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    The Better Angels
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    The Better Angels
    Von Andreas Staben

    Abraham Lincoln ist „in“ – jedenfalls in Hollywood. Nachdem Steven Spielberg mit „Lincoln“ dem Politiker ein mit zwei Oscars ausgezeichnetes filmisches Denkmal errichtete und Timur Bekmambetov den 16. Präsidenten der USA in „Abraham Lincoln Vampirjäger“ zum axtschwingenden Actionhelden stilisierte, schreibt jetzt auch der junge Debütregisseur A.J. Edwards mit an der Leinwand-Legende Lincoln. In „The Better Angels“ widmet er sich der Kindheit des späteren Staatsmannes und zeigt ihn uns als ruhigen, aufmerksamen, prinzipientreuen, intelligenten und hartnäckigen Jungen, der für große Dinge bestimmt ist. Dabei folgt Edwards nicht der episodischen Struktur der meisten Biopics, sondern wendet die assoziative Erzählweise seines Mentors und Co-Produzenten Terrence Malick an, bei dessen Filmen „The Tree Of Life“, „To The Wonder“ und „Knight Of Cups“ er als Second-Unit-Regisseur oder Co-Cutter in die Lehre gegangen war. So entstand ein Reigen impressionistischer Schwarz-Weiß-Bilder vom Leben im ländlichen Indiana im frühen 19. Jahrhundert, die vor allem vom nicht immer erfolgreichen Bemühen um stimmungsvoll-poetische Wirkungen nach Art des überdeutlichen Vorbilds Malick geprägt sind. Gleichwohl gelingen Edwards in seinem eigenwilligen historischen Drama einzelne Szenen von großer Eindringlichkeit und Unmittelbarkeit.

    Um 1817 betreibt Tom Lincoln (Jason Clarke) irgendwo im ländlichen Indiana eine abgeschiedene Farm. Er lebt mit seiner Frau Nancy (Brit Marling), dem achtjährigen Sohn Abe (Braydon Denney) und der zwei Jahre älteren Tochter Sarah (McKenzie Blankenship) in einer bescheidenen Hütte. Das Leben der Familie ist hart und nimmt eine Wendung ins Katastrophale als zunächst das Vieh von einer mysteriösen Seuche dahingerafft wird und anschließend auch Nancy krank wird und stirbt. Tom beschließt, die Kinder zurückzulassen und nach Kentucky zu reiten. Von dort kommt er nach längerer Abwesenheit mit seiner neuen Frau, der ebenfalls verwitweten Sarah (Diane Kruger), und deren drei Kindern zurück. Die nun vergrößerte Familie richtet sich so gut es geht im engen Haus der Lincolns ein und Sarah bemüht sich sehr darum, auch Toms Kindern eine gute Mutter zu sein. Abe hat sich unterdessen selbst das Lesen und Schreiben beigebracht und vertieft sich am liebsten in seine Bücher. Auch Mr. Crawford (Wes Bentley), ein Lehrer aus der Gegend, erkennt das Potenzial des Jungen und möchte, dass Abe die Schule besucht.

    „The Better Angels“ ist kein biografisches Drama im üblichen Sinne. Größere historische Zusammenhänge bleiben ebenso ausgespart wie das Innenleben der Protagonisten, über weite Strecken fällt es sogar schwer, die einzelnen Personen zu identifizieren oder zeitliche Zusammenhänge herzustellen. Nach einem kurzen Prolog mit feierlichen (Gegenwarts-)Bildern des wuchtigen Lincoln Memorials in Washington D.C. tauchen Regisseur Edwards und sein Kameramann Matthew J. Lloyd („Robot & Frank“) ganz nach Art von Terrence Malick förmlich in die Felder und Flüsse, Wiesen und Wälder Indianas ein (gedreht wurde im Mohonk-Naturschutzgebiete in den Appalachen im Staat New York). Von klassischer Musik unterlegte Impressionen vom Wind in den Baumdächern und vom ruhigen Fließen des Wassers sind mit Aufnahmen vom Familienleben kombiniert, die zugleich zufällig und überaus sorgfältig arrangiert wirken. Eine erzählerische Struktur ist dabei nur in ganz groben Zügen erkennbar, nur selten kommt es zu so etwas wie Handlung (eine Episode, in der Abe bestraft wird, erhält ein spätes Echo, wenn er in einem anderen Fall die Schuld freiwillig auf sich nimmt) und auch Dialoge gibt es kaum.

    Etwas Orientierung bietet der Voice-Over-Kommentar von Abraham Lincolns Cousin Dennis Hanks (Cameron Mitchell Williams), der über längere Zeit mit der Familie gelebt hat und von dem ein historisches Interview über den späteren Präsidenten überliefert ist. Doch dessen Worte sind hier eher blumig-bilderreich als faktengetränkt – auch in diesem Punkt ist Edwards sehr nahe bei Malick. Viele Szenen erinnern direkt an dessen Filme – wenn die tänzelnde Brit Marling („The East“) von der Kamera umkreist wird, dann lässt das an die Art denken, wie Jessica Chastain in „The Tree Of Life“ oder Olga Kurylenko in „To The Wonder“ gefilmt wurden und wenn die Kinder zu Dvoraks Symphonie „Aus der Neuen Welt“ auf der Wiese herumtollen, dann sind Malicks Visionen von Familienidyllen nicht weit. Die poetische Kraft von dessen Filmen erreicht Edwards indes nicht, dafür fehlt „The Better Angels“ die motivische Dichte, der kosmische Weltentwurf und letztlich die Eigenständigkeit – so verfehlt er auch in einer Szene, in der zu feierlicher Musik von Anton Bruckner oder Richard Wagner ein Nebelhauch in die Hütte weht und den Tod der Mutter symbolisiert, die offensichtlich angestrebte transzendentale Wirkung.

    Der Junge Abraham gerät bei Edwards‘ Erzählweise zuweilen sehr an den Rand, aber die Legende Lincoln steht stets im Zentrum des Films. Nur sie ist der Grund für diesen Blick in eine selten zu sehende Welt von Armut und Abgeschiedenheit und wenn der anfängliche Sprung vom imposanten Denkmal in die obskuren Wälder zunächst wie ein Fragezeichen wirkt (Wie kommt ein Junge von dort an die Spitze des Landes?), erscheint er im Verlauf des Films vielmehr wie ein Ausrufezeichen (In diesem Amerika kann es ein außergewöhnlicher Bube auch unter den schwierigsten Umständen schaffen!). Der Junge selbst sagt wenig, aber er ist aufgeweckt, fleißig und bescheiden. Er schreckt vor harter Arbeit und Ringkämpfen nicht zurück, steckt seine Nase jedoch lieber in „The Pilgrim’s Progress“ oder „Robinson Crusoe“. Dazu beschwören die Eltern und der Lehrer immer wieder seine Besonderheit. Wenn der strenge Vater auf einmal zu Abe sagt: „You’re twice the man I am“, dann ist das nicht etwa zwingend aus der Handlung heraus entwickelt, sondern eine gezielte erzählerische Zuspitzung, die Zuschreibung einer Erkenntnis von historischer Notwendigkeit. So feiert Edwards am Ende zugleich den einfachen Jungen und die überlebensgroße historische Figur -  und verhehlt die rätselhafte Differenz zwischen ihnen nicht.

    Fazit: Regisseur A.J. Edwards ist beim Kino-Poeten Terrence Malick in die Lehre gegangen, das ist seinem ebenso sinnlich-assoziativen Drama über die Kindheit von Abraham Lincoln allzu deutlich anzusehen.

    Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2014. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 64. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.

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