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    Die Vorstadtkrokodile
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Vorstadtkrokodile
    Von Christoph Petersen

    Der 1976 erschienene Bestseller von Max von der Grün hat eine ganze Generation geprägt, der ein Jahr später ausgestrahlte Fernsehfilm von Wolfgang Becker („Derrick“) ist Kult. Dementsprechend treten der Produzent Christian Becker (Der Wixxer, Goldene Zeiten) und sein Regisseur Christian Ditter (Französisch für Anfänger) nun in gewaltige Fußstapfen, wenn sie eine Neuauflage des Bandenabenteuers „Vorstadtkrokodile“ in die Kinos bringen. Doch alle Befürchtungen, der Jugendbuch-Klassiker würde hier an die Wand gefahren, sind fehl am Platze. Denn auch wenn der Film es voll darauf anlegt, den heutigen Zeitgeist zu treffen, ist ein Großteil des einmaligen Ruhrpott-Charmes der Vorlage trotz radikaler Frischzellenkur doch erhalten geblieben.

    Hannes (Nick Romeo Reimann, Die wilden Kerle 3, Die wilden Kerle 4) droht in die Tiefe zu stürzen. Nur dank dem querschnittsgelähmten Kai (Fabian Halbig), der den an der Regenrinne hängenden Hannes durch sein Teleskop beobachtet und geistesgegenwärtig die Feuerwehr alarmiert, kommt der Zehnjährige noch einmal mit dem Schrecken davon. Kai würde gerne zu Hannes' Bande, den Vorstadtkrokodilen, gehören - doch die Mehrzahl der anderen Mitglieder ist dagegen, einen Spasti aufzunehmen. Erst als Kai eine Einbrecherbande beobachtet, auf deren Ergreifung eine Belohnung von 1.000 Euro ausgesetzt ist, darf er mitmachen. Hannes könnte das Geld gut gebrauchen, um seiner alleinerziehenden Mutter (Nora Tschirner, Keinohrhasen, Mord ist mein Geschäft, Liebling) die Beendigung ihres Studiums zu ermöglichen. Doch die Ermittlungen stellen den Zusammenhalt der Vorstadtkrokodile auf eine harte Probe, als immer mehr Indizien darauf hindeuten, dass der Bruder von Bandenmitglied Frank (David Hürten) der Täter sein könnte…

    Inzwischen glauben immer mehr Produzenten, sie müssten modernen Kids im Kino die gleichen Zutaten vorsetzen wie Erwachsenen. Der unsinnige Mix aus Mad Max-Action und vorpubertärer Erotik der späteren Die wilden Kerle-Filme ist das beste Beispiel dafür. Dass man aber auch up-to-date sein kann, ohne sich auf solche Abwege einzulassen, beweist nun „Vorstadtkrokodile“: Der Film verbindet das Lebensgefühl heutiger Kinder mit einer modernen Sprache und Machart, ohne dabei auf den speziellen Abenteuercharme solcher Klassiker wie dem „Vorstadtkrokodile“-Original oder „Flussfahrt mit Huhn“ zu verzichten. Das Ergebnis ist ein ebenso spannender wie unterhaltsamer Film, der zur Identifikation geradezu einlädt. Einzig bei einer überzogenen Rollstuhlverfolgungsjagd durch die Dortmunder Innenstadt, die sich alles andere als stimmig in den Film einfügt, haben die Macher kurzzeitig die Bodenhaftung verloren.

    Eines der Hauptmotive von „Vorstadtkrokodile“ ist Integration – in allen Farben und Formen. Maria (Leonie Tepe) ist das einzige Mädchen in der Bande, wird aber trotzdem von allen für voll genommen. Ähnliches gilt für Nachwuchsmacho und Handyfreak Jorgo (Javidan Imani), dessen Eltern aus Griechenland stammen. Am deutlichsten zeigt sich die Thematik aber natürlich in Bezug auf den gelähmten Kai, der von dem „Killerpilze“-Schlagzeuger Fabian Halbig durchaus mit einer gesunden Portion Selbstbewusstsein dargestellt wird. Die braucht Kai aber auch, denn die Vorstadtkrokodile fassen ihn zunächst nicht gerade mit Samthandschuhen an. „Spasti“ ist da noch das Harmloseste, was er zu hören bekommt. Das ist eine Ehrlichkeit, die man im Kinderkino viel zu selten antrifft. Doch es bringt eben nichts, von Anfang an auf Friede – Freude – Eierkuchen zu machen: Konflikte sollten – auch auf der Leinwand - angesprochen und nicht ausgeblendet werden.

    Zwei prominente Gaststars sind auch noch mit von der Partie: Die 2009er Krokodile müssen den Vergleich mit ihren Vorgängern keinesfalls scheuen – und tun es auch nicht. So spielt zum Beispiel Martin Semmelrogge (Das Boot), der schon in der TV-Fassung als einer der kriminellen Teenager mitwirkte, diesmal den Minigolfplatzbesitzer, der in der ersten Verfilmung wiederum von Martins Vater Willy Semmelrogge verkörpert wurde. Der spezielle Reiz des Ruhrpotts, der sich bis zur abschließenden Sprengung der Ziegelei durch den gesamten Film zieht, findet seinen Höhepunkt in der Besetzung von Pott-Urgestein Ralf Richter (Die Katze, Was nicht passt, wird passend gemacht, Cowgirl), der als ganz und gar nicht hilfsbereiter Polizist einen zwar amüsanten, aber leider auch viel zu kurzen Auftritt absolviert.

    Vivian Naefe hat es mit Die Wilden Hühner und die Liebe vorgemacht: Modernes Jugendkino kann ruhig ein wenig Anspruch vertragen, ohne dass dafür gleich Abstriche bei Spannung oder Unterhaltungswert nötig wären. Im Presseheft heißt es, dass Produzent Becker bereits an einer Fortsetzung arbeitet. Bei einem anderen Film würde man wohl von Arroganz sprechen, wenn bereits vor dem Start an einem Sequel gebastelt werden würde. Aber hier ist es eher ein gesundes Maß an Selbstbewusstsein, denn den hoffentlich eintretenden Erfolg an den Kinokassen haben sich die „Vorstadtkrokodile“ redlich verdient.

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