner provokanten Poesie verliert. In der Rolle des „Hausmädchens Elfriede“ macht Reinhard Wendt eine sehr gute Figur. Der 80-Jährige spielt hierbei sich selbst, denn Wendt sprach Regisseur Roland Reber während der Dreharbeiten im SM-Studio an und fragte, ob auch er in dem Film eine Rolle haben dürfe. Durch lange Gespräche mit „Elfriede“ entwickelten Roland Reber und Mira Gittner daraufhin die Rolle im Film. Ein weitere Laie in den Reihen der Darsteller ist Michael Burkhardt, der sich in der Rolle des „Lust-Reiseleiters“ Mike versucht. Leider muss man sagen, dass hier der Unterschied zwischen professionellen Schauspielern und Laiendarstellern ganz klar sichtbar wird. Verglichen mit dem Rest der Besetzung, geht sein Spiel kläglich unter. „24/7- The Passion of Life“ ist ein wahrer Independent Film, der durch seine provokante Thematik polarisieren wird. Eine poetische Odyssee durch Lust und Leidenschaft, zwischen Perversion und Konvention. Auf jeden Fall ein nicht alltäglicher Film, der das Publikum spalten und die Filmwelt in Aufruhr versetzen wird.

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