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    Autistic Disco
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Autistic Disco
    Von Björn Helbig

    „Autistic Disco“ ist ein Film, der es dem Zuschauer nicht leicht macht und sein Publikum mit Sicherheit spalten wird. Nach einem Drehbuch von Melanie Rohde inszeniert Hans Steinbichler einen Alpen-Albtraum über ein Resozialisierungsprojekt in den Bergen. Eine Methode aus dem Lehrbuch, die auf dem Papier gut klingt, erweist sich in der Realität als problematisch, denn die Natur nimmt den Pädagogen die Arbeit nicht ab. Nicht nur die Jugendlichen, sondern auch die betreuenden Erwachsenen scheitern an ihren eigenen Unzulänglichkeiten.

    Der Inhalt lässt sich in wenigen Sätzen wiedergeben: Sieben Jugendliche, junge Patienten aus einer psychiatrischen Klinik, treffen sich auf einer Alm in den Berchtesgadener Alpen. Sie sind Teil eines Resozialisierungsprogramms, dass ihnen, unterstützt durch die Sozialpädagogin Dörthe (Ditte Schupp), die Möglichkeit geben soll, zu einer Gemeinschaft zu werden.

    Mit Regisseur Hans Steinbichler und Melanie Rohde hat sich ein interessantes Team zusammen gefunden. Die junge Autorin Rohde, Absolventin der Autorenschule Hamburg und Stipendiatin der Drehbuchwerkstatt München, verfasste mit „Autistic Disco“ ihr erstes Drehbuch für einen abendfüllenden Spielfilm, das im Juni 2006 aus einem Regieseminar der Abteilung Schauspiel & Regie des Mozarteums Salzburg nach einer Idee von Hans Steinbichler entstand. Regisseur Steinbichler hatte zuvor mit „Hierankl“ (2003) auf sich aufmerksam gemacht und drei Jahre später mit dem starken Winterreise ein ordentliches Pfund nachgelegt. Mit seinem neuen Film zeigt er einmal mehr, dass er zu den deutschen Regisseuren gehört, die kein filmisches Experiment scheuen.

    „Autistic Disco“ beginnt mit einer grauen Leinwand und einem tiefen Grollen. Damit ist die Stimmung für die kommenden anderthalb Stunden bereits vorgegeben. Der Zuschauer sieht wunderschöne Naturaufnahmen von Kamerafrau Bella Haben. Doch der Film schafft keine Verbindung zur Landschaft, er zeigt sie stattdessen als etwas Fremdes, etwas Unwirtliches. Die Atmosphäre findet ihre Entsprechung auch in dem Miteinander der Menschen auf der Alm: der Jugendlichen, der Pädagogin und dem Jäger (Markus Böker). Schnell wird klar, dass nicht nur die Psychiatrieinsassen ihrer Umgebung und einander fremd sind – auch die Pädagogin Dörthe findet keinen Draht zu ihren Schützlingen und dem Jäger, mit dem sie ein Verhältnis hat.

    „Wer hofft, der stirbt. Wer vertraut, der kriegt eins in die Fresse. Wer nicht verrät, wird selber verraten. Wer liebt, steht mit einem Fuß im Grab.“

    Der Zuschauer erfährt gleich zu Beginn durch eine Ansprache der Pädagogin, dass es um Zusammenhalt gehen soll. Die Jugendlichen sollen hier auf der Alm in den Bergen lernen, eine Gemeinschaft zu bilden. Doch schon die Ausgangssituation dieser Zwangsgemeinschaft macht klar, dass es in dem aufoktroyierten Paradies keine tieferen Beziehungen geben wird. In jedem Dialog drückt sich die Entfremdung der Protagonisten untereinander aus, ihre Unfähigkeit durch Sprache Verbindungen zu schaffen. Der Filmtitel „Autistic Disco“ passt wirklich gut, kreist der Film im Folgenden doch um eine Begegnungsstädte, die von Menschen besucht wird, bei denen sich alles um sich selbst dreht. Auch die gelegentlichen Versuche, mit den anderen in Kontakt zu kommen, scheitern. Wie gesagt, die Erwachsenen, Dörthe und ihr Jäger, sind davon nicht ausgenommen. Steinbichler konzertiert sich voll darauf, diese Stimmung auf der Alm einzufangen. Dazu verweigert er sich einer normalen Erzählstruktur und gibt die Ereignisse fragmentarisch und ihrer eigenen Dynamik folgend wieder. Das Risiko, durch dieses Vorgehen unterwegs den einen oder anderen Zuschauer zu verlieren, nimmt er in Kauf.

    So mutig Steinbichlers radikaler Ansatz, so sehr entwickelt sich dieser im Laufe des Films auch zum Stolperstein. Das vielleicht größte Problem von „Autistic Disko“ ist die überall vorherrschende Künstlichkeit, die sich in jeder Szene und vor allem in den Dialogen zwischen den Jugendlichen widerspiegelt. Man merkt Drehbuchautorin Melanie Rohde hier ihre Theateraffinität an. Das originelle und eigenwillige Drehbuch stellt die von Unnatürlichkeit geprägte Situation in den Mittelpunkt und greift dabei auch zu verfremdenden Mitteln. Wahrscheinlich wäre es an dieser Stelle besser gewesen, den Zuschauer möglichst nah heranzulassen, anstatt ihn durch die seltsame Sprache, das merkwürdige Gebaren der Jugendlichen und ihre hermetischen Rituale auszuschließen. Dadurch wird „Autistic Disco“ zur bloßen Behauptung seines Themas, dessen tieferes Verständnis unnötig erschwert wird. Selbst die kurzen 82 Minuten erweisen sich dadurch als lang, wenn Szene an Szene gereiht wird, aber alles Neue keine neuen Erkenntnisse, sondern lediglich eine Vertiefung der auf der Alm vorherrschenden Stimmung liefert. Die Isolation der Figuren wird so zwar spür-, aber nicht verstehbar.

    Fazit: Das pessimistische Jugendporträt von Hans Steinbichler ist nicht nur ein Abgesang auf moderne Erziehungsmethoden, sondern schafft auch eindringliche, wenngleich künstliche und mitunter gezwungen wirkende Bilder der existenzielle Entfremdung des Menschen überhaupt. Über das bloße Einfangen von Stimmungen geht der Film jedoch leider zu selten hinaus.

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