Mein Konto
    Hope
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Hope
    Von Martin Thoma

    Franciczek ist kein gewöhnlicher Erpresser. Der Anfangzwanzigjährige dokumentiert minuziös den Diebstahl eines wertvollen Altarbildes, den er auch hätte verhindern können. Dann konfrontiert er den Drahtzieher, einen bekannten Kunsthistoriker, mit seiner Forderung. Er will keinen Anteil an der Beute. Er verlangt, dass das Bild an seinen alten Platz zurückgebracht werden soll. Was erhofft er sich von diesem lebensgefährlichen Spiel? „Hope" - Hoffnung, ein recht großes Wort als Titel für einen Film. Aber Drehbuchautor Krzystof Piesiewicz, als Krzysztof Kieslowskis („Drei Farben“-Trilogie) langjähriger Co-Autor vielfach ausgezeichnet und gefeiert, ist ja auch kein Kleiner.

    Und die spirituellen Themen liegen ihm. Seine letzten, noch mit Kieslowski zusammen begonnenen Drehbücher hießen Heaven, „Purgatory“ und „Hell“. Letzteres wurde von Danis Tanovic mit Emmanuelle Béart in der Hauptrolle verfilmt (deutscher Verleihtitel: Wie in der Hölle), ersteres von Tom Tykwer mit Cate Blanchett. Mit „Hope" ist der erste Teil eines nicht minder christlichen Trios verfilmt: Glaube, Liebe, Hoffnung. Anders als Tykwer und Tanovic muss Dokumentarfilmregisseur Stanislaw Mucha („Absolut Warhola“, Die Mitte) für seinen ersten Spielfilm ohne internationale Stars auskommen. Das macht aber nichts. Mucha ist ein beeindruckendes Thriller-Drama gelungen: ruhig, aber fesselnd und ohne Längen; rätselhaft, aber nie beliebig; mit Mut zu großer Symbolik und kunstvoll komponierten Bildern, ohne je an die Grenze zur Lächerlichkeit zu geraten.

    Die in wenigen grandiosen Schnitten sehr dicht erzählte Anfangssequenz macht klar, dass man es mit Personen zu tun bekommt, die traumatisiert sind. Der Kriminalfall wird sich als Familientragödie entpuppen, die wieder neue Familientragödien hervorbringen wird.

    Franciczek (unheimlich und doch sympathisch: Rafal Fudalej) ist unglaublich abgebrüht. Das scheint er mit seinem Vater (Zbigniew Zapasiewicz) gemeinsam zu haben, der, als das Auto seines Sohns von den erpressten Kunstdieben in die Luft gesprengt wird, auch nur kurz sagt: „Das war ja zu erwarten. Dann nimm jetzt eben den Roller." Vielleicht ist diese Abgebrühtheit ein Symptom, das im Zusammenhang mit einem tragischen Ereignis zu sehen ist, das 15 Jahre zurückliegt. Ein Unfall, den Franciczeks Bruder (Grzegorz Artman) nie verwunden hat. Wahrscheinlich weil er sich, vielleicht sogar weil ihm der Vater eine Mitschuld daran gibt. Der Vater, der seitdem vom gefeierten Dirigenten zum Organisten in der Dorfkirche abgestiegen ist, aus der nun das Altarbild entwendet wurde. Franciczeks Bruder sitzt im Gefängnis wegen zweifachen Mordes, regelmäßig versucht er dort, sich selbst das Leben zu nehmen. Wie es kam, dass er zum Mörder wurde, wen er warum umgebracht hat, auch das lässt der Film unbeantwortet. Angedeutet wird, dass Franciczek etwas damit zu tun haben könnte. Das macht die Sache nur noch unerklärlicher. Aber was erklärt schon ein Mordmotiv? Entscheidend ist, dass Franciczeks Bruder keine Hoffnung mehr hat. Dann gibt es da noch Klara (Kamilla Baar). Klara ist sprichwörtlich hoffnungslos in Franciczek verliebt. So sehr, dass es beim Zuschauen schon fast unangenehm berührt. Das soll es offensichtlich auch. Kamilla Baar hier Overacting vorzuwerfen wäre ungerecht. Sie ist die Gegenfigur zu Franciczek, dem scheinbar Unergründlichen, der nicht den Eindruck macht, als wäre er zu einem Gefühl wie Liebe fähig.

    Das Altarbild, das aus der Kirche gestohlen wurde, stellt einen Engel dar. Franciczek mit seinen Locken und den leicht androgynen Gesichtszügen ähnelt diesem Engel. Er fliegt auch fast wie ein Engel. Genauer gesagt springt er mit dem Fallschirm. Er sucht den freien Fall, die Leere und natürlich die Gefahr. Im Rahmen über dem Altarbild prangt das Auge Gottes. Auf der Orgelempore gegenüber sitzt Franciczek und zeichnet den Diebstahl mit der Videokamera auf, die auch in der Nacht filmt, so dass man die Gesichter der Täter erkennt. Der engelsgleiche Franciczek spielt Gott: Er weiß alles, aber lässt es geschehen, um nachher kompromisslos zuzuschlagen. Über Geld ließe sich verhandeln, aber Franciczek verlangt, was viel schwieriger ist: Der Diebstahl soll ungeschehen gemacht werden. Und er sagt, er wolle noch etwas. Aber das verrate er nicht. Auch der Zuschauer kann nur raten. Gott muss unergründlich bleiben. Wahrscheinlich ist es der gar nicht gottähnliche Wunsch, den Beweis anzutreten, dass sich eine Sache rückgängig machen ließe. Der Wunsch des kleinen Jungen, dass wieder alles beim Alten ist, am besten so wie vor 15 Jahren. Doch wenn es dieser Wunsch ist, der Franciczek in Wirklichkeit antreibt, dann lässt er das sein Opfer nicht merken. Mit dem heuchlerischen Kunsthistoriker (Wojciech Pszoniak), der öffentlich wortreich den Diebstahl beklagt, den er selbst begangen hat, kann man Mitleid bekommen. Sein kaum über 20 Jahre alte Erpresser ist viel zu abgebrüht für ihn. Auch der routinierte Inspector Sopel - gespielt vom wieder großartigen Zbigniew Zamachowski („Drei Farben“-Trilogie, Lichter, 23) -, der bald herausfindet, dass Franciczek mehr über den Kunstraub weiß, als er zugibt, beißt bei ihm auf Granit.

    Das Faszinierende an diesen Figuren ist, dass sie widersprüchlich und rätselhaft bleiben, aber nie so sehr, dass ihre Handlungen unverständlich wären und ihr Schicksal kalt ließe. Der Film setzt seine Leerstellen sehr geschickt und bewusst. In seiner ruhigen Gangart liegt eine ständige Spannung. Die Wendungen der Handlung sind teilweise durchaus überraschend, ohne je aufgesetzt oder gar hanebüchen zu wirken. Sie sind einerseits im Charakter der Figuren angelegt und scheinen andererseits schicksalhaft vorherbestimmt. Viel zur dichten Atmosphäre tragen der ausgezeichnete Soundtrack und die großartig gefilmten ungewöhnlichen Schauplätze bei. Wie zum Beispiel auch Tykwer schreckt Mucha nicht vor prächtigen symbolträchtigen Bildkompositionen zurück. Auch wenn das, weil der Film nie zu verbergen sucht, dass er mit Symbolen arbeitet, zunächst etwas offensichtlich erscheinen mag, platt ist es nie. Weder ist die Symbolik zu eindeutig aufschlüsselbar, also nichtssagend, noch ist sie so beliebig, dass sie alles mögliche bedeuten könnte, also ebenso nichtssagend wäre. Vor allem fügt sie sich gänzlich unangestrengt in die Atmosphäre des Films ein. Besser kann man es nicht machen.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top