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    Harodim - Nichts als die Wahrheit?
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Harodim - Nichts als die Wahrheit?
    Von Robert Cherkowski

    Der Autor Gore Vidal sagte einmal: „Verschwörungstheorie ist heutzutage offenbar ein Synonym für unaussprechliche Wahrheiten". Nach dem 11. September 2001 wurden alle Zweifler an der offiziellen Version der Ereignisse zu Spinnern oder Terror-Sympathisanten erklärt. Die Hardliner innerhalb der US-Regierung glaubten schnell, den Schuldigen gefunden zu haben und begannen Kriege, was wiederum im „alten Europa" auf deutlich geringere Begeisterung stieß als in Amerika. Zweifel und Skepsis, die sich in Dokumentationen wie „Loose Change", „Zeitgeist" oder „Fahrenheit 911" genauso wie in zahlreichen Büchern niederschlugen, sind indes auch nach dem Tod von Osama Bin Laden auf beiden Seiten des Atlantiks lebendig. Auf genau dieses Unbehagen, das allerlei Verschwörungsphantasien von geheimdienstlichen „Inside Jobs" und ähnlichem befördert, setzt nun auch Regisseur Paul Finelli mit seinem Thesenthriller „Harodim – Nichts als die Wahrheit?". Er fügt das gängige Konspirationsmaterial zu einem kompakten, allerdings nicht sehr stilsicher gestalteten und holprig erzählten Kino-Theater-Stück zusammen.

    Seit sein Vater Solomon Fell (Peter Fonda), ein hochdekorierter Geheimdienst-Lenker, bei den Anschlägen des 11. September ums Leben kam und die Nation sich in zahlreiche internationale Interventionen gegen den Terror verstrickte, kämpfte der Geheimdienstler Lazarus Fell (Travis Fimmel) an vielen Fronten und jagte den Drahtzieher der Attentate rund um den Globus. Jetzt sitzt der namenlos bleibende Terrorist (Michael Desante) in einem Verlies in Österreich vor ihm und ähnelt so gar nicht den bärtigen Fanatikern aus dem Fernsehen. Vielmehr wirkt er wie ein artikulierter, geschniegelter Intellektueller und erzählt dem einseitig informierten Lazarus seine eigene Version der Geschichte rund um die Anschläge auf das World Trade Center und den Krieg gegen den Terror. Zunehmend gerät Lazarus' sauber in Gut und Böse aufgeteilte Weltsicht ins Wanken. Als sich schließlich herausstellt, dass Lazarus Vater gar nicht tot, sondern sehr lebendig und obendrein höchst zwielichtig ist, spitzt sich die ohnehin schon angespannte Situation weiter zu...

    In Interviews betont Regisseur Finelli immer wieder, wie schwer es war, sein Politdrama finanziert zu bekommen. Niemand wollte das Projekt anfassen. Das glaubt man gern. Ob es jedoch wirklich die politische Brisanz und die vermeintliche Sprengkraft des Stoffes waren, die zu den zahlreichen Ablehnungen führten, oder doch eher das hölzerne Drehbuch, steht auf einem anderen Blatt. Nach einer schnell und im Stile eines Musikvideos geschnittenen Eröffnung, in der die einstürzenden Türme des World Trade Centers und der in martialischer Soldatenkluft durch unterirdische Katakomben schleichende Lazarus parallel montiert werden, wechselt Finelli sehr bald die Tonart. Fortan offenbart sich „Harodim" als ein von Dialogen getragenes Kammerspiel, das über weite Strecken aus dem Rededuell zwischen dem Terroristen und Lazarus besteht.

    Nach einem kurzen Geplänkel über Folter und Gehirnwäsche macht sich der Gefangene daran, die auf Schwarz-Weiß-Denken basierende Weltsicht seines Wärters durcheinanderzuwirbeln. Nur durch gelegentliche (und nicht gerade clevere) Zwischenfragen Fells unterbrochen, monologisiert der Spross einer einflussreichen saudischen Familie über seinen Werdegang vom pro-westlichen Freiheitskämpfer in Afghanistan bis hin zu seiner aktuellen Rolle als Boogeyman der Weltgeschichte. Seine Beteiligung an den Anschlägen aufs World Trade Center streitet er ab und schwadroniert über den militärisch-industriellen Komplex, den Irakkrieg, die USA als Oligarchie, religiösen Fanatismus und die Medienmaschinerie, die Islamophobie und Kriegslüsternheit in aller Welt befeuere. Mit seinen Ausführungen wird er bei vielen Zuschauern gerade in Europa vorwiegend offene Türen einrennen, dennoch sind seine Tiraden in einzelnen Momenten durchaus interessant, wenn er etwa den fanatischen Hass seiner Mitstreiter mit den Worten „Was erwartet ihr? Es sind nun mal Fanatiker!" erklärt oder den lotterhaften Lebensstil der westlichen Welt zwar als ekelhaft, doch keineswegs als Grund für islamischen Amerika-Hass bezeichnet. Dieser Hass, so sagt er, basiere eher auf den zahlreichen Kriegen, die Uncle Sam dem arabischen Raum beschert hat. In solchen Momenten ist „Harodim" sogar richtig clever und gewitzt. Leider ist er dies aber viel zu selten.

    Dem Regie-Debütanten Finelli fällt es schwer, die Beschränkung auf einen Raum und die ausufernden Dialoge filmisch interessant zu gestalten. Er greift stattdessen auf allerlei inszenatorische Taschenspielertricks zurück, ein häufig wiederkehrendes Stilmittel sind dabei schnell geschnittene Einblendungen aus Archivmaterial und Nachrichtensendungen, die die Thesen des Dialogs untermalen. Damit hat Finelli es jedoch ein wenig zu gut gemeint, so dass nahezu jeder zweite Satz mit einem aufpeitschenden Montage-Fetzen versehen wird. In dieser geballten Form wirken diese hektischen Einschübe jedoch eher ermüdend als aufrüttelnd. Ähnlich durchwachsen sind auch die schauspielerischen Leistungen. Michael Desante („Sleeper Cell", „The Hurt Locker") kämpft sich als namenloser Terrorist tapfer durch Berge an Text. Er trägt das ihm in den Mund gelegte polemisch-spekulative Pamphlet ruhig und artikuliert vor, seine Figur bleibt aber zu unterentwickelt, als dass ihr Schicksal berühren würde.

    Wenn die bis dahin sehr sachlich geführte Argumentationskette durch das Auftauchen von „Easy Rider"-Veteran Peter Fonda als Lazarus' verstorben geglaubter, doch in Wahrheit strippenziehender Vater immer bizarrere Züge annimmt, ist der erzählerische Bogen überspannt. Zum einen gerät auch Fondas Auftritt in erster Linie zu einem lang geratenen Monolog, bei dem Desante plötzlich schweigend daneben steht, zum anderen wird die Geschichte auf einmal zum Vater-Sohn-Konflikt. Plötzlich geht es hier um die „Generation 9/11", die sich genötigt sieht, den eingeschlagenen Weg fortzuschreiten und keine Fragen zu stellen. Durch die wenig überzeugend ausgearbeitete und dargestellte Lazarus-Figur, die nur reagiert und Fragen stellt, bleibt dieser Konflikt jedoch wenig greifbar. Die Rolle des zu allem entschlossenen Soldaten vermag Travis Fimmel („Needle", „The Experiment") jedenfalls nicht mit Leben zu füllen.

    Fazit: „Harodim" ist ein naiver und didaktischer, aber engagierter Thesenfilm, der für Fans von Verschwörungstheorien sicherlich interessant ist, filmisch und konzeptionell jedoch ziemlich fahrig ausfällt.

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