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    Holidays by the Sea
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Holidays by the Sea
    Von Tim Slagman

    Der französische Comic-Autor und Filmregisseur Pascal Rabaté hat sich in große Fußstapfen gewagt und macht mit seiner Sommer-Komödie „Holidays by the Sea" unübersehbare Anleihen bei Jacques Tatis berühmtem „Die Ferien des Monsieur Hulot" aus dem Jahre 1953. Rabaté verzichtet auf Dialoge und erzählt mit viel Tempo und großer Phantasie, bisweilen aber auch ein wenig zu überdreht und selbstverliebt von den kurzen Fluchten, die im Urlaub so möglich sind – und von den großen Erkenntnissen über einen selbst und die Mitreisenden, die sich aus dieser Auszeit womöglich mit nach Hause bringen lassen. Die visuellen Einfälle, mit denen Rabaté die bürgerliche Urlaubs- und Familienplanung auseinandernimmt, sind ebenso beeindruckend wie witzig. Zwar bleibt er bei der Beschreibung seiner Figuren ab und an im Klischee stecken und manches Bild strebt ein wenig zu gezwungen auf einen möglichst originellen Gag hin, ein formal außergewöhnlicher und über weite Strecken unterhaltsamer Film ist ihm aber dennoch gelungen.

    Mit einem lächerlich kleinen Goggomobil schleicht ein gesetztes Ehepaar (Catherine Hosmalin, Charles Schneider) einem noch viel kleineren Ferienhaus entgegen, wo die Dame zwischen Scrabble, Fernsehen via Vergrößerungsglas und pflichtgemäß-ödem Umtrunk mit den Camping-Nachbarn ein altes Feuer neu entfachen möchte. Ein schneidiger Kerl (David Salles) eilt derweil einem Treffen mit seiner Domina entgegen und prallt mit zwei grobschlächtigen Miturlaubern (Vincent Martin, Gustave Kervern) zusammen. Die beiden angeln sich seine Brieftasche und seine „Herrin" gleich noch seine Autoschlüssel, so dass er sich mit einem Rosenstrauß im Hintern alleine ans Bettgestell gefesselt wiederfindet. Einem jung gebliebenen Herrn (Jacques Gamblin) entfleucht sein Drachen (der aus Holz und Papier) vom Strand bis weit ins Hinterland. Schließlich verfolgt er sein Spielgerät gemeinsam mit einer ebenso wie er selbst vergebenen Frau (Maria de Medeiros) bis in ein Nudistencamp. Und dann gibt es noch einen zwangsneurotischen Supermarktinhaber, eine junge Frau auf dem Weg zu einer Beerdigung, zwei lesbische Punks und zwei Camper-Familien mit sanft aufbegehrendem Nachwuchs...

    Wie bei seinem Erstling „Les Petits ruisseaux" von 2010 verfilmte Rabaté mit „Holidays by the sea" wieder eine eigene Comic-Vorlage. Da ist es vielleicht so etwas wie ein kleiner Befreiungsschlag, wenn er gleich zu Beginn als Ausgangspunkt einer sehr turbulenten Hatz einen Holzdrachen Haken am Himmel schlagen, ihn auf einer Brise davontragen, im Wind flattern und seinen verzierten Schwanz hinter ihm herwedeln lässt – eine so verspielte Bewegung ist in einem oder mehreren Comic-Panels kaum so komplex wiederzugeben wie hier im Film. Rabaté macht daraus dann auch prompt eine inszenatorische Maxime – der ganze Witz von „Holidays by the Sea", der ja ohne Sprache auskommt, muss also entstehen aus der Bewegung der Figuren in deren vorgefundener oder selbst geschaffener Umgebung. Der Bildaufbau, das versteht sich bei einem Künstler mit einem solch ausgeprägten Auge für das Skurrile von selbst, ist dabei stets möglichst ungewöhnlich und originell.

    Die zwei Punkerinnen, die im Sand schlafen, sich da hinein aber eine Wohnung mit Schlafzimmer, Bad, Küche zeichnen; die Spätfolgen eines Sturms, der alle Wohnwagen um neunzig Grad gekippt hat; das winzige Häuschen, in welches das alte Ehepaar sich mit doch eher massigen Körpern hineinzwängen muss – auch die eher statischen Kompositionen lädt Rabaté mit einem Sinn mal fürs Absurde, mal fürs Menschlich-Sympathische auf. Manches Tableau – etwa das zum FKK-Strand - leidet ein wenig zu sehr unter dem exklusiven Zwang zur Bedeutung, da wird die Figurenzeichnung zuweilen unter diesem oder jenem ach so spaßigen Einfall verschüttet. Dabei gehören die zwei Unbehausten zu den wenigen Figuren, mit denen Rabaté von Beginn an vollständig sympathisiert. Die meisten anderen, all die nervigen, kindischen, spießigen, proletenhaften Urlauber müssen erst einmal von ihrer bürgerlichen Verstocktheit geläutert werden – wenn Rabaté es ihnen jeweils gönnt. Mit Sex hat das zwar auch immer wieder zu tun, dennoch ist „Holidays by the Sea" kein erotischer oder gar verführerischer Film – und das unterscheidet ihn dann doch gewaltig von seinem großen Vorbild aus den 50ern.

    Fazit: „Holidays by the Sea" ist eine inhaltlich überwiegend triviale Ensemble-Komödie, die aufgrund ihres hochinteressanten Stils aber dennoch sehenswert ist.

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