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    Teaches Of Peaches
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Teaches Of Peaches

    Fuck The Pain Away

    Von Kamil Moll

    Zu Beginn des Dokumentarfilms „Teaches Of Peaches“ sieht man die kanadische Musikerin Merrill Nisker, wie sie Mitte der Neunzigerjahre in einer christlichen Betreuungsstätte mit Kindern an der akustischen Gitarre spielt. In diesen Bildern ist noch nicht zu erahnen, was für eine bedeutende popkulturelle Figur sie nur kurze Zeit später werden sollte. Bekannt wurde Nisker um die Jahrtausendwende unter dem Kunstnamen Peaches – und indem der Film diese Veränderung anhand von Archivmaterialien bebildert, demonstriert er implizit auch, wie sehr diese Transformation ein selbstbestimmter, sich selbst neu erfindender Akt in jeglicher Hinsicht war. Als Geburtshelferin dienten dabei die große Jazzsängerin Nina Simone und ihr Song „Four Women“: Die Art, wie Simone darin als letzte Zeile „My Name Is Peaches“ nicht mehr singt, sondern geradezu herausschreit, gab der Künstlerin ihren neuen, selbst gewählten Namen.

    Formativ für das künstlerische Werk von Peaches bleibt bis heute ihr erstes Album, „The Teaches Of Peaches“ von 2000. Dessen Entstehung und Bedeutung nähert sich die Doku aus zwei verschiedenen Blickwinkeln an: Archivmaterial und Zeitzeug*innen berichten einerseits, wie es damals war. Eine Jubiläumstour zu Ehren des Albums im Jahre 2022 zeigt, wie die Musik bis heute weiterlebt. Eine „wilde, kindliche, punkige Unbekümmertheit“ sei es gewesen, so erzählt der jahrelange musikalische Weggefährte Chilly Gonzales, die Peaches und ihn Ende der Neunziger aus der Rockszene von Toronto in die elektronische Szene von Berlin getrieben habe. Dabei sei es erst mal nicht so sehr darum gegangen, sich musikalisch weiterzuentwickeln, als zunächst einmal überhaupt jegliche Art von Hemmungen ablegen zu können.

    farbfilm verleih
    Die Jubiläumstour wird 2022 ein voller Erfolg!

    Die Vermischung aus queerer Technokultur und DIY-Punkaggression fand zu diesem Zeitpunkt einen unmittelbaren (wenngleich auch eher kurzlebigen) Ausdruck im Electroclash-Genre, das Peaches als Musikerin und Stilikone maßgeblich prägen sollte: Mit dem längst legendär gewordenen digitalen Synthesizer Roland 505 nahm sie explizite, sexpositive Songs auf, deren konfrontativ-hedonistische Texte eine direkte musikalische Entsprechung im primitiven Keyboard-Sound aus ätzend-schneidiger Basslinie und zischendem Snare-Drums-Klackern fanden.

    Die befreiende, auch durchaus emanzipatorische Wirkung, die diese Aufnahmen und der Style von Peaches (die pinken, aufgeknüpften Hot Pants sind bis heute ikonisch geblieben) schnell entfalteten, beschränkte sich schon bald nicht mehr nur auf die Musikszene Berlins. In der Wahl der Künstler*innen, die zu Wort kommen, bleibt die Doku von Philipp Fussenegger und Judy Landkammer gleichwohl stets intim im Kreis der privaten und musikalischen Vertrauten von Peaches. Bewusst verzichtet wird hingegen auf Zitate von populäreren Künstlern wie Iggy Pop, mit denen sie ebenfalls zusammengearbeitet hat.

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    Interview in der Badewanne: Um die Jahrtausendwende wurde Peaches nicht nur innerhalb der Punkszene zur Popkultur-Ikone.

    Einen besonderen Schwerpunkt legt der Film mit Recht auf den Song, der Peaches bekannt gemacht hat und der bis heute ihr bekanntester geblieben ist, obwohl er nicht als Single veröffentlicht wurde und deswegen kein Radio- und TV-Airplay bekam: „Fuck The Pain Away“ entstand nicht im Studio, sondern wurde durch Zufall (eine Tontechnikerin ließ eine Kassette mitlaufen) bei einem Auftritt im kanadischen Club „The Rivoli“ live vom Mischpult mitgeschnitten. Die Energie der Aufnahme und die rohe Unmittelbarkeit sind es, die das Lied verbunden mit den zitat- und anspielungsreichen Lyrics (die Eröffnungszeile „Suckin‘ On My Titties Like You Wanted Me“ belehnt ein 80er-Jahre-Lied von Rocksängerin Pat Benatar) auch weit über die Electroclash-Szene hinaus populär machten und sogar eine Szene in Sofia Coppolas „Lost In Translation“ untermalten.

    Der Blick zurück auf das erste Peaches-Album ineinander geblendet mit den Jubiläumsfeierlichkeiten zu Ehren dieser Pioniertat: Anhand dieser beiden Orientierungspunkte erzählt und erklärt die Doku das Schaffen der Künstlerin. Nahezu ignoriert wird dabei jedoch der 20-jährige Zeitraum dazwischen – als Musikerin ist Peaches heute, so scheint der Film zeigen zu wollen, jemand, die fruchtbar das wieder aufzuführen versteht, womit sie die Popkultur der Jahrtausendwende maßgeblich geprägt hat. Auch die Talking Heads sprechen insbesondere von der radikalen Wirkung, die das Album beim Erscheinen besaß, kaum davon, worin dessen Einfluss heute liegen könnte.

    So ist „Teaches Of Peaches“ ein wohliges, etwas konservativ geratenes Erinnerungsstück für jene, die damals vor über 20 Jahren dabei gewesen sind, als Peaches in ihrer Mischung aus punkifizierter Elektromusik und Performancekunst für einige Zeit Clubkultur und Musikfernsehen in Brand setzte. Für neue Fans wird der Film so allerdings eher nicht sorgen.

    Fazit: Halb nostalgische Erinnerungsarbeit, halb kurzweilige Tourbegleitung – in dieser Mischung ist die Doku „Teaches Of Peaches“ zwar ein recht informativ, aber auch reichlich brav geratenes Porträt einer konfrontativen Künstlerin, die einen radikaleren Film verdient hätte.

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