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    Shotgun Stories
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Shotgun Stories
    Von Christian Horn

    Was unabhängiges US-Kino eigentlich genau ist, an dieser Frage scheiden sich seit jeher die Geister, aber bestimmte Einschnitte sind von unbestrittener Wichtigkeit: So kann die Geburt des amerikanischen Independent-Films durchaus auf 1980 datiert werden, das Jahr, in dem Jim Jarmuschs minimalistischer Permanent Vacation fast durch Zufall seinen Weg in die Filmtheater fand. Der langsame Tod dieser Art des Independent-Kinos setzte 1994 ein, als Quentin Tarantinos Pulp Fiction die Indies in den Mainstream überführte. Filme, die heute unter dem Begriff „Independent“ lanciert werden und die auf ihrer wichtigsten Plattform, dem Sundance-Festival, „Furore machen“ (wie etwa Juno oder Little Miss Sunshine), sind in aller Regel Produktionen von Tochtergesellschaften der großen Filmstudios; der Begriff ist zu einem Label geworden, das bestimmte Erwartungshaltungen weckt, die Filme sind auf eine Zielgruppe ausgerichtete Produkte. Umso schöner, dass es die „echten“ Indies immer noch gibt. Ein solcher unabhängiger Film im ursprünglichen Sinn ist Jeff Nichols' Thriller-Drama „Shotgun Stories“. Ohne bekannte Stars und übergroßes Budget, dafür mit einer sicheren Inszenierung und einem klugen Drehbuch, untersucht Nichols in seinem mit vielen Preisen bedachten Debütfilm die Mechanismen der Gewalt und die fatalen Auswirkungen einer Gruppendynamik, die – einmal in Gang gebracht – irreversibel scheint.

    Ein gottverlassenes, staubiges Dorf im südöstlichen Arkansas: Hier leben Son (Michael Shannon, Bug, Zeiten des Aufruhrs), Boy (Douglas Ligon) und Kid Hayes (Barlow Jacobs), drei Brüder, die als Jungen von ihrem alkoholkranken Vater verlassen und von ihrer Mutter allein großgezogen wurden. Der Vater entsagte in der Folge dem Whiskey, wurde gläubig und gründete auf einer Farm unweit der Siedlung eine neue Familie – ohne jegliches Interesse für seine zurückgelassenen Kinder. Zwischen den vier neuen Söhnen und den drei alten schwelt daher schon seit Jahren ein Konflikt, der von der verlassenen Mutter noch befeuert wird. Als der Vater schließlich stirbt, besucht Son die Beerdigung und spuckt auf den Sarg: Eine Familienfehde eskaliert.

    Schon dieser Beschreibung und dem Titel ist zu entnehmen, dass Autor und Regisseur Jeff Nichols sich vieler Westernmotive bedient: Die menschenleere Einöde, in der allenfalls eine schäbige Tankstelle, ein Fernseher und ein paar Kraftfahrzeuge von der Gegenwart zeugen, die brennende Sonne, die auch mal auf der Kamera reflektiert (wenn sie nicht gerade unter einer Wolkendecke verschwindet), der Staub, der Dreck und die Männer – alles Motive, die auch aus einem Italo- oder einem New-Hollywood-Western stammen könnten. Thematisch drängt sich zudem der Vergleich mit Sam Peckinpahs bitterbösem Drama Wer Gewalt sät auf, während die verkrusteten, von sparsamen Gitarrenriffs untermalten Cinemascope-Bilder, die Nichols für die karge Ödnis und die Gewalt findet, sehr an Terrence Malicks Badlands erinnern, eines der erklärten Vorbilder für „Shotgun Stories“.

    Ein wesentlicher Grund für die gewaltsame Eskalation sind die männlich bestimmten Hierarchien: Das fängt beim Vater an, der zwei Familien gegründet hat und die erste der beiden verleugnet – als er stirbt, kommt es fast zwangsläufig zur Konfrontation. Innerhalb der beiden Clans ist der jeweils älteste der Brüder der Anführer: Son Hayes auf der einen, Cleaman Hayes (Michael Abbott jr.) auf der anderen Seite. Ersterer löst die Fehde durch den Eklat am Grab des gemeinsamen Vaters aus, zweiterer greift zu spät ein. Im letzten Drittel treiben dann Rachegelüste die mit christlichen Motiven wie einer Schlange und dem (Halb-)Brudermord angereicherte Erzählung an, wobei Nichols auch beim Showdown auf vordergründige Effekthascherei verzichtet.

    „Shotgun Stories“ ist ein intelligenter, kleiner und karger Film, der in bezwingenden Bildern von eskalierender Gewalt erzählt. Die guten Darsteller (allen voran Michael Shannon) und die klaren Konturen des sehr ökonomisch angelegten Drehbuchs, in dem die Figuren nicht wegerklärt werden, können sich im Rahmen der für einen Debütfilm ungewöhnlich reifen Inszenierung voll entfalten: Endlich einmal wieder echtes, relevantes und in allen Belangen unabhängiges Independent-Kino.

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