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    Crossing Over
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Crossing Over
    Von Christoph Petersen

    „Crossing Over“ ist ein Film über Immigration. Und über die Träume und Albträume, die mit dem Erlangen der amerikanischen Staatsbürgerschaft einhergehen. Dabei beschränkt sich der Filmemacher Wayne Kramer anders als etwa Richard Linklater in Fast Food Nation nicht darauf, einfach nur Missstände anzuprangern. Stattdessen geht der Regisseur von The Cooler und Running Scared auch dahin, wo es weh tut. Er hält sich nicht mit plakativen Allgemeinplätzen auf, sondern setzt auf Ambivalenzen und Widersprüche. Schade nur, dass der Film in Deutschland ein Dreivierteljahr zu spät in die Kinos kommt, ist er doch ganz eindeutig als Antwort auf die von der Obrigkeit angestachelte Paranoia während der George-W.-Bush-Ära konzipiert.

    Max Brogan (Harrison Ford, Krieg der Sterne, Jäger des verlorenen Schatzes, Blade Runner) ist ein Veteran der Ausländerpolizei und außerdem einer der wenigen, denen das Schicksal der Immigranten tatsächlich am Herzen liegt. Von seinen Kollegen muss er dafür viel Kritik einstecken. Sein Partner Hamid Baraheri (Cliff Curtis, Whale Rider, Sunshine) ist ein überzeugter Muslim. Obwohl sein Vater als letztes Mitglied des Clans kurz vor der Einbürgerung steht, herrscht im Haus der Familie noch immer ein strenger, von islamischen Traditionen geprägter Umgangston. Denise Frankel (Ashley Judd, Heat, Bug, Helen) ist Anwältin für Immigrationsfragen. Bei ihrer aufopferungsvollen Arbeit und ihrem Kinderwunsch steht ihr Mann Cole (Ray Liotta, Narc, Schwerter des Königs, Born To Be Wild) hinten an. Der Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde verschafft sich Ersatzbefriedigung, indem er die Australierin Claire (Alice Eve, Stage Beauty, Starter For 10), deren Touristenvisum schon lange abgelaufen ist und die unbedingt Karriere als Schauspielerin in Hollywood machen will, zu Sexdiensten zwingt. Als die muslimische Schülerin Taslima (Summer Bishil) ein kritisches Referat hält, in dem sie die Flugzeugattentäter vom 11. September nicht als Monster, sondern als Menschen mit einer Aussage darstellt, wird sie erst von ihren Mitschülern zur Schnecke gemacht und dann vom FBI einkassiert…

    Das System in „Crossing Over“ ist ein erpresserisches. Die Gesetze, die Druck auf illegale Einwanderer ausüben, werden von allen Seiten hemmungslos ausgenutzt. Es gibt den Copy-Shop-Angestellten, der gefälschte Ausweise vertickt. Den Bürokraten, der seine Macht über die Green Cards dazu nutzt, eine junge Frau zu seiner Sexsklavin zu machen. Und das FBI, das unerwünschte Stimmen mundtot macht, indem es mit Ausweisungen droht. Natürlich trickst auch die andere Seite. Etwa der britische Musiker Gavin Kossef (Jim Sturgess, Across The Universe, Die Schwester der Königin, 21), der eigentlich Atheist ist, aber seine jüdische Herkunft gewitzt dazu nutzt, an der Einwanderungsbehörde vorbeizukommen.

    Die düsteren Seiten einer Gesellschaft aufzudecken, haben auch schon andere Filme geschafft. Doch Kramer geht noch einen ganz bedeutenden Schritt weiter. Er zeigt nämlich auch auf, wie sich das kranke System gegen jede Veränderung oder auch nur einen neuen Denkansatz brutal zur Wehr setzt: Sobald Max Brogan auch nur einen Hauch von Sympathie für die illegalen Mexikaner zeigt, sich etwa um die Gesundheit eines potentiellen Herzinfarktpatienten sorgt, wird er von seinen Kollegen ausgelacht. Wer sich kümmert, ist eben immer der Schwächere. Ähnliches gilt für Taslima. In ihrem Referat heißt sie die Mittel der 9/11-Attentäter keinesfalls gut, sie stellt nur die provokante Frage, ob es für Amerika nicht trotzdem der richtige Weg sei, die Freiheitsrufe der Flugzeugentführer zumindest wahrzunehmen. Die Mitschüler reagieren mit blankem Hass, das FBI steckt die Minderjährige erst in ein Jugendheim und weist sie dann aus. Ganz nach dem Motto: Meinungsfreiheit ist zwar okay, aber nur solange sie nicht dahin geht, wo es wirklich weh tut.

    Die meisten Filme zum Thema Immigration, solange sie nicht gerade von irgendwelchen Rechtspopulisten stammen, begnügen sich damit, das Leid der Opfer aufzuzeigen. Dagegen ist erstmal nichts einzuwenden, doch „Crossing Over“ überzeugt eben gerade deshalb, weil er sich auch an die Widersprüche heranwagt. Und das zeigt sich nicht nur an dem finalen Strauß aus in Erfüllung gegangenen und für immer zerstörten Träumen: „Crossing Over“ zeigt etwa eine junge Mutter (Alice Braga, Die Stadt der Blinden), die beim Versuch, über die Grenze zu kommen, elendig in der Wüste krepiert. Es gibt aber auch einen muslimischen Ehrenmord, der in seiner Konsequenz einer eiskalten Exekution gleichkommt. Auf der einen Seite steht also die tote Immigrantin, auf der anderen die scheinbar unüberbrückbaren Differenzen zwischen den amerikanischen und islamischen Temperamenten. In einer anderen Szene bezeichnet Hamids Bruder Farid (Merik Tadros) die Ausländerbehörde als Gestapo, um kurz darauf seine kleine Schwester zusammenzuscheißen, weil sie sich zu amerikanisch anzieht. Cole bleibt nicht bis zum Schluss der kühl-abgeklärte Vergewaltiger, sondern mutiert zum gebrochenen Ehemann, der sich nach jedweder Art von Gefühl sehnt. Und Max liegt zwar das Schicksal der Immigranten am Herzen, trotzdem nimmt er doch immer wieder an Razzien teil.

    Fazit: „Crossing Over“ ist ein eindringliches Plädoyer gegen das System, ohne dabei weltfremd oder weinerlich zu sein. Stattdessen begegnet Wayne Kramer seinem Sujet mit einer unerwarteten Ambivalenz, die sich vor allem gegen die naive Vorstellung richtet, es gäbe den einen richtigen Weg.

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