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    Argo
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Argo
    Von Carsten Baumgardt

    Wer erfahren will, was amerikanische Regierungsbehörden wirklich über die Ermordung des 35. US-Präsidenten John F. Kennedy am 22. November 1963 wissen, muss sich noch einige weitere Jahre in Geduld üben. Erst 2017 sollen Tausende von wichtigen Dokumenten von der CIA für die Öffentlichkeit freigegeben werden. Was nach der Geiselnahme von 52 Menschen in der US-Botschaft in Teheran am 4. November 1979 mitten in der iranischen Revolution tatsächlich geschah, erfuhr die Welt dagegen „schon" 1997, als der US-Geheimdienst die bis dahin unter Verschluss gehaltenen Akten öffnete und eine unglaubliche Geschichte ans Licht kam. Hollywoodstar Ben Affleck, der sich durch seine beiden superben Thriller „Gone Baby Gone" und „The Town" bereits einen hervorragenden Ruf als Regisseur erarbeitet hat, erzählt in seiner dritten eigenen Inszenierung von diesen wahren Begebenheiten. Aus der abenteuerlichen Farce um die Rettung von sechs Amerikanern, die sich heimlich aus der Botschaft absetzen konnten, macht er in „Argo" einen hochspannenden Thriller, den er an den richtigen Stellen sogar mit offenem Humor garniert: die perfekte Mischung aus ambitionierter Aufbereitung von Zeitgeschichte und kurzweiliger Unterhaltung.

    Iran 1979: Der islamische Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini stürzt den regierenden Schah Mohammad Reza Pahlavi. Die Monachie wird von der Herrschaft einer radikalen Geistlichkeit abgelöst, die sich im Besonderen gegen die „gottlose westliche Welt" richtet. Als der abgesetzte Schah in New York seine Krebskrankheit behandeln lässt, stachelt Chomeini die antiamerikanische Stimmung im Iran an. Am 4. November stürmen wütende Studenten die US-Botschaft in Teheran und nehmen mehr als 50 Geiseln. In dem Tumult können jedoch sechs Amerikaner (Clea DuVall, Tate Donovan, Scoot McNairy, Rory Cochrane, Christopher Denham und Kerry Bishé) fliehen und in der kanadischen Vertretung unterschlüpfen, wo der Botschafter Taylor (Victor Garber) sie versteckt. Doch lässt sich ihre Anwesenheit dort nur schwer geheim halten, bei der CIA herrscht Ratlosigkeit über das weitere Vorgehen. Schließlich bringt der Agent Tony Mendez (Ben Affleck) einen scheinbar absurden Plan vor: Er will die sechs Eingeschlossenen als kanadische Mitarbeiter einer Filmproduktion ausgeben, die im Iran nach geeigneten Drehorten für ein Science-Fiction-Projekt namens „Argo" suchen, und so getarnt vor den Augen der Behörden außer Landes bringen. Mendez heuert den Produzenten Lester Siegel (Alan Arkin) und den Make-Up-Spezialisten John Chambers (John Goodman) an, die für die nötige Glaubwürdigkeit selbst in Hollywood sorgen sollen. Der Plan bekommt grünes Licht...

    „Argo" entspringt nicht etwa dem mit dem Arabischen Frühling seit Ende 2010 neu entfachten Interesse an der Region, da war das Drehbuch von Chris Terrio schon längst im Umlauf und Regisseur Ben Affleck hatte sich der Umsetzung angenommen. Das kreative Duo bezieht sich auf den 2007er Wired-Artikel „The Great Escape" von Journalist Joshuah Bearman und auf die Autobiografie „The Master Of Disguise: My Secret Life In The CIA" des echten Antonio J. Mendez. Der fertige Film ist dann auch weniger ein Kommentar zur Weltlage als eine gekonnt aufbereitete Chronik unglaublicher wahrer Ereignisse im Thriller-Gewand. Affleck hat das politisch brisante Thema in jeder Sekunde unter Kontrolle, packt seine Zuschauer emotional und treibt die Spannung im letzten Drittel bis an die Grenze zur Unerträglichkeit. Dabei kommt auch der Humor nicht zu kurz, denn die Geschichte ist oft so skurril und absurd, dass sie, wenn sie dem Hirn eines Drehbuchautors und nicht der historischen Wirklichkeit entstammte, als nicht ansatzweise glaubhafte Räuberpistole abgetan würde.

    Afflecks brillante Inszenierung atmet das Zeitkolorit der späten 70er und frühen 80er Jahre, die Bilder von Kameramann Rodrigo Prieto („Wasser für die Elefanten", „Biutiful") sind elektrisierend. Der schwierige Spagat zwischen anspruchsvollem Thriller und kurzweilig-spannendem Entertainment gelingt hervorragend, der Film gerät nie aus der Balance. Affleck vermittelt die politischen und historischen Fakten und Hintergründe, ohne in die Gefilde des drögen Thesen-Kinos abzudriften, so ist die teils animierte Collage zu Filmbeginn, mit der er uns kurz und knackig über die Ausgangssituation im Iran des Jahres 1979 informiert, ebenso elegant wie clever. Die Stürmung der US-Botschaft inszeniert Affleck dann griffig und nah am Geschehen: Die Spannung, die über der Szenerie liegt, ist physisch spürbar. In der kühnen Nebenhandlung um das Hollywood-Team wiederum, das den vermeintlichen Science-Fiction-Film „Argo" produzieren soll, feuert er dann krachende satirische Breitseiten gegen das „bullshit business" in Hollywood, die USA im Allgemeinen und die CIA im Besonderen („Terrororganisation") ab. „Argo" ist ebenso unterhaltsam wie intelligent: Vergleiche mit klassischen Polit-Thrillern aus den 70ern wie „Die Unbestechlichen" und „Die drei Tage des Condor" sind nicht abwegig, dazu kommt hier noch eine Prise „Wag the Dog".

    Als Sympathieträger rückt Affleck nicht etwa die Geiseln, sondern ihren potenziellen Befreier, den von ihm selbst verkörperten CIA-Agenten Tony Mendez, ins Zentrum der Handlung. Über die gesamte Spielzeit verzieht er als stoisches und engagiertes Geheimdienst-Superhirn kaum eine Miene. Die Emotionen brechen auch in Extremsituationen nie aus ihm heraus, aber trotz allem Understatement zeigt sich in Afflecks fein nuanciertem Spiel auch die Anspannung: Mendez hat eine Mission und verfolgt diese aufopferungsvoll – er legt sogar sein eigenes Leben in die Waagschale. Dafür bringt er sich gern mit einem Whiskey auf Betriebstemperatur, der Mann mit den scheinbar so stahlharten Nerven bewegt sich hart am Rand des Alkoholismus. Solche Untiefen vermittelt Affleck ganz beiläufig und unaufgeregt. „Argo" steckt voll mit solchen sprechenden Details, auch die perfekte Ausstattung ist mehr als nur historisch akkurates Dekor - hier sitzt jede breite Krawatte und jede große Spiegelsonnenbrille an der richtigen Stelle.

    Affleck mag als Hauptdarsteller im Mittelpunkt stehen, aber er ist als Regisseur schlau genug, auf die Ensemble-Leistung zu setzen und hat hervorragende Mitstreiter für die Nebenrollen engagiert. Das Hollywood-Duo John Goodman („The Big Lebowski") und Alan Arkin („Little Miss Sunshine") kitzelt aus seinen saftigen Parts alles heraus und glänzt mit extravaganten Darbietungen, die den feinen, zuweilen zynischen Humor des Films freisetzen. Auch Bryan Cranston („Drive", „Breaking Bad") hat als Tony Mendez‘ bedingungslos schützender Vorgesetzter Jack O'Donnell einige tolle, kleine Momente. Mit Hilfe dieser überzeugenden Darstellerriege gelingt es Affleck, den Betrachter über die gesamte Dauer des Films mitfiebern zu lassen. Die Perspektive ist dazu bewusst weitgehend auf die amerikanische Seite des Geschehens beschränkt, die iranischen Widersacher bleiben mehr oder weniger gesichtslos, ohne dass ihr Verhalten pauschal verurteilt würde. „Argo" ist bis zum Ende packend, da bleibt es eine Fußnote, dass Ben Affleck im Finale die tatsächlichen Fakten dramaturgisch auffrisiert und die Spannung etwas plakativ bis zum Bersten auskostet.

    Fazit: Mit „Argo" setzt Ben Affleck nach wahren Geschehnissen einen unglaublich packenden psychologischen Polit-Thriller mit satirischem Unterton in Szene. Brillant!

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