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    Die Piroge
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Piroge
    Von Michael Meyns

    Europäischen Medien sind Bootsflüchtlinge aus Afrika kaum noch eine Meldung wert. Mit schöner Regelmäßigkeit werden zwar Boote mit dutzenden Flüchtlingen an den europäischen Außengrenzen gestoppt, doch in der hiesigen Wahrnehmung ist der verzweifelte Versuch vieler Afrikaner, in Europa ein vermeintlich besseres Leben zu finden, ein Problem von vorgestern. Mit seinem Drama „Die Piroge“ beschreibt der senegalesische Regisseur Moussa Touré nun nicht nur die Beweggründe, eine solch lebensgefährliche Flucht auf sich zu nehmen, sondern deutet auch die ambivalente Haltung der Schlepper sowie der afrikanischen Regierungen an und schafft es, in einem klaustrophobischen Setting (weite Teile seines Films spielen im Rumpf des Bootes) ein umfassend-differenziertes Bild von Träumen und Nöten einer ganzen Generation zu entwerfen.

    Baya Laye (Souleymane Seye Ndiaye) lebt in einem Vorort der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Mit Frau und Kind bewohnt er ein kleines Haus, verdient genug zum Leben und kümmert sich auch noch um seinen kleineren Bruder Abou (Malamine Dramé). Dieser träumt wie so viele junge Menschen des westafrikanischen Staates davon, irgendwie nach Europa zu gelangen, um dort das Leben zu führen, dass ihm in seiner Heimat versagt bleibt. Gegen Baya Layes Willen hat Abou eine Passage in der Piroge (einer Art überdimensioniertem, offenem Ruderboot mit Außenbordmotor) des Schleppers Lansana (Laity Fall) gebucht und nötigt seinen Bruder so quasi dazu, ein Angebot der Schlepperbande anzunehmen: Als Kapitän soll der erfahrene Fischer Baya Laye das Boot an der afrikanischen Küste entlang bis nach Spanien führen. Widerwillig nimmt Baya Laye den Job an, wohlwissend, dass die Fahrt voller Hindernisse sein wird und schon viele Flüchtlinge bei dem Versuch, das gelobte Land zu erreichen, ums Leben gekommen sind…

    Am Ende des Films informiert eine Schrifttafel über die nackten Zahlen: Allein zwischen 2005 und 2010 haben 30.000 Afrikaner versucht, per Boot Europa zu erreichen – 5.000 von ihnen sind dabei umgekommen. Das Ziel ist eine Welt, die so nur in den Medien und den beschönigenden Berichten jener, die es geschafft haben, existiert: ein Kontinent, in dem es genug Arbeit für alle gibt, das Geld quasi auf der Straße liegt. Und so kratzen Familien oft ihr letztes Hab und Gut zusammen, verkaufen das Wenige, das sie noch besitzen, um einem meist jungen Familienmitglied die lange, beschwerliche und gefährliche Reise nach Europa zu ermöglichen. Die Logik dabei ist schmerzhaft: Selbst wenn das Leben in Europa nicht einfach ist – es ist immer noch besser als in Afrika! Welche Folgen dieser Exodus hat, war für den durch seinen vorherigen Film „TGV Express“ auch in Europa bekannt gewordenen Regisseur Moussa Touré Anlass für „Die Piroge“, dem dadurch - kaum überraschend - auch etwas Thesenhaftes anhaftet.

    Schon die Zusammensetzung der Bootsgemeinschaft spiegelt viele Facetten der senegalesischen Gesellschaft wider: Da gibt es Muslime, Christen sowie Mitglieder verschiedener Volksgruppen, es finden sich Idealisten ebenso wie Zyniker - und eine Frau. Dass diese sich an Bord befindet, nachdem sie sich zuvor als blinder Passagier eingeschmuggelt hat, ist der dramaturgisch interessanteste Aspekt, schließlich stehen in der Regel ausschließlich Männer im Mittelpunkt afrikanischer Flüchtlingsgeschichten. Touré charakterisiert die diversen Figuren nur kurz, denen deshalb stets etwas Skizzenhaftes anwohnt. Ähnlich bruchstückhaft ist auch die Erzählung, in der die Bootsfahrt schnell zum Himmelfahrtskommando mutiert.

    So schematisch Dramaturgie und Figuren bisweilen auch anmuten - die Bilder sind absolut mitreißend: Ganz dicht gehen Touré und sein französischer Kameramann Thomas Letellier („Point Blank - Bedrohung im Schatten“) an die Gesichter der Flüchtlinge, fangen Texturen und Emotionen ein, die oft mehr erzählen als die Geschichte selbst. Besonders eindrucksvoll sind auch die semi-dokumentarischen Aufnahmen von den Lutte Senegalaise, traditionellen Ringkämpfen, die von komplizierten Beschwörungszeremonien begleitet werden und einen Eindruck in den tief sitzenden Aberglauben eines Landes gewähren, in dem das Schicksal allzu oft einer höheren Existenz anvertraut wird. Wie wenig Verlass auf diese ist - auch das wird im Verlauf von „Die Piroge“ schmerzhaft deutlich.

    Fazit: Während die Geschichte arg didaktisch gerät, überzeugt Moussa Tourés „Die Piroge“ vor allem durch stimmungsvolle Bilder und eine emotionale Geschichte, die dem hoffnungsfrohem Blick vieler afrikanischer Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa eine düsterere, aber damit auch realistischere Sicht entgegenstellt.

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