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    Jud Süss - Film ohne Gewissen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Jud Süss - Film ohne Gewissen
    Von Carsten Baumgardt

    „Was erlauben Roehler?“. Es gibt Filme, die die Geschichte verändern, aber auch Filmemacher, die sich selbiges herausnehmen. Zuletzt konstruierte sich Quentin Tarantino in der Kriegs-Groteske Inglourious Basterds seine eigene Wildwest-Version des Dritten Reichs und erntete neben Elogen auch einige Prügel. Wenn sich allerdings ein Deutscher diese Freiheit nimmt, erhält dieses Verhalten eine äußerst pikante Note und wird peinlich genau observiert. Oskar Roehler hat‘s getan und wurde dafür niedergebuht – jedenfalls von vielen Journalisten, die sein satirisches Melodram „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ vor der Weltpremiere bei der 60. Berlinale gezeigt bekamen. In der nächsten Zeit wird wohl kein Film so kontrovers diskutiert werden wie Roehlers Werk. Es spaltet die Lager – das Spektrum der Einschätzungen reicht von „große Unterhaltung“ bis „peinliche Geschichtsklitterung“. Und so funktioniert „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ zwar zunächst als Zwitter aus Groteske und Drama, lässt am Ende aber nach und zerfällt in einzelne Szenen, wobei der satirische Drive zunehmend verloren geht.

    Der Schauspieler Ferdinand Marian (Tobias Moretti) wartet nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs weiter auf seinen Durchbruch. Er bekommt Rollen in Kinofilmen und gibt auf der Bühne den Mephisto, aber er weigert sich, die vermeintliche Chance seines Lebens anzunehmen. NS-Reichspropagandaminister Joseph Goebbels (Moritz Bleibtreu) plant einen großen antisemitischen Propagandafilm, der das deutsche Volk gegen die Juden aufstacheln soll – allerdings mit subtilen Mitteln. Deshalb engagiert er den renommierten Kino- und Theaterregisseur Veit Harlan (Justus von Dohnanyi), um „Jud Süß“ mit der Crème de la Crème der deutschen Schauspielgilde zu inszenieren. Goebbels, der persönlich die Oberaufsicht über das Projekt führt, sorgt auch dafür, dass der Druck auf Marian erhöht wird, die Hauptrolle des Jud Süß zu übernehmen. Der Film ist scheinbar an die historische Figur des Joseph Süß Oppenheimer (1698-1738) angelehnt, aber der Stoff wird verfälscht, um das Judentum zu verteufeln. Frauenheld Marian befürchtet nach dem Film zu sehr auf die Rolle des Juden festgelegt zu werden, gibt dem Drängen aber schließlich nach und übernimmt die Rolle. Seine Frau Anna Altmann (Martina Gedeck), zu einem Viertel Jüdin, beäugt diesen Auftrag mit Misstrauen. Ein gemeinsamer Freund des Ehepaars, der jüdische Schauspieler Wilhelm Adolf Deutscher (Heribert Sasse), wurde bereits in ein Lager verfrachtet. Als „Jud Süß“ bei der Festspiel-Premiere 1940 gefeiert wird, beginnt der Abstieg Marians, der an der Rolle zerbricht, die er auf Geheiß Goebbels‘ immer und immer wieder bei Vorführungen für Wehrmachtssoldaten vorstellen muss…

    Während des „Tausendjährigen Reichs“ sahen 20 Millionen Deutsche „Jud Süß“ im Kino, doch von der heutigen Generation hat ihn kaum jemand gesehen, weil der Film nach Kriegsende verboten wurde. Roehlers „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ beschäftigt sich einerseits mit der Entstehungsgeschichte dieses berüchtigten Werks, im Zentrum steht aber der Fall des Schauspielers Ferdinand Marian, der an seinem falschen Ruhm zugrunde ging. Er starb 1946 bei einem Autounfall unter ungeklärten Umständen. Ob er alkoholisiert gegen einen Baum raste oder sich angesichts der eigenen Perspektivlosigkeit das Leben nahm, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Oskar Roehler (Elementarteilchen, Agnes und seine Brüder, Lulu und Jimi) entscheidet sich für den Selbstmord, weil es seiner Ansicht nach besser zum Film passt. Natürlich hat er diese künstlerische Freiheit, aber wie er sie nutzt, das ist genau der Punkt, an dem sich die Auseinandersetzung um Roehlers Film entzündet.

    Der streitbare Regisseur und sein Drehbuchautor Klaus Richter (Die Geschichte vom Brandner Kaspar, Bergkristall) bedienen sich mitunter einer groben Fiktionalisierung der Historie, um dem Melodram die gewünschte tragische Färbung zu geben: Aus Marians echter Frau Maria Byk, die in erster Ehe mit einem Juden verheiratet war, wurde im Film Anna Altmann, durch deren Adern jüdisches Blut fließt. Diese Art von dramaturgischer Zuspitzung und Überhöhung ist Konzept. So werden etwa auch die elf Filme (u.a. Helmut Käutners Meisterwerk Romanze in Moll) unterschlagen, die Marian nach „Jud Süß“ bis zu seinem Auftrittsverbot 1945 noch gedreht hat. Im Gegensatz zu einigen erfundenen Szenen mit Goebbels, die sich im üblichen und für einen Spielfilm unvermeidlichen Rahmen halten, ist das ein drastischer und daher diskutabler Eingriff in die Geschichte. Auch Roehlers Umgang mit der Figur Veit Harlan ist in diesem Sinne nicht ganz koscher. Deren zwiespältige Rolle im Nazi-Kulturbetrieb bleibt genauso unterbelichtet wie Harlans künstlerische Qualitäten.

    Die interessanteste Figur in Roehlers Geschichtsphantasie ist Moritz Bleibtreus Goebbels. Der Minister, der aus „Jud Süß“ ein deutsches Gegenstück zum sowjetischen Panzerkreuzer Potemkin machen will, ist hier der mephistohafte Zeremonienmeister, der die Propagandamaschenerie ohne Rücksicht auf Verluste auf Touren bringt. Bleibtreu (Soul Kitchen, Der Baader Meinhof Komplex) legt die Figur in konsequenter satirischer Überspitzung als grotesken Clown an und überschreitet die Grenze zur Karikatur deutlich, der Schauspieler könnte seinen überaus unterhaltsamen Auftritt auch als Bewerbungsvideo für „Switch Reloaded“ einreichen – in jenem Rahmen würde seine Nummer hervorragend funktionieren. In „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ arbeitet er mit seiner launigen Interpretation im charakteristischen rheinischen Akzent Goebbels‘ aber gegen seinen Regisseur Roehler, der vor allem die Tragik eines gebrochenen Mannes melodramatisch herausarbeiten will, wobei ihn Tobias Moretti (Midsummer Madness, Der Liebeswunsch) mit seinem einfühlsamen Porträt des zerbrechenden Ferdinand Marian unterstützt.

    Handwerklich leistet Roehler gute Arbeit. In ausgewaschenen Farben und düster-strengem Look fängt Kameramann Carl-Friedrich Koschnick (Der Architekt, Mein Führer) die Salongesellschaft der Nazizeit ein. Der vorherrschenden Kammerspiel-Optik werden nur gelegentlich Landschaftsaufnahmen entgegengesetzt. Der Regisseur setzt den gestalterischen Akzent zwar klar auf den Aspekt des intimen Dramas, aber Roehler wäre nicht Roehler, wenn er nicht im Vorbeigehen ein paar kräftige Seitenhiebe verteilen würde. So bekommt Heinz Rühmann als „Lieblingskomiker des Führers“ sein Fett weg, Blow Up-Regisseur Michelangelo Antonioni wird als italienischer Filmkritiker vorgeführt, der Ferdinand Marians Leistung bei der Premiere lobt und Komiker Hans Moser (Johannes Silberschneider) wird als Trottel ausgestellt.

    Ist „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ wirklich ein „gewissenloser Film“, der durch „Ungenauigkeiten und Fälschungen“ zur „Legendenbildung“ beiträgt, wie Friedrich Knilli, Autor der als Vorlage dienenden Marian-Biografie „Ich war Jud Süß“, verlauten ließ? Oder geht die „künstlerische Freiheit“, die die Produzenten Markus Zimmer und Franz Novotny für sich beanspruchen, über alles? Das darf gern jeder für sich selbst entscheiden. Roehler wagt jedenfalls eine Menge und lehnt sich weit aus dem Fenster - weiter als es nötig gewesen wäre. Und so ist „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ ein Melodram, das zwar gut gespielt ist, aber nicht wirklich berührt, eine von einem einzigen Akteur vorangetriebene Satire und ein handwerklich einwandfreier Historienfilm, bei dem die geschichtlichen Fakten konsequent nach den Vorstellungen des Regisseurs umgedeutet werden.

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