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    Die Frau des Polizisten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Die Frau des Polizisten
    Von Christian Horn

    Erst nach etwa einer Stunde Laufzeit offenbart das überlange Arthouse-Drama „Die Frau des Polizisten“ seine eigentliche Stoßrichtung: Ein unerwarteter Ausbruch stellt klar, dass Philip Gröning („Die große Stille“) das sensible Thema häusliche Gewalt angeht. Die komplexe Thematik verpackt der Regisseur, der für seinen Film im Wettbewerb von Venedig 2013 den Spezialpreis der Jury erhielt, in ein radikales, fast schon experimentelles Kinoerlebnis. Auf den ersten Blick erinnert „Die Frau des Polizisten“ an das Beziehungsdrama „Gegenüber“ mit Matthias Brandt und Victoria Trauttmansdorff, doch während Jan Bonny dort eine geradlinige Geschichte erzählt, lässt Gröning hier etliche Fragen offen – sein rätselhaftes Mosaik hat dafür nicht nur seinen ganz eigenen Reiz, sondern überzeugt auch als selbstreflexive Stilübung, dürfte zugleich aber auch die Geduld einiger Zuschauer überstrapazieren.  

    Eine namenlose deutsche Kleinstadt: Der Streifenpolizist Uwe (David Zimmerschied) und seine Frau Christine (Alexandra Finder) leben mit der fünfjährigen Tochter Clara (Pia und Chiara Kleemann) im eigenen Reihenhaus. Auf den ersten Blick scheint alles ganz „normal“ zu sein: Der Vater verrichtet seinen Schichtdienst, die Mutter kümmert sich um das Kind. Der aus verschiedenen Quellen gespeiste Frust Uwes entlädt sich jedoch regelmäßig in heftigen Gewaltattacken gegen seine Frau. Christine erduldet die Schläge ohne große Gegenwehr, um die heile Welt der kleinen Clara aufrechtzuerhalten, doch die fragile Dreiecksbeziehung zwischen Vater, Mutter und Kind ist längst zerbrochen.

    Der Regisseur, Drehbuchautor und Kameramann Philip Gröning teilt seinen Film in 59 Einheiten auf, die er Kapitel nennt und die jeweils durch Texttafeln der Art „Kapitel 1 Ende“ und „Kapitel 2 Anfang“ voneinander geschieden sind. Die einzelnen Kapitel beziehungsweise Szenen beinhalten oft nur kurze Einschübe und folgen weder einer stringenten Chronologie, noch einem erkennbaren logischen Zusammenhang. Eines der Kapitel zeigt beispielsweise ein Eichhörnchen im Wald, ein anderes ein leeres Zimmer, wieder ein anderes Nahaufnahmen von Küchengeräten. Dazwischen erhellen die handlungsorientierten Passagen stückweise das familiäre Beziehungsgeflecht, wobei bis zuletzt viele Interpretationen möglich sind. Überhaupt interessiert sich Philip Gröning schon in der Anlage seines Films eher für Brüche, Kanten und Ungereimtheiten als für eine klassisch-klare Handlungsführung oder gar eine eindeutige Stellungnahme.

    So heterogen wie die Erzählung ist auch die formale Gestaltung. Philip Gröning kombiniert Handkamera- und Stativaufnahmen, Vogelperspektiven und Nahaufnahmen. Manchmal sucht die Kamera den Körper der Ehefrau minutiös nach blauen Flecken und Prellungen ab, manchmal wählt Gröning eine unbewegte Beobachterperspektive. In bisweilen meisterlicher Manier erzeugen die Bilder eine beklemmende Stimmung der Enge und Ausweglosigkeit: Fast der gesamte Film spielt sich im Halbdunkel des Familienhauses ab. Die beiläufigen, improvisierten Alltagsdialoge (es gab kein Drehbuch im üblichen Sinne) und die durchweg hohe Schauspielkunst geben dem Geschehen trotz der häufig distanzierenden Art der Inszenierung immer wieder eine sehr unmittelbare und emotionale Wirkung.

    Ein wesentliches Merkmal von Grönings Erzählung ist, dass ihre Gemachtheit durch Brüche mit der Illusion explizit thematisiert wird. Schon allein durch die stetigen Auf- und Abblenden zwischen den Kapiteln wird der Erzählfluss gehemmt und dieses verfremdende Element lädt den Betrachter gleichsam zur Reflexion über Grönings künstlerische Entscheidungen eingeladen. Wenn später die einzelnen Familienmitglieder Kinderlieder direkt in die Kamera singen oder regelmäßig ein älterer Herr auftaucht, dessen Herkunft bis zuletzt nebulös bleibt, dann sind das sogar noch deutlichere Verweise auf den Status von „Die Frau des Polizisten“ als Kunst-Produkt. Somit avanciert Grönings in vielerlei Hinsicht unbequemer Film gewissermaßen auch zu einer Schule des (Hin-)Sehens.

    Fazit: „Die Frau des Polizisten“ ist ein sperriges, aber sehenswertes Drama über Gewalt in der Ehe, das einige Fragezeichen setzt und reichlich Geduld seitens des Publikums einfordert.

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