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    1. Mai
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    1. Mai
    Von Christian Horn

    Episodenfilme laufen generell Gefahr inszenatorisch, vor allem dramaturgisch im Sande zu verlaufen; nämlich dann, wenn Geschichten sich ohne erkennbares Prinzip, ein übergeordnetes Thema oder einen wie auch immer gearteten roten Faden abwechseln und die Episodenstruktur lediglich als oberflächliche Spielerei genutzt wird. Genau das passiert nicht unbedingt selten, aber es gibt regelmäßig Filme, die das Episodenhafte gekonnt zu nutzen wissen – der Struktur reflektierten und ihr somit eine Berechtigung geben: etwa Quentin Tarantinos „postmoderner“ Gangsterfilm Pulp Fiction, der seinerzeit zu Recht viel Beachtung fand; in letzter Zeit überzeugte vor allem Fatih Akins Auf der anderen Seite, der bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises mehrfach ausgezeichnet worden ist. Auf der diesjährigen Berlinale eröffnete ein, zumindest in der Anlage, recht innovativer Episodenfilm die Reihe „Perspektive Deutsches Kino“: Ein Gemeinschaftsprojekt der jungen Regisseure Sven Taddicken („Emmas Glück“), Jakob Ziemnicki, Jan-Christoph Glaser und Carsten Ludwig mit dem Titel „1. Mai“. Die beiden letztgenannten Filmemacher inszenierten eine Episode gemeinsam, Taddicken und Ziemnicki jeweils eine eigene – macht drei Episoden, die zwar nicht explizit ineinander wirken, durch die stilistische Gestaltung und die Darstellung von (ganz unterschiedlichen) „Ausnahmesituationen“ relativ kohärent sind. Letztlich zerfällt der Film jedoch aufgrund qualitativer Unterschiede, die zwischen den Episoden in teilweise großer Ausprägung bestehen.

    Jede der drei Episoden spielt vor der Kulisse des bundesweit berüchtigten Maifestes in Berlin: Ausschreitungen zwischen der linken Szene und der Polizei, zahlreiche Demonstrationen und massenhaft Exzesse jeder Art auf offener Straße und in Parks prägen die Drehorte der Geschichten. Natürlich werden im Film zwei Jugendliche vorgestellt, die sich während der Ausschreitungen einen Adrenalin-Kick holen wollen; die beiden heißen Jacob (Jacob Matschenz) und Pelle (Ludwig Trepte), reisen eigens aus der brandenburgischen Provinz an und sind die Protagonisten der Episode von Jan-Christoph Glaser und Carsten Ludwig (die beiden Filmemacher arbeiten bei Drehbuch und Regie zusammen und präsentierten zuletzt ihren Coming-of-Age-Film Neandertal im Kino). Der elfjährige Yavuz (Cemal Subasi) will unbedingt einen „Bullen“ verdreschen und macht Bekanntschaft mit Harry (Peter Kurth), einem Alt-Hippie, der ihm andere Möglichkeiten aufzeigt und die Yavuz-Episode arg didaktisch werden lässt (Regie: Sven Taddicken). In der der dritten Episode ist die Hauptfigur ein Polizist (mit Namen Uwe, gespielt von Benjamin Höppner), der kurz vor Einsatzbeginn erfahren muss, dass seine Geliebte ihm untreu ist. Leider gelingt es Regisseur Jakob Ziemnicki nicht, über eine Aneinanderreihung gängiger Klischees hinaus zu kommen.

    Tatsächlich wurde „1. Mai“ inmitten des Original-Schauplatzes in der Hauptstadt gedreht. Mit kleinen, also flexiblen Teams und einer dokumentarischen Offenheit wurden die Szenen größtenteils improvisiert. Es gab lediglich zwei Vorgaben für die beteiligten Filmemacher: Das Maifest musste jeder Geschichte in einigen Szenen als Kulisse dienen und jeder der Protagonisten sollte sich in einer emotionalen Ausnahmesituation befinden oder in eine ebensolche geraten. Auf dem Blatt klingt das alles sehr vielversprechend, vor allem innovativ, beinahe sogar experimentell – bei der Umsetzung hapert es allerdings an einigen Stellen. Wie bereits erwähnt, mangelt es vor allem Ziemnickis Geschichte an interessanten Ideen, welche die an sich banale Erzählung aus dem unteren Mittelmaß hieven könnten. Aber auch die anderen Episoden funktionieren nicht einwandfrei: Es sind vor allem die mittelmäßigen bis peinlichen Dialoge, die bitter aufstoßen und einen starken Kontrast zur lebendigen Form des Films bilden. Phrasen und Gemeinplätze in Hülle und Fülle – ein Umstand, der den Figuren letztlich kaum eine Chance gibt spannend zu werden.

    Trotzdem: Das filmische Projekt „1. Mai“ als völlig gescheitert zu bezeichnen, wäre stark übertrieben. Allein die formale Gestaltung ist sehenswert und es verwundert (auf eine positive Weise), dass der Film (zumindest visuell) wie aus einem Guss wirkt – obwohl die Teams zeitgleich und unabhängig voneinander gedreht haben (dies liegt nicht zuletzt an der Montage, die alle Geschichten abwechselnd präsentiert und nicht aufeinander folgend). Und auch die inhaltliche Klammer funktioniert zumindest in einem so hohen Maße, das sie nicht angezweifelt werden kann. Wären da nicht die abgedroschenen Dialoge und das qualitative Gefälle – das vor allem im Kontrast der beiden Episoden von Glaser & Ludwig und Ziemnicki unübersehbar wird –, könnte „1. Mai“ rundum überzeugen. Das wäre wohl der gerechte Lohn für eine mutige und spannende Art der Inszenierung gewesen. Ein Lohn, der für das vorliegende Ergebnis indes nicht ausgezahlt werden kann.

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